© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/97  08. August 1997

 
 
Politstarrkrampf: Steuerreform, Rechtsschreibreform, Euroexperiment
Die blockierte Nation
von Dieter Stein

Wenn Bonner Politiker im Jahre 1997 Erklärungen abgeben über das "Wieso" und "Warum" dessen, was sich so verzwickt und verwinkelt in politischen Dingen derzeit abspielt, so klingt das regelmäßig so, als ob jemand den Zug der Lemminge als visionären Aufbruch in die Zukunft feiern will. Der Hilfeschrei des Bundespräsidenten nach einem "Ruck" in Deutschland sollte autosuggestive Kraft entfalten und wird nun vom autistischen Gemurmel des "öffentlichen Diskurses" erstickt.

So blockieren sich derzeit theatralisch Bundesregierung und Bundesrat im Falle der Steuerreform. Das müde, wackelige, zusammengestutzte Werk wird versiebt und vergeigt und wäre angesichts eines bankrotten Staatshaushaltes ohnehin nicht zu finanzieren. Theo Waigel ist somit heilfroh, daß SPD-Chef Lafontaine ihm die lästige Arbeit erleichtert, das mickrige Projekt letztlich unter den Acker zu bringen. Das hat Methode.

Symbolisch für diesen stotternden und rasant Fehlkonstruktionen und scheiternde Reförmchen produzierenden Apparat steht der millionenschwere als "Rechtschreibreform" getarnte Anschlag auf die deutsche Sprache. Das einzige, was man mit den neuen Rechtschreib-Fibeln tun sollte: sie in Sandsäcke hüllen und zur Sicherung der Deiche an die Oder transportieren.

Diese lingustischen Fehlleistung wurde durch Politiker verursacht, die mit allergrößter Zielsicherheit stets an der falschen Stelle "Handlungs- und Regelungsbedarf" sehen. Doch was passiert, wenn es Zeit für die Übernahme politische Verantwortung ist? Keiner derjenigen, die diesen Millionenschwindel verursacht haben, ist so anständig und nimmt seinen Hut; keiner ist so couragiert und gibt zu, daß diese Maßnahme ein Fiasko und undemokratisch war; niemand sorgt dafür, daß die Reform schleunigst in der Rumpelkammer verschwindet. Nein. Es wird Beamtenmikado gespielt: Wer sich zuerst bewegt, hat verloren. Und so will man es wieder Gerichten überlassen, kostspielige politische Fehlentscheidungen zu korrigieren. Politische Verantwortung wird zerredet, delegiert und verschwindet.

So auch beim Euro: In geschickter Weise werden bis heute politische und wirtschaftliche Folgen des Euro vernebelt und verschleiert. Der Euro-Dampfer legt bereits ab, die Maschinen stehen unter Volldampf, die Leinen werden gerade gelöst. Hinter uns lassen wir das hell leuchtende Ordnungsprinzip eines demokratischen Nationalstaates, der auf historisch bitter und blutig bezahlten Leistungen gründet. Dieses kulturelle und politische Erbe wird für ein Linsengericht verspielt. Der Untergang stolzer Nationen im europäischen Wackelpudding wird auch noch bejubelt! Der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Rupert Scholz, wackerer Kämpfer für einen vollschlanken Staat freute sich dieser Tage, daß Europa in zwanzig Jahren einen multiethnischen Souverän (ein "europäisches Volk") und eine bundesstaatliche Verfassung habe.

Es ist höchste Eisenbahn für einen breiten Widerstand gegen die Zerstörung der europäischen Nationen. In wenigen Jahren wird es zu spät sein.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen