© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/97  08. August 1997

 
 
Zeitschriftenkritik: "Gegengift"
Die Euro-Korrektheit
von Doris Neujahr

Mit der bundesdeutschen "Political Correctness" ist es wie mit einem Pioniernachmittag an den DDR-Schulen: Keiner der zehn- oder zwölfjährigen Knirpse hatte Lust dazu, jeder wußte es längst besser, aber alle beeilten sich, ja nicht den angegebenen Termin zu verpassen, nur um im offiziellen Rahmen angepaßter Bravheit zu bleiben und ein paar Jahre später die Chance zu bekommen, zur Abiturstufe zugelassen zu werden.

Der junge Journalist Michael Behrens, zusammen mit seinem Kollegen Robert v. Rimscha Verfasser eines blitzgescheiten Buches über die "PC", stellt im August-Heft der Zeitschrift Gegengift fest, daß ihre deutsche Sonderform, die "Historische Korrektheit", im Zuge der Euro-Diskussion nicht länger mehr nur Angelegenheit der "Linken" ist, sondern "daß auch die Konservativen in Deutschland unter dem Diktat der Geschichte stehen". Daraus folge die "Verselbständigung der Politik", daß heißt die Emanzipierung der Politiker vom Wählerwillen. Um vorauszusehen, daß dieses Demokratiedefizit angesichts der jetzigen EU-Strukturen und bei einem Brüsseler Kompetenzzuwachs weiterwuchern wird, bedarf es keiner prophetischen Gaben.

Auch Heimo Schwilk beschäftigt sich mit dem Euro und listet noch einmal die wohlbekannten Argumente auf, die gegen ihn sprechen.

Die Rezensentin vermißt freilich einen Originalitäts- oder Neuigkeitswert, was zum großen Teil damit zuammenhängt, daß die Kritik sich wie gehabt auf Helmut Kohl fixiert, der zwar der politisch, nicht aber der intellektuell bedeutsamste Euro-Beführworter ist. Warum sich also nicht einmal an Daniel Cohn-Bendit abarbeiten, der offensiv und mit komplexer Argumentation für den Euro ficht. Natürlich sei die Euro-Einführung die Bedingung Mitterands für sein Ja zu deutschen Einheit gewesen, argumentiert er, und: Der Euro werde sicherlich nicht so stabil wie die D-Mark, aber er nehme den Nachbarn die Angst vor der deutschen Übermacht, sei also ein lohnender Preis, den die Deutschen für einen dauerhaften Frieden mit ihnen zahlten. Andere meinen, der Euro schaffe eine erste Grundlage für eine Art "europäischen Großraum", der ein Gegengewicht zu Amerika, Asien und das pazifische Becken schaffe und außerdem einen Schutzschirm für die europäische Vielfalt bilde, die sonst in der unabwendbaren Globalisierung untergehen würde. Argumente, auf die unbedingt einzugehen wäre!

Gegengift gibt die köstliche Bemerkung von Wiglaf Droste über die Love Parade wieder, die auch die JF bereits aus der Jungen Welt nachdruckte. Droste empfahl eine großangelegte Raver-Erschießung mit der Begründung: "Eine Million Arschgeigen weniger." Die Rezensentin gesteht verschämt, ganz ähnliche Gedanken gehegt zu haben, just als in einer prallvollen U-Bahn ihre Nase in die schweißnasse Achselhöhle eines bierseligen Ravers gedrückt wurde. Nur getraute sich sich nicht, das in der JF zu schreiben, denn die hellwachen Jungs vom NRW-Verfassungsschutz hätten im nächsten Bericht vermerkt: Als Satire getarnte Aufstachelung zum Massenmord!

Gegengift. Heft 14. Zeitschrift für Politik und Kultur. Edition Coko, Raiffeisenstraße 24, 85276 Pfaffenhofen. 3 DM


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen