© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/97  15. August 1997

 
 
Ausstellung: Von der Heydt-Museum Wuppertal, Wiener Kunst von 1900
Jenseits der künstlichen Paradiese

von Thomas Illmaier

Bis in den Oktober hinein zeigt das Von der Heydt-Museum in Wuppertal Schätze aus der untergegangenen Donaumonarchie. Der Vielvölkerstaat …sterreich-Ungarn, der an seinen inneren "völkischen" Widersprüchen zerbrach und den Ersten Weltkrieg nicht überlebte, zeigte um 1900 noch einmal alle Attribute der Pracht: Kunst, Musik, Architektur erlebten eine Blüte, wie sie in …sterreich nicht wiederkehren sollte.

Vorausgegangen war die Periode, die mit dem Namen des Hofmalers Hans Makart (1840-1884) verbunden ist. Makart brachte es fertig, mit seinem ausladenden, pompösen, aber doch malerischen Geschmack nicht nur Kaiserin und Kaiser, sondern ganz Wien zu bezaubern. Sein Atelier wurde schon zu seinen Lebzeiten zum Museum, in das jeder zur festgesetzten Stunde Einlaß fand. Makart entwarf sogar die Dekoration für das Schlafzimmer der Kaiserin Elisabeth - ein natürlich sehr delikates Unternehmen - und hatte Erfolg, weit über die Landesgrenzen hinaus. Im Wirken dieses "Schönheitsdekorateurs" - so Hermann Broch in seiner scharfsinnigen Studie "Hofmannsthal und seine Zeit" - fanden das Bedürfnis dieser Zeit nach Dekorativität im Allgemeinen und die spezifische Musik- und Theatertradition …sterreichs im Besonderen ihre reinste und schönste Ausprägung. Gleichwohl handelte es sich um Eklektizismus reinsten Wassers: falscher Barock, falsche Renaissance, falsche Gotik, kurzum: ein "Un-Stil".

Diese imitatorische Kunst war Ausdruck einer generellen "Unwirklichkeit" im Kaiserreich. Der alte Franz Joseph war die letzte Klammer der von zentrifugalen Kräften zerrissenen Monarchie, aber nicht aufgrund seiner politischen Tatkraft oder seines realen Einflusses, sondern weil er selber bereits in das Reich der Symbole entrückt war: "Die Krone wurde als Institution ebenso abstrakt wie der Staat, den sie verkörperte", und die Hofloge, deren Einrichtung auch noch den kleinsten Theatern aufgetragen war, um das Theatervergnügen des Publikums in eine monarchische Werthierarchie einzurordnen, wirkte längst "als ein Symbol für das leergewordene Schema der monarchischen Barockgeste" (Broch) und ließ Monarchie und Staat selber als theatralisches Dekorum erscheinen.

Die Abkehr vom Pomp und wohl auch vom Mief der Vergangenheit begann mit Gustav Klimt (1862-1918) und seine Kollegen, die zwar von der zahlungskräftigen Wiener Gesellschaft profitierten, aber ansonsten eigene Wege gingen. Klimt begann zunächst verhalten impressionistisch, bevor er den Eros eines modernisierten ägyptischen Stils mit den Blumen eines erdachten germanischen Frühlings paarte. Er war dedeutendste Vertreter des Wiener Jugendstils, dessen Malerei eine mosakikartig-kleinteilige Flächenornamentik kennzeichnete. Sie fand Resonanz auch bei jenen, die in der Zeit des Fin de sicles mit der Kunst eine Heilserwartung verbanden und sie in Klimts oftmals ornamentalen Verschleierung der harten Lebenswirklichkeit bestätigt sahen. "Ein Kunstwollen, das alles Ornament kontaminieren läßt und ihm die Verfügung über die Taten und Leiden einräumt", urteilt Werner Hofmann. Seine Frauenporträts wirken bis heute, ihr Impuls ist noch in den Bildern von Fritz Hundertwasser nachzuweisen.

Nach ihm, den großen Klimt, wie ihn die Kunstgeschichte nennt, und der den letzten Höhepunkt des aristokratischen Europas in klassische künstlerische Formen goß, kamen die eigentlichen Sezessionisten: Egon Schiele (1890-1918) und vor allem Oskar Kokoschka (1886-1980). Sie leiteten den Expressionismus ein und wagten es, aus den künstlichen Paradiesen hinauszutreten und die Zeit mit ihren Wunden und Leiden zu dokumentieren. Bei Kokoschka (der von ihm porträtierte Freund Adolf Loos erklärte, Kokoschkas Intention aufgreifend, jede ornamentale Verbrämung zum "Verbrechen") sollte die äußere Form seiner inneren Bedingtheit entsprechen. Schiele, der von sich sagte: "Ich bin durch Klimt hindurchgegangen", hob sich immer mehr von dessen "klaren Schönlinigkeit" (Reinhard Steiner) ab. Sei Erotik wurde aggressiver und hatte nicht die harmonische Selbstvergessenheit wie bei Klimt, sondern wirkt isoliert und verkrampft. Weitere Inspirationsquellen waren der moderne Ausdruckstanz einer Isadora Duncan sowie Erfahrungen mit Geisteskranken - man denke auch an die Psychoanalyse des Wiener Siegmund Freud -, deren konvulsische Bewegungen er in seinen Bildern andeutete. "Tote Mutter", "Tod und Mädchen", "Schwangere und Tod" oder "Agonie", heißen signifikant einige seiner Bilder aus der Kriegs- und Vorkriegszeit.

Als Brücke zwischen Klimt und Schiele wiederum tauchten Malerpersönlichkeiten wie Richard Gerstl (1883-1908, Selbstmord), der unter anderen beeinflußt war von Edvard Munch und Van Gogh, sowie Koloman Moser auf, der mit anderen die "Wiener Werkstätte" gründete, von der aus die gesamte Lebenswelt in ein "Reich der Schönheit" verwandelt werden sollte. Sie waren, wenn der Name nicht schon anderweitig vergeben wäre, echte Nabis, wirklich Erleuchtete. Sie porträtierten sich vielfach selbst, wobei stets ein Nimbus Haupt und Gesten der Künstler umstrahlt, ihre Augen scheinen nach innen gerichtet und ergriffen, ja ekstatisch auf das innere Licht einer Gottheit zu schauen. Krieg und Zusammenbruch erzwangen aber schon bald den Blick auf die aus den Fugen geratene Welt, von der die Malerei bis heute geprägt ist.


 
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