© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/97  15. August 1997

 
 
Föderalismus: Fallen die Länder ins Sommerloch?
Bürger brauchen Heimat
von Max Angergaszt

Die Debatte, die da in den letzten Wochen losgebrochen wurde, scheint auf den ersten Blick ein klassischer Füller für das mediale Sommerloch zu sein. Der steirische ÖVP-Landesrat Gerhard Hirschmann wollte sich wieder einmal als Quer- und Vordenker profilieren und verlangte eine Abschaffung der Länder zugunsten dreier Verwaltungseinheiten für die Republik. Naturgemäß folgte darauf der Aufschrei der etablierten Landesfürsten, zumeist Parteikollegen Hirschmanns und der heimattreuen Verbände. Dabei sind Hirschmanns Argumente nicht von der Hand zu weisen. Das bestehende politische System Österreichs habe sich überholt, "es gehört nach dem EU-Beitritt und Europas Neuordnung, dem Fall des Ostblocks völlig erneuert". Konkret will der steirische ÖVP-Politiker die Republik auf nur mehr drei Verwaltungseinheiten reduzieren, und zwar auf West-, Donau- und Südösterreich.

 

Nun sind die österreichischen Bundesländer, vormals die deutschen Erblande der Habsburger Monarchie, großenteils altehrwürdige, gewachsene politische Verwaltungseinheiten in Mitteleuropa. Das alte Reichsherzogtum Kärnten, zurückgehend auf die noch ältere slawische Staatlichkeit und auf die römische Provinz Binnen-Noricum, das mehr als 800 Jahre alte Herzogtum Steiermark, Österreich, das als Ober- und Niederösterreich vor 1000 Jahren in die Geschichte trat, das Erzbistum Salzburg, das den Primas Germaniae beheimatete und schließlich die Grafschaft Tirol und jene Grundbesitze, die Vorarlberg bildeten, sind Verwaltungseinheiten mit uralter Tradition und einem hohen Identifikationswert für ihre Bewohner. Der Landespatriotismus war in Österreich generationenlang wesentlich stärker als die Loyalität zum Gesamtstaat.

 

Zu klein sind die österreichischen Länder mit Sicherheit aber – und da ist Hirschmann recht zu geben – für eine Form des Föderalismus, die eher als Futtertrog für Polit-Privilegierte dient. Neun Landtage mit Landtagspräsidenten, neun Landeshauptleute/Ministerpräsidenten, neun Landeststromgesellschaften mit entsprechenden Vorsitzenden, neun Arbeiterkammern mit entsprechenden Präsidenten, neun Gebietskrankenkassen.

 

Alle Forderungen nach einem schlankeren Staat müssen eine Verminderung dieses Ämter- und Pfründedschungels anstreben. Der freiheitliche Vize-Landeshauptmann von Kärnten, Karl-Heinz Grasser, hat im Zuge dieser Diskussion einen anderen Weg vorgeschlagen. Er fordert die Stärkung der Länder nach Schweizer Muster. Man könne den Bundeskanzler abschaffen, die Zentralregierung auf nur sieben Mitglieder verkleinern und den Ländern die Finanzhoheit übergeben, so wie dies die Schweizer Kantone hätten. Zwischen beiden Radikalvorschlägen scheint auf den ersten Blick kein Kompromiß bestehen zu können. Tatsache ist nämlich, daß der Landespatriotismus und die Identifikation der Österreicher mit ihren jeweiligen Bundesländern eine unverzichtbare Klammer für den Gesamtstaat und das österreichische Gemeinschaftsgefühl ist. Ob auf dieser Basis nunmehr mehr Föderalismus in Form von stärkeren Rechten für die Länder praktiziert wird, oder ob die Länder als Verwaltungseinheiten in den Hintergrund treten, um Großregionen Platz zu machen, wird sich weisen. Der Wiener ÖVP-Chef und Planungsstadtrat, Bernhard Görg, fragt sich, warum aus neun Bundesländern nur drei Regionen gemacht werden sollen. Vom Kostenargument her wäre Österreich als eine einzige Region im Sinne der EU-Regionen sinnvoll. Tatsächlich ist die Republik, was die Bevölkerungszahl betrifft, kleiner als Baden-Württemberg und das benachbarte Bayern.

 

Heftigen Widerstand gibt es aus heimattreuen Organisationen gegen die Schaffung grenzüberschreitender Europa-Regionen, wie etwa einer solchen zwischen Slowenien, Friaul und Kärnten. Der Kärntner Heimatdienst sieht darin die späte Realisierung großslowenischer Träume. In Innsbruck hingegen arbeitet man an einer "Europa-Region Tirol", um sozial und ökonomisch die Landeseinheit zwischen Nord- und Südtirol unter Einschluß des Trentinos wiederherzustellen. Die Diskussion ähnelt jener, die Jörg Haider als Landeshauptmann Kärntens in Hinblick auf einen "Freistaat Kärnten" vom Zaun brach. Sie könnte der Entwicklung des österreichischen Föderalismus insgesamt guttun


 
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