© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/97  15. August 1997

 
 
Waigels Fettnäpfchen
Kommentar
von Bernd Thomas Ramb

Von seinem Ziehvater Franz-Josef Strauß ist bekannt, daß er mit dem Brustton der Überzeugung tönen konnte: "Ich habe nie behauptet, daßÉ". Man nahm es ihm augenzwinkernd ab, denn da stand stets - wenn auch in der Regel schlitzohrige - Wahrheit dahinter. Dauer-Finanzminister Waigel, dem immer mehr die Luft ausgeht, fehlt dieses Format. Nun war er aber auch nie so zurückhaltend mit seinen Behauptungen wie der geschickte Strauß. Im Gegenteil, Behauptungen, wie: der Haushalt ist gesichert, der Euro wird so stabil wie die D-Mark und ähnlich gewagte Sätze kommen ihm locker flockig über die Lippen. So tolpatschig wäre Strauß nie gewesen.

Nun läßt er verlauten, er habe schon seit Jahren versucht, die hohen Nettozahlungen Deutschlands an den Verlustbetrieb Europäische Union zu reduzieren. Länger als fünf Jahre kann sein Bemühen nicht zurück liegen, denn sein Verhalten beim EU-Gipfel 1992 in Edinburgh kann er dabei nicht eingeschlossen haben. Der damalige wie heutige Finanzminister Waigel war es nämlich selbst, der dort die überzogenen Zahlungen an Brüssel mitverantwortlich durchgesetzt hat - sogar als Wiederholungstäter nach dem Beitragsgipfel 1990 in Dublin.

Was meint Waigel mit dieser durchsichtig scheinheiligen Realitätsferne jetzt erreichen zu können? Bis zum Euro-Jahr 1999 will er ohnehin "vertragstreu" bleiben. Danach könnte, ja müßte er die überzogenen EU-Beiträge aus nochmals erhöhter Staatsverschuldung berappen, möchte er dann tatsächlich seine Mini-Jahrhundertsteuerreform realisieren, zumal überzogene Haushaltsdefizite in Zeiten des Euro nicht nur so gut wie straffrei, sondern auch aus inflationsbegehrlichen Gründen opportun sind.

Wer soll auch sonst als spendabler Maastricht-Zahler in Frage kommen? Frankreich ist keinesfalls zu höheren Zahlungen bereit. Warum auch, es hat ja dann, was es wollte - die Beseitigung der D-Mark. Wenn aber Frankreich nicht mit höheren EU-Beträgen einverstanden ist, besteht für andere erst recht keine Veranlassung. Und schließlich sind es allein die Deutschen, die an einer - keinesfalls kostensenkenden - Osterweitung der Europäischen Union ernsthaft interessiert sind.

Somit bleibt nur eine Erklärung: Waigel hat Sehnsucht nach dem finanzpolitischen Abgang, zu dem ihm die Form des Rücktritts aus Formatgründen verwehrt ist. Nun versucht er über den Spagat in sämtliche erreichbare Fettnäpfchen den dickhäutig alle Probleme der Welt aussitzenden Bundeskanzler dazu zu bewegen, seinem Begehren nach Entlassung durch eine Kabinettsumbildung zu entsprechen.


 
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