© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/97  21. August 1997

 
 
D. Schoenbaum/ E. Pond: Annäherung an Deutschland. Die Strapazen der Normalität
Dämonen aus den Köpfen vertreiben

von Helmut Richter

Franzosen ist es ziemlich egal, wie andere über ihr Land denken, Amerikaner erwarten vor allem "Respekt". Die Deutschen hingegen möchten geliebt werden. Dieser Wunsch, der wohl aus einer tiefverwurzelten nationalen Unsicherheit kommt, treibt uns dazu, Bücher zu lesen, von denen wir Selbsterkenntnis und womöglich Absolution erhoffen.

"Annäherung an Deutschland" ist ein Werk, das uns mit der Brille des aufgeklärten US-Amerikaners betrachtet. In den USA ist das Deutschland-Bild noch sehr durch die Ereignisse der NS-Zeit geprägt, und wir sollten dankbar sein für jeden Versuch, dieses Schreckensgemälde endlich in die Rumpelkammer zu stellen und die deutsche Realität zu vermitteln. Dieses Buch hat die Intention, die Dämonen der Vergangenheit aus den Köpfen zu vertreiben und ein wohlmeinendes, durchaus positives Bild des modernen Deutschlands zu zeichnen. Es spannt dabei den geschichtlichen Bogen von der Gründung des ersten deutschen Nationalstaates und den Kriegen dieses Jahrhunderts über die Einheitswehen bis zu der Suche Deutschlands nach einer neuen Rolle in einem größeren Europa und in der Welt des globalen Wettbewerbs.

Viel Verständnis herrscht vor und sogar Bewunderung klingt an, wenn uns als Stammeswappen der Vogel Phönix statt des Adlers anempfohlen wird – die zweimalige Wiedergeburt Deutschlands aus der Asche verlorener Kriege in diesem Jahrhundert ist für Außenstehende in der Tat eine erstaunliche Leistung.

Die wirtschaftliche Erfolgsstory der Bundesrepublik war jedoch nur die eine Seite, die andere bedeutete nationale Teilung in zwei sich ideologisch feindlich gesonnene Staaten und relative außenpolitische Fesselung an die maßgeblichen Supermächte. Daß dies auch in den Köpfen der Menschen in 40 Jahren tiefgreifende Veränderungen bewirkte, wird von den Autoren deutlich herausgearbeitet: Wenn Deutsche "von Souveränität träumten, dann ging es nicht um schimmernde Wehr, sondern eher um schweizerische Verhältnisse…". Dem überkommenen Bild des deutsch-nationalen Militaristen, in vielen tausend amerikanischen Fernsehfilmen beschworen, wird der reale, in der Wolle grün gefärbte pazifistische Wehrdienstverweigerer der westdeutschen Endzeit entgegengestellt.

Anders als manche in- und ausländische Kassandra befürchtete, führte auch die Einheit zu keiner "Explosion nationalistischer Begeisterung" sondern eher zu Ängsten und Bedenken in vielen deutschen Köpfen. Ein Kapitel ist folgerichtig "Die Strapazen der Normalität" überschrieben.

Höchst kurios wirken aus amerikanischer Sicht die Ausuferungen unseres Sozialstaates und das typisch deutsche Streben nach staatlich garantierten lebenslangen"gesicherten Verhältnissen" – von der Wiege bis zur Bahre. Auch deutsche Regelungswut und eine daraus herrührende wirtschaftliche Unbeweglichkeit werden aufs Korn genommen. Trotz alledem werden die wirtschaftlichen Chancen Deutschlands für die Zukunft günstig beurteilt. Daß allerdings "Berlin und das südöstliche Sachsen zu einer ’verlängerten Werkbank’ des benachbarten Mitteleuropas" werden könnte, ist doch unwahrscheinlich. Wohl eher umgekehrt. Ein Übersetzungsfehler?

Interessant ist die Beurteilung der neueren deutschen Außenpolitik. Da nationales Interesse in Deutschland – anders als im Ausland – mit einem Tabu behaftet ist, wirkten die Bonner Aktivitäten in der Außenpolitik oft rätselhaft und seltsam bedrohlich. Man vermutete da geheimnisvolle nationale Hintergedanken, wo unsere Bundesregierung doch nur "das Beste für alle" im Schilde führte. Die im Buch geschilderten pazifistischen Eiertänze hierzulande ("Kein Blut für Öl"), die den Golfkrieg begleiteten, wirken mittlerweile schon wie Satire. Aber gerade dieses Beispiel zeigt, daß unter dem Druck der Ereignisse anscheinend für die Ewigkeit gefügte Grundsätze zerbröseln (gut anhand grüner Parteitagsbeschlüsse zu verfolgen). Mit ironischem und etwas schadenfrohem Seitenblick auf die durch die Einheit entwurzelte Linke wird darauf hingewiesen: Die Normalität holt uns ein.

Daß wir den Nationalismus überwunden haben, wird uns bestätigt. Europa ist vielen Deutschen zur Ersatz-Nation geworden. Zu Maastricht sind mit Blick auf Deutschland aber auch skeptische Töne zu lesen. Werden die Deutschen den Verlust der D-Mark als stärkstes nationales Symbol verkraften? Falls nicht wird ganz im Sinne Helmut Kohls an den Zerfall Jugoslawiens erinnert falls "das europäische Fahrrad stehen bleibt". Etwas viel Dramatik!

Insgesamt herrscht allerdings der Eindruck der Unaufgeregtheit vor. Sanfte Aufklärung statt dramatischer Zuspitzung ist beabsichtigt. Im amerikanischen Publikum soll Verständnis für die komplizierte deutsche Wirklichkeit geweckt werden. Für deutsche Leser ist daher manches ein wenig langatmig geraten. Wer Hinweise auf die mögliche deutsche Rolle in der Zukunft oder gar Diskussionen politischer Alternativen für Deutschland erwartet, wird enttäuscht. Hier geht es nur um eine Bestandsaufnahme, worauf auch die Vielzahl der befragten Politiker, von Biedenkopf über bis Wissman, in der Danksagung hindeutet. Einen noch zu hebenden Schatz für weitergehend Interessierte stellen allerdings die umfangreichen und sehr informativen Endnoten und das ausführliche Literaturverzeichnis dar.

Das Fazit des Buches dürfte die Welt beruhigen: "Nach der Vereinigung sind die Deutschen nicht in Stulpenstiefeln und Pickelhauben erschienen. Sie sind die gleichen geblieben wie zuvor: zerknittert und voller Selbstzweifel, eine Mischung aus Kompetenz und Unsicherheit, Angst und Tüchtigkeit."

David Schoenbaum/Elizabeth Pond: Annäherung an Deutschland. Die Strapazen der Normalität, Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 1997, 352 S., geb., 44 Mark


 
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