© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/97  21. August 1997

 
 
Junge Architekten: Neue Verspieltheit statt rationalistischer Ikea-Stecksysteme
Herrlich martial

von Klaus-M. Wolfschlag

Schlendert man durch die Frankfurter "Zeil-Galerie", so stößt man neben Schuhgeschäften, Frisörläden und Modeboutiquen auf einen Einrichtungsladen von extravagantem Zuschnitt. Jugendliche stehen amüsiert vor den dargebotenen Objekten, ältere Herren zeigen ihr Staunen angesichts der Originalität des Betrachteten.

Unter dem Namen "Die Krauts" werden hier Stahlskulpturen, metallene Möbelstücke und kunsthandwerkliche Accessoires der besonderen Art präsentiert. Neben Öllampen, die sich als Roboterhände präsentieren oder massiv gestalteten Computertischen, zeigen sich auch kostspielige Großskulpturen den Blicken der potentiellen Käufer: Der "Thron des Osiris" dagegen ist ein
zerlegbarer Stahlsessel mit Lammfell und Kunstledereinlagen, dessen Kopflehne von einem beflügelten Totenschädel gekrönt wird.

Hinter der Künstlergruppe "Die Krauts" verbergen sich Peter Ratz (geboren 1966) und Björn Reimers (geboren 1964), die sich nach der Bundeswehrzeit und kaufmännischen Ausbildungen seit den späten 80er Jahren zusammenfanden, um aufwendige Möbel und Einrichtungsgegenstände zu konzipieren. Peter Ratz, der noch den Berufsabschluß des Stahlbauingenieurs anstrebt: "Stahl erwies sich als filigraner und bot uns mehr Möglichkeiten der Bearbeitung. Allerdings findet dabei Holz als Verbindungselement zum Stahl auch weiterhin Ver-
wendung."

1992 meldeten sie das Gewerbe an. Von da an ging es steil aufwärts mit den jungen Designern. 1993 mieteten sie gemeinsam eine große Hinterhofwerkstatt. Eine haushohe Stelle mit Wasserbüffelschädel weist heute auf den Eingang zur Werkstatt hin, hinter deren Fenster unter dumpfen Hammerschlägen grelle Funken fliegen und Kreissägen aufheulen. 1994 präsentierte man die 2,90 Meter hohe Skulptur "Apokalyptischer Reiter" während der "Artifice" im Offenbacher Schlachthof. Derart populär geworden fanden bald Agenturen Interesse daran, ihre Schaufenster, Büros, Küchen und Techno-Discotheken mit Modellen der "Krauts" zu schmücken. Vor allem die Modefirma "Homeboy" erwarb zahlreiche sogenannte "Terminatoren", Schaufensterfiguren aus Stahl mit verschieden variierten Schädeln.

Die Quelle für zahlreiche Möbelmotive entstammen der künstlichen Mythenwelt des "Fantasy", welche das Künstlerduo seit ihrer Jugendzeit geprägt hat. Ratz und Reimers übten sich ausgiebig in sogenannten Rollenspielen, die unter Jugendlichen immer größere Anhängerschaft finden. Äxte und Schwerter treten als immer wiederkehrende Motive auf. Und vor allem Björn Reimers liebt es, menschliche Totenköpfe und Tierschädel als Blickfang einzu-setzen.

Die Arbeit der "Krauts" versteht sich letztlich als eine Gegenreaktion zur "althergebrachten" Bauhaus-Rationalität im Möbeldesign, die seit den zwanziger Jahren zunehmend den Einrichtungsstil bestimmt hat.

Die Normen der Ikea-Stecksysteme werden dabei über den Haufen geworfen und eine neue, bisweilen herrlich unpraktische Martialität verkündet.

Vor allem der "als schizophren empfundene gesellschaftliche Umgang mit Tabus Tod und Aggression" wird dabei offen in Frage gestellt. Schließlich seien die Arbeiten auch ein Ventil für eigene maskuline Aggressionen, die die "Krauts" durch Kreativität ausleben könnten. "Natürlich sind unsere Möbel eine Geldfrage für den Kunden. Schließlich sind unsere Werkstücke durchgehend Handarbeiten. Zumeist verkaufen wir deshalb nur Einrichtungsgegenstände an Privatpersonen und vermieten Großobjekte für Veranstaltungen", erklärt Peter Ratz. "Aber der Trend geht hin zur neuen Verspieltheit. Die Leute wollen heute etwas besonderes in ihrer Wohnung haben. Und das betrifft immer mehr nicht nur Randgruppen. Dachten wir erst vor allem an junge Menschen bis 30 Jahre, so erkennen wir heute, daß beispielsweise auch ältere Frauen für unsere Arbeiten Begeisterung zeigen. Unser bester Kunde ist fünfzig Jahre alt und hat sich mehrere seiner Spielotheken von uns einrichten lassen."

Dem rein zweckorientierten Materialismus wird also auch im Möbeldesign die Wiederentdeckung von dekorativ-emotionaler Verspieltheit entgegengesetzt, wenngleich die sperrig-skurrilen Objekte der "Krauts" noch unterschiedlich in ihrer Qualität und nicht unbedingt jedermanns Sache sein mögen.

Kontaktadresse: "Die Krauts", Peter Ratz und Björn Reimers, Lessingstraße 3, 63073 Offenbach


 
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