© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/97  21. August 1997

 
 
Kabinettsumbildung: Die Diskussion geht an Kohl vorbei
Schlendrian und Chaos

Kommentar von Hans-Georg Münster

Der Fisch beginnt bekanntlich vom Kopfe her zu stinken. Und daher geht die von Finanzminister und CSU-Chef Waigel erhobene Forderung, der Kanzler solle sein Kabinett umbilden, am Thema vorbei. Was würde denn eine Umbildung der Bonner Regierung bringen, in der die CDU-Minister Matthias Wissmann und Jürgen Rüttgers die Plätze tauschen und der Vorruheständler Wolfgang Bötsch (CSU) Entwicklungshilfeminister wird? Gar nichts. Denn die Zusammenfassung von Finanzkatastrophe, Stillstand, falscher Europa-Politik sowie politischem und sittlichen Verfall hat einen Namen: Helmut Kohl.

Es ist schon eine der großen Bonner Grotesken, daß Waigel, oberster Verantwortlicher für Finanz-Schlendrian, Steuerchaos und zuletzt für die Operation "Goldfinger", nach einer Veränderung des Kabinetts ruft und sich selbst mit der Bemerkung: "Meine Arbeit macht mir Spaß" davon ausnimmt. Wenn ein Wechsel der Pferde während des Rennens wirklich Sinn haben soll, dann nimmt man die heraus, die besonders schwach sind: Waigel und den FDP-Wirtschaftsminister Günter Rexrodt. Doch Waigels Wechsel aus dem Finanzressort, egal wohin, würde wie eine Flucht vor Kohls Lieblingskind, dem Euro, wirken. Und die FDP bestimmt ihre Minister durch Wahl in Fraktion und Parteivorstand selbst (übrigens ein glatter Verfassungsbruch). Rexrodt, den alle Liberalen insgeheim loswerden möchten, hat (noch) ein Pfund, mit dem er wuchert: Es gibt in der FDP eigentlich niemanden, der ihn ersetzen könnte.

Doch das System Kohl funktioniert nicht nach Kategorien wie Sinn oder Notwendigkeit. Unter der bald 15jährigen Herrschaft des Pfälzers hat sich der Führungsstil in der Republik grundlegend verändert. Kleine Zirkel mit wechselnder Besetzung und dem Namen "Koalitionsrunden" üben die eigentliche Macht in Bonn aus. Daran können Minister beteiligt sein, müssen es aber nicht. Dort werden von den Partei- und Fraktionsvorsitzenden die Entscheidungen getroffen, von den wirklich wichtigen Weichenstellungen bis hin zu finanziellen Peanuts, etwa einer halben Milliarde Mark mehr für existenzbedrohte Kurorte. In der Regierung wird nur noch abgehakt.

Daher fällt es kaum noch auf, daß auf der Regierungsbank durchaus akzeptable "Gestalten" (ein Ausdruck von Helmut Kohl) zu finden sind, ob man sie nun leiden mag oder nicht: Friedrich Bohl etwa, der Chef des Kanzleramtes, sei nur genannt. Matthias Wissmann (Verkehr) und Angela Merkel (Umwelt) tun das, was sie tun, recht gut. CSU-Gesundheitsminister Horst Seehofer gilt trotz aller Zuzahlungsorgien als ein Mann, der seinen Aufgabenbereich beherrscht und den man sich eines Tages als lachenden Dritten im Streit zwischen Waigel und dem Bayern-König Edmund Stoiber vorstellen könnte. Selbst die Familien- und Frauenministerin Claudia Nolte (CDU) erfüllt ihren Zweck als Inbegriff der optimalen Schwiegertochter, besonders, wenn sie Rüschen trägt.

Das Kabinett hat längst eine andere Funktion bekommen. Kohl regiert wie ein mittelalterlicher Fürst, der seinen treuen Vasallen Lehen auf Zeit gibt und irgendwann auch wieder nimmt, um die Nachrückenden zu bedienen. Der Lohn besteht in Gehältern, die die Akteure der politischen Klasse in der freien Wirtschaft nie erreichen könnten – verbunden mit Privilegien wie Dienstwagen, persönlichen Referenten, Freiflugscheinen und einer Altersversorgung, von der Durchschnittsverdiener träumen. Wer meckert, fliegt raus, wie der frühere Familienminister Heiner Geißler oder wird erst gar nichts, wie der Wahl-Sachse Kurt Biedenkopf. Um alles auch nach Regionen zu bedienen, wurde die Regierung aufgebläht wie nie zuvor: 17 Minister und 27 Parlamentarische Staatssekretäre verkörpern den fetten und erstarrten Staat.

Das Problem Kohl ist nicht mit einer Kabinettsumbildung zu lösen. Und Waigel bleibt im Kabinett, solange er CSU-Vorsitzender ist. Mit dem Gerede um die Kabinettsumbildung ist es Waigel aber gelungen, wenigstens für ein oder mehrere Wochen von seinen wieder größer werdenden Finanzproblemen abzulenken. Kohl, der noch vor seinem Urlaub definitiv erklärt hatte, es werde keine Kabinettsumbildung geben, konnte seinen treuen Theo nicht im Regen stehen lassen und revidierte sein Nein per TV-Interview in ein "Jetzt nicht". Damit war den gelangweilten Bonner Journalisten Tor und Tür geöffnet, die üblichen Spekulationsriemen zu schreiben, in deren Mittelpunkt Wirtschaftsminister Rexrodt (das war nicht neu) und Landwirtschaftsminister Jochen Borchert (CDU) standen.

Vielleicht wird es wirklich zu einer Umbildung der Mannschaft kommen. Ein paar Namen werden gestrichen, einige neue werden kommen. Umwerfend wird das nicht, insbesondere nicht im CDU-Teil der Regierung, da Kohl in jahrzehntelanger Parteiherrschaft darauf geachtet hat, das nur loyaler Nachwuchs die Bonner Bannmeile erreichte.

Mit dem Herumwerfen von alten und neuen Namen bleibt es der Bonner Szene denn auch erspart, über Grundsätzliches der Regierungspolitik nachzudenken, was unvermeidlich zu der Frage geführt hätte, wie lange sich Deutschland einen Helmut Kohl eigentlich noch leisten kann.


 
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