© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/97  21. August 1997

 
 
Parteien: Die Berliner CDU-Mitglieder Klaffus und Kuhn im Kreuzfeuer der Kritik
"Das ist ein gewisser Einheitsbrei"

Fragen: Thorsten Thaler/Gerhard Quast

Herr Dr. Kuhn, Herr Dr. Klaffus, CDU-Generalsekretär Peter Hintze wirft Ihnen vor, Sie verbreiteten rechtsradikale Thesen.

Klaffus: Ich glaube, das läßt darauf schließen, daß der Hintze unser Papier gar nicht solide gelesen hat und die entsprechenden Zitate, die wir als Anhang beigelegt haben, auch entsprechend gewürdigt hat, denn sonst wäre er nie zu diesem Urteil gekommen. Daß die Dinge im einzelnen etwas kritisch und auch etwas pointiert dargestellt sind, das wollen wir gar nicht bestreiten, aber das gehört ja zur politischen Kultur.

Das heißt, Sie fühlen sich von dem Vorwurf zu Unrecht getroffen?

Klaffus: Das kann man wohl sagen!

Kuhn: Ich halte das so, wie es Herr Hintze getan hat, für einen eklatanten Mißbrauch eines Schlagwortes. Für mich ist rechtsradikal jemand, der Gefahr läuft, den Boden der Verfassung zu verlassen und extrem ist jemand, der dabei noch Gewalt anwendet. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Leser unseres Papiers, der seiner fünf Sinne mächtig ist, feststellen könnte, daß irgendeine Tendenz oder auch eine Aussage darin enthalten ist, die so auszulegen ist, daß wir den Boden der Verfassung auch nur einen Millimeter verlassen haben.

Sie schreiben in dem Papier, daß zunehmend versucht werde, "warnende Stimmen in die extremistische Ecke zu stellen". Also mußten Sie doch damit rechnen, daß Ihnen das gleiche passiert?

Kuhn: Wir beschäftigen uns ja nicht erst in den letzten zwei oder drei Monaten mit Politik: Es gab die Jenninger-Rede, es gab verschiedene andere Anlässe, die zu über- oder hyper-korrekter Reaktion geführt haben. Ich glaube beobachtet zu haben, daß von Teilen der Presse eine semantische Verschiebung beim Gebrauch dieses Wortes vorgenommen wurde, die uns gleichgesetzt hat mit Neonazis, mit Leuten, die gröhlend, neonazistische Lieder singend, durch die Straßen ziehen, die uns bestätigt haben, daß wir antisemitische Hetzbriefe veröffentlicht haben, die uns auch vorgeworfen haben, daß wir Extremisten und Rassisten seien.

Klaffus: Aber damit haben wir wirklich nicht gerechnet. Unser Papier ist ein partei-internes gewesen, das von uns als Angebot zur Diskussion entworfen wurde.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Schütze hat sogar mit dem Verfassungsschutz gedroht. Ist es mittlerweile Usus in der Berliner CDU, daß man sich unter Parteifreunden gegenseitig mit dem Verfassungsschutz droht?

Kuhn: Wenn sich Herr Schütze berechtigt fühlt, den Verfassungsschutz anzurufen, dann hat er nach unserem Dafürhalten eindeutig gegen die Kompetenzen und Zuständigkeiten eines Bundestagsabgeordneten verstoßen.

Halten Sie es für erträglich in einer Partei zu sein, in der Parteifreunde mit der Verfassungsschutzkeule daherkommen?

Klaffus: Das ist schon in der Tat sehr ungewöhnlich, aber wissen Sie, menschliche Schwächen gibt es überall und manche sind eben überdurchschnittlich mit solchen Defiziten gesegnet. Das darf einen nicht davon abhalten, die politische Linie zu verlassen.

Kuhn: Was mich besonders in der CDU stört, ist, daß das "C" im Namen der Partei verpflichtet hätte, nach Grundsätzen einer christlichen Haltung zu urteilen und zu verfahren. Hier ist aber genau das Gegenteil geschehen.

Hat die Heftigkeit der Kritik nicht auch damit zu tun, daß dezidiert konservative Positionen in der Berliner CDU vor Jahren marginalisiert worden sind und der konservative Flügel in eine Minderheitenposition geraten ist?

Klaffus: Ich glaube, daß die etwas unkontrollierte Reaktion auf dem konkreten Umstand beruht, daß wir uns ganz gezielt die mittlere Parteiebene ausgesucht haben, weil die Verantwortlichen auf Kreisverbandsebene noch einen soliden Kontakt zu den Bürgern haben und wissen, wie diese denken und empfinden. Soweit wir wissen, haben sich einige Kreisverbände massiv an die politische Spitze gewandt, und da war man wohl echt überrascht über diese relativ positive Resonanz, so daß man nicht wußte, wie man damit umgehen sollte.

Kuhn: Es gibt eben seit der Nachkriegszeit, seit der Zeit der Umerziehungsprogramme und auch heute mit sehr vielen Miterziehern das Problem, daß man damals Lizenzen an bestimmte Verlage, Zeitungen, Zeitschriften vergeben hat, die heute noch so tun, als wären wir wie in der Nachkriegszeit unmündige Bürger, die es nicht verstehen, unter moralischen Gesichtspunkten mit der Macht umzugehen. Ich glaube, daß diese Zeit der Privilegien innerhalb der Medien vorbei ist. Es muß grundsätzlich eingesehen werden, daß wir mündige Bürger geworden sind und keinen Nachhilfeunterricht mehr brauchen.

Sie drücken sich beide um die Frage herum, ob Sie die CDU heute noch für eine dezidiert konservative Partei halten?

Kuhn: Ich halte sie nach wie vor für eine Partei, die sehr viel Programminhalte hat, für die es sich lohnt, auch in der Öffentlichkeit zu kämpfen. Aber ich bin mir natürlich auch bewußt, daß sie eine Reform an Haupt und Gliedern mehr als nötig hat.

Die Berliner CDU hat Ihr Papier mehr ignoriert als die Bundespartei. Der Regierende Bürgermeister Diepgen hat sich deshalb den Vorwurf des Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde eingehandelt, er würde die Sache aussitzen.

Kuhn: Es gibt in der heutigen Parteienlandschaft, nicht nur in der CDU, einen Riß, der den Bruch in zwei Hälften entweder schon vollzogen hat oder der unmittelbar bevorsteht. Es besteht die Gefahr, daß die politische Mitte nicht mehr politikfähig ist oder funktionstüchtig bleibt. Da sehe ich das Problem, warum man das ignoriert. Man will den Bruch in den Parteien nicht zugeben. Das zweite ist, daß die Parteien, soweit sie sich in dieser Brüchigkeit etabliert haben, sich nicht mehr durch Gegensätze, den Kontrast ihrer Progamme unterscheiden. Sie sind alle für soziale Gerechtigkeit, für Freiheit und für Frieden, aber sie bringen es nicht mehr fertig, das zu thematisieren, was aktuell und akut wichtig ist. Dieses Verhalten wiederum führt zur Gründung solcher Bürgerinitiativen, wie wir sie auch versucht haben, und andererseits dazu, daß der Anteil der Nichtwähler steigt und die Bevölkerung politikmüde und politikverdrossen wird.

Klaffus: Objektiv gesehen muß man für die Reaktion Nachamas aufgrund der mißverständlichen und verzerrenden Berichterstattung in den Medien Verständnis haben. Wie soll jemand, der in verantwortlicher Position in der Jüdischen Gemeinde tätig ist, anders reagieren? Er hat nicht die Möglichkeit gehabt, unser Papier vorher zu lesen, ihm war es nicht bekannt. Wir haben inzwischen reagiert und ihm einen Brief mit den entsprechenden Unterlagen geschickt und wir warten derzeit noch auf eine Reaktion von Herrn Nachama. Wir können uns vorstellen, daß Diepgen sich aufgrund des tatsächlichen Sachverhaltes mit Nachama kurzschließt und feststellt, daß die Kampagne gegen uns unter einem völlig falschenVorzeichen eingetütet worden ist.

Wenn Sie die letzten Wochen Revue passieren lassen, fühlen Sie sich da eigentlich noch heimisch in der CDU?

Klaffus: Es gibt ja nicht umsonst diese Steigerung "Freund, Feind, Parteifreund". Da sind wir schon einiges gewohnt. Doch es wäre die verkehrte Reaktion, jetzt abzuducken oder auszutreten. Im Gegenteil: Wir werden die offene Diskussion suchen, denn wir haben aus der Öffentlichkeit ausschließlich positive große Resonanz erhalten. Lediglich die veröffentlichte Meinung unternimmt permanent noch den Versuch, uns in die rechtsradikale Ecke zu stellen.

Müssen Sie nicht damit rechnen, daß jede künftige Wortmeldung von Ihnen sofort mit diesem Stigma behaftet ist?

Klaffus: Wir sind ja überwiegend im vorpolitischen Raum tätig. Wir haben zwar auch Parteiämter inne, aber in den Gremien, in denen wir uns aufhalten, haben wir nichts zu befürchten. Außerdem haben wir ja auch die von uns gewählte Alternative einer Bürgerinitiative. Wir haben festgestellt, daß es über die Parteiengrenzen hinweg viele Bürger gibt, die eine wertekonservative Einstellung haben und sich im politischen Spektrum der Parteien nicht mehr wiederfinden.

Sie stellen in dem Papier die Frage, "ob es nicht sinnvoller wäre, kurzfristig für die Bevölkerung nachteilige Parteienkonstellationen in Betracht zu ziehen, um den etablierten Parteien die Möglichkeit zur programmatischen Regeneration einzuräumen". Im Klartext: CDU-Mitglieder propagieren eine rot-grüne Koalition.

Klaffus: Die etablierten Parteien haben nach Ansicht der Bürger aus den Augen verloren, daß sie einen verfassungsrechtlichen Auftrag haben, daß sie nämlich dem Bürger demokratische Alternativen anbieten sollten. Wenn Sie sich inzwischen die politische Landschaft mit den vier etablierten Parteien anschauen, ist da ja vielfach kaum noch eine Differenzierung zu sehen. Das ist ein gewisser Einheitsbrei geworden. Unsere Initiative war in diesem Kontext parteiintern als Anstoß gedacht, die Verantwortlichen in der Union an ihre konservativen Wurzeln zu erinnern, verbunden mit dem Wunsch, bestimmte, nach unser Meinung nach für das Gemeinwohl ungünstige Parteikonstellationen, zu verhindern, was wir auch in dem Anschreiben an die Kreisverbände deutlich zum Ausdruck brachten.


 
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