© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/97  29. August 1997

 
 
Daniel Goeudevert: Aus dem Leben eines Managers
Jede Karriere hat ihren Preis

von Elfriede Fink

Kapitalismus pur ist angesagt. Strukturelle Arbeitslosigkeit breitet sich aus. Tarifverträge werden unterlaufen. Psychosomatische Erkrankungen durch berufliche Überlastung nehmen überhand. Eine Trendwende ist nicht in Sicht. Wie ein (Paradies-)Vogel, der versehentlich ins Aquarium gefallen ist, mutet da einer an, der fordert, Wirtschaft müsse für den Menschen da sein: "Wenn Unternehmen nicht dazu in der Lage sind, dem Menschen als Ganzem ein Stück Glück zu vermitteln, worin soll dann der Sinn allen Wirtschaftens bestehen?" Als ihm 1993 bei VW gekündigt wurde, hatte Daniel Goeudevert Zeit, über sich und sein Leben nachzudenken. Statt Autos verkauft er nun, ebenso erfolgreich, seine Autobiographie.

Sie beginnt mit einem Jungen flämischer Abstammung, geboren 1942 in Reims, der unter seinen roten Haaren, seiner Größe und seiner Korpulenz leidet. Seine Minderwertigkeitsgefühle kompensiert er durch sportliche Leistung – Goeudevert bringt es immerhin bis zum französischen Vizemeister im Kugelstoßen. Die Sexta muß er wegen Deutsch wiederholen. Dafür studiert er später Literatur mit Hauptfach Deutsch – die vorliegende Autobiographie bezeichnet er auch als eine "Liebeserklärung an Deutschland". Um sich und seine Familie zu ernähren, nimmt Goeudevert, beileibe kein Autonarr, die Stellung eines Autoverkäufers bei Citroën in Paris an. Dank seines außergewöhnlichen Talents, "Kunden dazu zu bringen, gegen ihren Willen ein Auto zu kaufen", beginnt damit eine märchenhafte Karriere in der Autobranche: Verkaufsdirektor und Generaldirektor bei Citroën Schweiz, Generaldirektor der Deutschen Renault und Exportchef für die europäischen Länder ohne Renault-eigenen Vertrieb, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Ford-Werke, zuletzt Stellvertreter Piëchs im Konzernvorstand von VW.

Doch Karriere hat ihren Preis. Welchen Preis Goeudevert für seine Karriere bezahlt hat, wird ihm erst nach seinem Ausscheiden bei VW bewußt. "Das Bild, das gemeinhin vom Spitzenmanager existiert, ist ein Mythos. Er wird auf einen Sockel gestellt, der bei einem Absturz eine beträchtliche Fallhöhe aufweist. Die irreale Welt des Scheins, die ihn umgibt – nicht weil er seine Sache gut macht, sondern weil er der Chef ist –, läßt ihn früher oder später die ‘Bodenhaftung’ verlieren. Er sieht, was andere in ihm zu sehen scheinen – die Spiegel der Selbstgefälligkeit, die seine Entourage eifrigst putzt, zeigen immer nur einen Kaiser in prächtigen Gewändern, auch wenn dieser schon nackt und bloß ist… Der Manager ist menschlich gehandikapt, um nicht zu sagen: ein Krüppel." Natürlich brauche ein Manager ein dickes Fell, um sich gegen die Verletzbarkeit durch andere zu schützen. Doch "die Gefahr, daß einer bald ähnlich handelt wie die, gegen die er sich schützen wollte, ist groß." Gleichzeitig seien ausgerechnet Führungskräfte in ein tägliches Korsett gezwängt, das sie fast zwangsläufig auf die Erwartungshaltung des Versorgtwerdens, auf die Stufe eines unreifen Kleinkindes regredieren lasse. "Nicht einmal die Tür seines Dienstwagens darf er noch selbst aufmachen." Gefangen im industriekapitalistischen Zeitmuster, laufe der Manager "auf höchsten Touren und Gefahr, vor lauter Beschleunigung das Tempo mit dem Ziel zu verwechseln. Selten oder nie geschieht es, daß er einem Mitmenschen nur begegnet, um dabei auch in sich selbst hineinzuhorchen". Und wenn er dann aus dem engmaschigen "Netz des Narzißmus" herausgefallen ist, wundert er sich, daß ein Großteil der Beziehungen nur seiner Funktion gegolten hat und nicht seiner Person.

Trotz seiner Einsicht, daß "weder Kapitalismus noch Kommunismus in ihren gegenwärtigen Erscheinungsformen einen Ausweg bieten aus den wachsenden ökonomischen und politischen Problemen unserer Zeit", trotz seiner Kritik an der "perversen" Entwicklung von immer schnelleren "High-Tech-Produkten für eine finanzielle Elite": Goeudevert ist kein Aussteiger. Ging es ihm früher um eine "intelligentere", zukunftsträchtige Fortentwicklung des Autos und keineswegs um dessen Abschaffung, so will er jetzt die Managerausbildung auf eine breitere Grundlage stellen: In Dortmund soll ein Campus europäischer Prägung mit engem Praxisbezug entstehen zur Aus-, Weiter- und Umbildung von Managern. Wobei Management als eine "Angelegenheit der Kommunikation" zu verstehen sei, bei der wechselseitiges Zuhören mit dem Ziel, die Identifikation mit der Arbeit zu fördern, ebenso gefragt sei wie "Gefühl, Empathie, Wahrnehmungen externer Größen und Toleranz".

Auch weniger erfolgreiche oder sogar gescheiterte Manager sollen dort referieren und schildern, wie sie mit ihrem Mißerfolg fertig geworden sind, denn: "Je steiler die Karriere, desto größer die Gefahr, besonders tief zu fallen."

Goeudeverts Autobiographie bietet keine Patentrezepte zur Systemveränderung. Es geht ihm darum, den hohen Preis, den wir im allgemeinen und Manager im besonderen für Fortschritt und Karriere zahlen, ein klein wenig herunterzuhandeln. Aber immerhin beschreibt Goeudevert aus seinen persönlichen Erfahrungen im Zentrum wirtschaftlicher Macht heraus industriegesellschaftliche Mechanismen, denen nicht nur Topmanager ausgesetzt sind.

Womöglich kommt dadurch doch der eine oder andere Leser ins Nachdenken darüber, ob er vielleicht auch selber die Geschwindigkeit mit dem Ziel verwechselt und seine Funktion mit seiner Person. Und darüber, ob das Wesentliche des menschlichen Lebens nicht doch noch eine ganz andere Dimension hat als ein Rädchen zu sein im Getriebe von Produktion und Konsum. Doch andererseits: Wie lange würde ein Manager nach Goeudeverts Geschmack – einer, der sagt, was er denkt und empfindet, auch wenn dies Widerspruch gegenüber dem obersten Chef bedeutet, einer, der Schwächen zeigt und eigene Fehler nicht anderen anlastet, einer, der eher auf Intuition und Phantasie setzt als auf technische Rationalität –, wie lange würde ein solcher Manager wohl seine Stellung behalten? – Du hast keine Chance, nutze sie!

Daniel Goeudevert: Wie ein Vogel im Aquarium. Aus dem Leben eines Managers, Rowohlt, Berlin 1996, 254 Seiten, 38 Mark


 
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