© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/97  29. August 1997

 
 
Der Andalusische Mitschüler
von Bernd-Thomas Ramb

Häufig sind EU-Propagandabroschüren erschütternd selbstentlarvend. Im Faltblatt "Europa investiert in seine Regionen" stellen die EU-Kommissionäre die Gretchenfrage: "Warum soll unsere Schülerin aus Bayern sich um ihre andalusischen Altersgenossen kümmern?" Wohlgemerkt, es geht nicht um ihren thüringischen Altersgenossen oder den aus den EU-Regionen Guayana oder Martinique, nein, es geht um die knuddelige Urlaubsbekanntschaft mit den schwarzen Haaren und den süßen Kulleraugen.

Zum Glück läßt die EU die bayerische Schülerin mit der Beantwortung dieser Frage nicht im Regen stehen: "Erstens ist Europa einer der weltweit größten Märkte für Fertigwaren… Die Hersteller müssen ein Interesse an gesunden und entwickelten Märkten haben, wo man Spitzenprodukte braucht". Auch der kleine Andalusier hat ein Anrecht auf Designer-Jeans. "Zweitens gibt es im Binnenmarkt große Unterschiede zwischen den Löhnen, Betriebskosten usw. Das führt zu Wettbewerbsverzerrungen, die den Markt stören und die schwächeren Regionen dazu verdammen, für solche Produkte, die in den leistungsfähigen Regionen hergestellt werden, als Montagewerkstatt zu dienen". Das steht da wirklich! Und es kommt noch härter: "Drittens kann die einheitliche Währung (als erklärtes Ziel der EU-Staaten) nur dann verwirklicht werden, wenn alle europäischen Volkswirtschaften unter gleichen Bedingungen arbeiten. Der wirtschaftliche Rückstand einiger Staaten macht Europa als Ganzes schwächer, anfälliger und weniger wettbewerbsfähig".

Da hilft nur tief durchatmen und erst einmal auf die Zahlen sehen. Alle EU-Staaten erhalten Mittel aus den Strukturfonds, die "finanziellen Mittel der Gemeinschaft, um langfristige gesellschaftliche und wirtschaftliche Probleme zu lösen" (Originalton EU), auch das reichste Land Luxemburg und auch Deutschland. Zirka 500 DM hat oder wird jeder Bundesbürger im Gesamtzeitraum von 1994 und 1999 aus Brüssel erhalten. Davon hat Deutschland etwa ein Drittel zuvor an die EU überwiesen. Gleichzeitig zahlt jeder Bundesbürger über die EU-Kasse mehr als 1.000 DM zur Unterstützung der anderen EU-Bürger. Die Strukturfonds-Bilanz lautet also: Deutschland zahlt pro Kopf der Bundesbevölkerung zirka 1.200 DM an die EU und erhält 500 DM zurück – und die Bestätigung für die Schülerin aus Bayern, daß sie im obigen Sinne etwas für ihren andalusischen Altersgenossen getan hat.

Aus den Erfahrungen der allgemeinen Entwicklungshilfepolitik ist heute die Erkenntnis gereift, daß finanzielle Zuwendung kaum Entwicklungshilfepotential eröffnet. Wichtiger ist die Vermittlung einer effizienten Wirtschaftsordnung: marktwirtschaftlich und wettbewerbsorientiert. Aber diese Denkweise ist einer subventionsverkrusteten EU-Kommission verwehrt.


 
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