© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/97  29. August 1997

 
 
Nationaler Politik-Ersatz
Kommentar von Klaus Gröbig

Die Parteien-Überdrüssigkeit hat viele Ursachen. Eine davon ist zweifellos das (berechtigte) Gefühl vieler Menschen, das Bekenntnis zu einer patriotischen Gesinnung werde in allen Parteien durch die Diktatur der Political correctness nahezu unmöglich gemacht. Dagegen wird eine neue Partei in Deutschland gefordert; in ihr sollen sich die patriotischen Kräfte zu einem "nationalen Korrektiv" zusammenfinden. Gerade patriotische Kreise stimmen dieser Forderung von Herzen zu. Nun ist Politik ohne Herz nicht erfolgreich zu machen – ohne Verstand aber auch nicht. Nüchtern muß analysiert werden, ob der fehlende patriotische Grundtenor in der deutschen Politik durch eine neue Partei wiederbelebt werden kann.

National orientierte Gruppierungen gibt in allen großen politischen Strömungen unseres Landes: Alfred Dregger (CDU), die SPD-"Kanalarbeiter" und Alexander von Stahl (FDP) sind zweifellos national orientiert – und sie alle sind nicht zufällig in verschiedenen Parteien. Es ist ein Irrglaube zu meinen, aufrechte Patrioten hätten zwangsläufig auch genügend politische Gemeinsamkeiten für eine gemeinsame Partei. In der Politik geht es meistens nicht um Patriotismus oder Nicht-Patriotismus, sondern um praktisch-politische Fragen: Ein Konservativer entscheidet da im Einzelfall eben anders als ein Liberaler oder ein Sozialdemokrat.

Nationale Gesinnung ist ein politischer Grundwert und nicht ein beliebiges tagespolitisches Thema neben vielen anderen. Das Grundanliegen, das Patrioten in allen Parteien teilen, können sie am wirksamsten in ihren jeweiligen Parteien vertreten. Eine "nationale Partei" könnte sich nur auf eine politische Richtung beschränken, zum Beispiel auf den Konservatismus. Dann würde sie liberale und sozialdemokratische Patrioten von vornherein ausschließen und hätte deshalb keine Erfolgschance. Oder sie würde sich ideologisch nicht festlegen. Dann wäre es nur eine Frage der Zeit, bis in der Tagespolitik die weltanschaulichen Unterschiede zwischen den Mitgliedern größer würden als die patriotischen Gemeinsamkeiten und die Bewegung deshalb auseinanderbräche. Eine "nationale Partei" wäre nur Politik-Ersatz.

Der patriotische Gedanke hat in der Bevölkerung Rückhalt. Nur wenn es in allen ideologischen Lagern (und damit in allen Parteien) gelingt, diesen Rückhalt nutzbar zu machen, hat der Grundwert des Patriotismus eine Zukunft in der deutschen Politik. Eine neue Partei ist auf diesem Weg nicht nur nicht nützlich – sie wäre schädlich.


 
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