© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/97  05. September 1997

 
 
Affirmative Action: Kalifornische Univerwaltung beseitigt "positive Diskriminierung"
Koordinatenwechsel in Rassenfragen
von Martin Schmidt

Der Verwaltungsrat der University of California hat für seine neun Hochschulen im US-"Sonnenstaaat" Abstand genommen von den sogenannten "affirmative action"-Programmen. Diese als "positive Diskriminierung" verstandene Vorgabe hatte dazu geführt, daß Universitäten bei der Auswahl der Studenten die ethnische Herkunft oder das Geschlecht höher werteten als die Noten. Den "unterrepräsentierten" Schwarzen und Hispanics sollte so – ebenso wie einem höheren Anteil Frauen – der Weg in eine akademische Laufbahn erleichtert werden.

Doch infolge des im November 1996 von der Mehrzahl der Kalifornier angenommenen Volksbegehrens Proposition 209 nahm der Bundesstaat ein Gesetz an, das eine solche Bevorzugung bei Studienplätzen und im Arbeitsleben untersagt. Damit zollte man nicht nur der vorherrschenden Meinung unter der weißen Bevölkerung Tribut, aus deren Reihen mehrere Klagen angestrengt worden waren, sondern auch den kritischen Stimmen schwarzer Intellektueller.

Die Gegner der seit Jahren stark umstrittenen "positiven Diskriminierung" sahen darin eine neuartige, sublime doppelte Form von Rassismus: Zum einen wurden Angehörige der traditionell staatstragenden weißen Bevölkerungsschicht der WASPs (White Anglo-Saxon Protestants) eindeutig zugunsten Farbiger benachteiligt, zum anderen mußten letztere das ebenfalls diskriminierende Gefühl bekommen, erreichte Erfolge möglicherweise nur wegen "affirmative action" und nicht dank individueller Leistung erzielt zu haben.

Der Sprecher des Center for Individual Rights, Robert Alt, gab zu bedenken: "Wir können doch nicht frühere Diskriminierung dieser Gruppen durch neues Unrecht wiedergutmachen." Es dürfe nicht sein, daß Studenten "nur aufgrund ihrer Hautfarbe völlig verschiedlichen Maßstäben" unterlägen.

Die Tatsache, daß am Donnerstag vergangener Woche der schwarze Bürgerrechtler Jesse Jackson in San Francisco mehrere tausend Demonstranten gegen die als "ethnische Säuberungsaktion" gegeißelte Abschaffung der "affirmative action" auf die Straße brachte, täuscht über einen grundlegenden Koordinatenwechsel gerade unter den Schwarzen hinweg. So hat die National Association for the Advancement of Colored People (NAACP), die älteste und mit über einer halben Million Mitgliedern größte Interessenorganisation der Schwarzen, auf ihrem Jahreskongreß in Pittsburgh im Juli die Rückkehr zu der alten Formel "getrennt, aber gleich" proklamiert und für die Zukunft eigenen Schulen den Vorrang gegeben.
Obige Formel stammt aus einem 1896 vom Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten formulierten Grundsatz, der dann in den 50er und 60er Jahren dieses Jahrhunderts im Zuge der "Schmelztiegel"-Ideologie einer massiv forcierten Rassenintegration zu weichen hatte. Letztere führte zu einer mehr oder weniger zwangsweisen Rassenmischung an den Bildungsstätten, die es erforderte, daß zum Beispiel schwarze Schüler mit Bussen ("Busing") in von ihren Wohngebieten weit entfernte Schulen gebracht werden mußten.Das Jahr 1965 markierte schließlich mit einer entsprechenden Ankündigung von Präsident Lyndon B. Johnson die Geburtsstunde der von seinem Amtsnachfolger Bill Clinton bis heute zäh verteidigten "affirmative action" in Universitäten und Betrieben.

Die weiße Bevölkerung reagierte auf die häufig mit einem Niveauverlust verbundene Entwicklung vielfach mit dem Umzug in die teuren, oft fast ausschließlich weißen Vororte. William Keyes, einstiger politischer Berater Ronald Reagans, mahnte: "Das einzige, was das Busing erreichte, war, daß es unsere Kinder aus ihrer natürlichen, schützenden sozialen Umgebung geholt hat." Zahlreiche Schwarze kamen zu ähnlichen Schlußfolgerungen über den ungeliebten rassenpolitischen Kraftakt, zumal sie sich von dem Wunsch eines totalen Aufgehens der "Afroamerikaner" in der US-Gesellschaft immer weiter entfernten. Der weltweit bekanntgewordene Führer der "Nation of Islam", Louis Farrakhan, ist nur der radikalste Propagandist dieser neuen Selbstbesinnung, die eine bessere Zukunft für die Schwarzen (ca. 13% der Bevölkerung) nicht mehr als "Abfallprodukt der Integration in die Welt der Weißen" (rund 73%) begreifen will und auf eine Wandlung der sozialen Lage durch Eigeninitiative setzt.

Wer indessen bei der Bewertung der Lage der Farbigen in den Vereinigten Staaten ausschließlich auf die Quoten der Statistiken fixiert ist, wird in der Absage Kaliforniens an die "affirmative action" und in den sich anbahnenden ähnlichen Schritten in Texas, Georgia und Washington D. C. nur einen gesellschaftlichen Rückschritt sehen können: In Berkeley wird es im kommenden Wintersemester unter den 279 nach dem Notenprinzip ausgewählten neuen Jurastudenten nur einen einzigen Schwarzen geben (1996: 20), und an der Medical School der UC San Diego wurde unter 196 schwarzen Bewerbern sogar nicht ein einziger angenommen.

Ohne Zweifel spielen in den Vereinigten Staaten trotz gesetzlicher Gleichstellung und dem vehementen PC-Engagement der Medien rassistische Verhaltensmuster noch immer eine gewisse Rolle. Dies gilt jedoch keinesfalls nur in bezug auf die WASPs, sondern ebenso hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Hispanics und Schwarzen oder zwischen Juden und Schwarzen.

Es ist ein verhängnisvoller Trugschluß zu meinen, man könne mittels einer massiven Bevorzugung der "unterprivilegierten Gruppen" in kurzer Zeit eine allgemein akzeptierte Gleichstellung im Arbeitsleben erreichen. Ein solches Hau-Ruck-Verfahren erzeugt nur böses Blut und baut neue Schranken zwischen den Rassen auf. Eine dauerhafte, substantielle Korrektur der sozialen Schlechterstellung der Schwarzen wie der Latinos ist nur im Zuge eines längeren Prozesses zu erreichen, der in erster Linie von den Betroffenen selbst auszugehen hat und für den staatliche Almosen nur kontraproduktiv sein können.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen