© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/97  05. September 1997

 
 
Generationenvertrag: Pensionssicherung durch Familienpolitik
Eine Gesellschaft ohne Kinder
von Andreas Mölzer

Seid fruchtbar und mehret euch, heißt es in der Bibel, und nicht: Seid steril, frustriert und laßt euch selbst aussterben! Wie hoch ist die "Reproduktionsrate", wie dies in gräßlichem Soziologen-Chinesisch heißt, pro Frau hierzulande? 1,4 oder 1,5? Knapp eineinhalb Kinder also pro potentieller Mutter. Und wieviele Kinder wurden in dieser schönen Republik in den letzten 20 Jahren, seit der Einführung der Fristenlösung abgetrieben? 2,5 Millionen angeblich. Stehen wir also mitten im selbstfabrizierten Geno-Suizid?

Wer wie der Autor dieser Zeilen (unverbesserlicher Reaktionär, der er ist), gegenwärtig zum vierten Mal Vater wird, weiß, welche Erfüllung eigene Kinder bedeuten. Wer weiter, wie der Autor dieser Zeilen (unverbesserlicher Biologist, der er ist), daran glaubt, daß es auch ein Weiterleben in den eigenen Genen gibt, weiß, welche Freude es bedeutet, Eigenheiten, Charakterzüge, Verhaltensweisen, Mimik und Gestik beim eigenen Nachwuchs zu entdecken, die eben in der Familie liegen. Für die political correctness-Inquisitoren ist dies natürlich alles finsterer Rassismus.

Eben dieses Argument wurde mehr oder weniger deutlich von derselben Seite auch im Zuge der Debatte der letzten Wochen immer wieder verwendet, wenn etwa christkatholische Politiker wie Martin Bartenstein oder Werner Fasslabend erklärten, das österreichische Pensionssystem sei nur zu sichern, wenn es Träger für einen künftigen Generationenvertrag gäbe, also Kinder. Vollends Hysterie brach aber aus, als von Seiten des katholischen Familienverbandes für Kinderlose ein höherer Pensionsbeitrag gefordert wurde, oder als der Familienminister blauäugig erklärte, kinderlose Frauen müßten doch genauso wie Männer erst mit 65 in Pension gehen.

Politisch korrekte Zeitgenossen wissen es längst: Die Pensionsproblematik kann nur durch verstärkte Zuwanderung gelöst werden, und das fallweise Auftreten emotionaler Bedürfnisse nach süßen Babies ist am ehesten durch großzügige Adoptionskampagnen in der Dritten Welt zu befriedigen. Daß der bundesdeutsche Pensions-Guru Rürup, der jüngst die Bundesregierung beriet, laut und deutlich erklärte, daß die Migration keineswegs Pensionssicherung bedeuten würde, überhörte man tunlichst. Und daß die Adoption von Dritt-Welt-Babies fatal an Menschenhandel erinnert, verdrängt man.

Doch zurück zum materiellen Aspekt der Frage: Was die Erziehung eines Kindes hin zur "Selbsterhaltungsfähigkeit" kostet, hat man errechnet. Wieviele Nächte die Mütter, und nicht selten auch die Väter, beim kranken Kind durchwachen, welche Sorgen man sich über Wohl und Wehe der "G’schrappen" macht, wieviel einfach nicht möglich ist – vom lockeren abendlichen Ausgehen bis hin zu aufwendigen Reisen – kann man schon schwerer ermessen. Daß Kinder und ihre Erziehung eine Investition in die Gemeinschaft – früher nannte man das, horribile dictu, "Volk" – bedeuten, stehet außer Zweifel. Ob man jene, die freiwillig oder unfreiwillig eine solche Investition nicht tätigen, steuerlich finanziell stärker belasten soll, ist umstritten. Vielleicht sind sie bestraft genug, da sie nicht wissen, was es an Gutem und Schönem bringt, Kinder zu haben. Vielleicht sind sie ärmer als man ahnt, wenn sie im Alter, statt von den eigenen Kindern und Enkeln besucht und betreut zu werden, auf professionell emotionsloses Pflegepersonal angewiesen sind.

Fest steht jedenfalls mit Sicherheit, daß das Elend unserer kinderlosen Gesellschaft nicht so sehr im Dilemma der Pensionsversicherung und am Zusammenbruch des Generationenvertrags liegt, sondern vielmehr in der emotionalen Verödung jener Mitmenschen, die die einzig wirklich selbstlose Liebe, nämlich die zum eigenen Kind, nie kennengelernt haben. Welches Regulativ zur Monomanie und zum Hedonismus gibt es da noch. Darum gilt es, die Tötung menschlichen Lebens, gleich in welchen Zeitraum nach seiner Zeugung, Tötung zu nennen. Darum gilt es, Egoismus Egoismus zu nennen. Und darum gilt es, jenen zu helfen, die als Geworfene in dieser Welt die schwere Aufgabe, aber auch die große Freude annehmen, Kinder zu haben.


 
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