© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/97  05. September 1997

 
 
Tag der Heimat: Rechte der Vertriebenen durchsetzen
Deutsche Bedingungen
Meinungsbeitrag von Martin Schmidt

Nicht anders als in den letzten Jahren, so wird auch 1997 der "Tag der Heimat" am 7. September von der großen Mehrheit der bundesdeutschen Bevölkerung – wenn überhaupt – nur am Rande registriert werden.

Außer bei den durch den Verlust ihrer Heimat in den ostdeutschen Ländern Schlesien, Pommern, Ost-Brandenburg, West- und Ostpreußen sowie in den diversen deutschen Siedlungsgebieten in Mittel-, Ost- und Südosteuropa direkt Betroffenen ist der Bezug zu diesem Teil des gesamtdeutschen Erbes weitgehend verlorengegangen. – Und dies ausgerechnet zu einer Zeit, in der sich infolge des Umbruchs von 1989 theoretisch verschiedenste Möglichkeiten der Anknüpfung an diesen Teil unserer Geschichte eröffnen: von der Rückkehr einzelner und der Erweiterung der Rechte der verbliebenen deutschen Minderheiten über die Pflege der oft schlecht erhaltenen Baudenkmäler bis hin zur touristischen Neuentdeckung sowie der Wahrnehmung der immensen ökologischen Aufgaben.

Besonders fatal wirkt sich die Beziehungslosigkeit vieler Bonner Politiker zu der sich aus der Geschichte eigentlich selbstverständlich sich ergebenen deutschen Mitverantwortung im Osten aus: Nicht ein Spitzenpolitiker ist bislang im Zusammenhang mit den Verhandlungen über die EU-Osterweiterung öffentlich für eine Berücksichtigung der Frage des Heimatrechts der rund 15 Millionen deutschen Vertriebenen und ihrer Nachkommen eingetreten. BdV-Präsident Fritz Wittmann hat sehr zu Recht Folgendes zu bedenken gegeben: "Die Vertriebenen und mit ihnen solidarische Landsleute fragen sich, auf welche noch bessere Gelegenheit gewartet wird, um ungelöste und fortwirkende Fragen im Zusammenhang mit der Vertreibung und entschädigungslosen Enteignung vor über 50 Jahren, die auch die Bundesregierung immer für völkerrechtswidrig erklärt hat, anzugehen. (…) Um es deutlich zu sagen: Wir sind nicht gegen einen Beitritt der östlichen Nachbarstaaten zur europäischen und zur transatlantischen Rechts- und Wertegemeinschaft, aber wir sind dagegen, daß durch eine Osterweiterung ohne Wenn und Aber und ohne den leisesten Versuch einer Aufarbeitung und Wiedergutmachung fortwirkender Unrechtsfolgen diese Gemeinschaften Unrecht hinnehmen." Wittmann beendete seinen diesjährigen Aufruf zum "Tag der Heimat" mit dem Fazit: "Es ist überfällig, daß wir in der deutschen Außenpolitik wieder zu einem vernünftigen Geben und Nehmen gelangen."

Bis jetzt ist jedoch aus nationalpolitischer Sicht die Bilanz dieses Gebens und Nehmens vor allem im Verhältnis mit Polen und der Tschechischen Republik ganz eindeutig im Minusbereich. Skandalöse Ankündigungen wie jene aus Prag, auch nach einer Aufnahme in die EU nicht die volle Freizügigkeit beim Immobilienerwerb von Ausländern gewähren zu wollen, werden in den großen deutschen Medien kaum beachtet, geschweige denn mit der angebrachten Schärfe kommentiert. Ferner muß es zu denken geben, daß zum Beispiel in Rumänien, das wirtschaftlich in hohem Maße vom deutschen Wohlwollen abhängig ist, minderheitspolitische Fortschritte stets nur dank des ungarischen Engagements erzielt werden konnten, nie jedoch wegen deutscher Einwirkung.

Während in Oberschlesien aufgrund der großen Zahl und damit des politischen Eigengewichts der dort noch lebenden Deutschen eine Tolerierung durch die örtlichen Polen sowie eine spürbare Klimaverbesserung erreicht werden konnte, gibt es anderswo eine lange Liste von Unzulänglichkeiten, die bei entsprechendem Willen in Bonn leicht erheblich verkürzt werden könnte: In Rumänien existieren nach wie vor nur ganz vereinzelt zweisprachige Ortsschilder, und ausgesiedelte Siebenbürger Sachsen beklagen sich über die vielfältigen Schwierigkeiten beim Versuch, ihre ehemaligen Höfe als Sommerhäuser zurückzukaufen. In Ungarn fehlen an allen Ecken und Enden Gelder beim Aufbau der Infrastruktur der Selbstverwaltung der deutschen Minderheit, und im Königsberger Gebiet kommen die weitaus meisten Aktivitäten zugunsten der dorthin gezogenen schätzungsweise 20.000 Rußlanddeutschen nach wie vor von seiten privater bundesdeutscher Organisationen und mitnichten aus Bonn.

Und dort, wo reichlich deutsche Steuergelder hinfließen, nämlich in jene Gebiete, in die die Rußlanddeutschen auf Geheiß Stalins 1941 deportiert wurden, gibt es kein Heimatrecht zu bewahren und auch keine echten deutschen Perspektiven zu unterstützen. Viele Millionen Mark, die in Sibirien, Kasachstan oder in der Ukraine buchstäblich in den Sand gesetzt worden sind, hätten an anderen Orten äußerst wertvolle und dauerhafte Hilfestellungen darstellen können – so etwa für die Deutschen in der Slowakei, in Oberschlesien und Masuren oder im rumänischen Sathmar.

Wenn nun in den kommenden Wochen auf Dutzenden vom Bund der Vertriebenen (BdV) organisierten Veranstaltungen des "Tages der Heimat" gedacht wird, so muß dies neben der Erinnerung an Kindheitserlebnisse auch Anlaß dafür sein, sich auf aktuelle Erfordernisse deutscher Außenpolitik zu besinnen. Geschieht dies nicht, so hat dieser Tag sicherlich keine Zukunft, und das deutsche Erbe im Osten wird schon bald nur noch museale Bedeutung besitzen.


 
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