© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/97  05. September 1997

 
 
PDS: Der Abgeordnete und Ex-Pfarrer Willibald Jacob unter Stasi-Verdacht
Keine negativen Aktionen
von Thorsten Thaler

Die unendliche Geschichte der Enttarnung von Spitzeln für die ehemalige DDR-Staatssicherheit findet auch im Jahre sieben der deutschen Einheit noch Fortsetzungskapitel. Jetzt hat es den evangelischen Pfarrer im Ruhestand und heutigen PDS-Bundestagsabgeordneten Willibald Jacob erwischt.

Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) habe den 65jährigen Jacob als "Inoffiziellen Mitarbeiter" (IM) geführt, teilte die Gauck-Behörde jetzt auf Anfrage der Nachrichtenagentur idea mit. Für die Jahre von 1977 bis 1984 habe die Stasi verschiedene Gespräche mit dem "IM Lift" dokumentiert. Während dieser Zeit soll Jacob unter anderem die Menschenrechtsorganisation Brüsewitz-Zentrum ausspioniert haben.

Das 1977 in Bad Oeynhausen gegründete Zentrum ist nach dem Pastor Oskar Brüsewitz benannt, der sich am 18. August 1976 auf dem Marktplatz vor der Michaeliskirche im sächsischen Zeitz verbrannte, um damit gegen die Diskriminierung von Christen in der DDR zu protestieren.

Rückblende: Im August 1976 fertigt die für Kirchenangelegenheiten zuständige Stasi-Abteilung XX/4 einen "Vorschlag zur Kontaktaufnahme" mit Willibald Jacob an. Der studierte Theologe, der seit Ende der sechziger Jahre nicht mehr als Pfarrer arbeitete, ist zu dieser Zeit im VEB Straßen- und Tiefbauamt Berlin beschäftigt, gehört dem Kreisvorstand der Blockpartei CDU in Berlin-Weißensee sowie der Einheitsgewerkschaft an und ist innerhalb der Evangelischen Kirche ehrenamtlicher Leiter der Ökumenischen Niederländischen Gemeinde in Ost-Berlin. Diese Funktion interessiert die Stasi besonders.

Das MfS schreibt Jacob einen großen Überblick über die Verbindungen seiner Gemeinschaft nach West-Berlin zu. Die Stasi-Anwerber erwarten von ihm Unterstützung bei der Erkennung und Abwehr von angeblichen Versuchen der "Christlichen Ostmissionen", über die Niederländische Gemeinde an Informationen über die Diskriminierung von Christen in der DDR zu kommen. Nach dem "Gesprächsplan" soll Jacob in der ersten Septemberwoche 1976 angesprochen werden.

Tatsächlich findet die erste Kontaktaufnahme zwischen einem Hauptmann der Staatssicherheit und Wilibald Jacob am 11. Oktober in der Wohnung des Theologen statt. In den Akten der Abteilung XX/4 wird es später über das Gespräch heißen, Jacob habe "grundsätzlich seine Zusammenarbeit mit dem MfS" erklärt, um an der "Verhinderung des Mißbrauchs" der Niederländischen Gemeinde durch die Christlichen Ostmissionen mitzuwirken. Weiter wird der Stasi-Anwerber notieren, Jacob habe ihm versprochen, "vertrauliche Informationen einzuziehen über Personen, die evtl. Verbindungswege der ökumensichen Vertreter der Niederländischen gemeinde zu feindlichen Zwecken mißbrauchen". Den Unterlagen zufolge dauert dieses erste Gespräch eineinhalb Stunden.

Zwei Wochen später, am 25. Oktober 1976, kommt es in der Wohnung von Jacob zu einem zweiten Treffen. Der Stasi-Hauptmann instruiert den Theologen erneut über die Aktivitäten der Christlichen Ostmissionen. So gäbe es Hinweise, daß diese versuchten, christliche Literatur und andere "Hilfsmittel zur Evangelisierung" nach Ost-Berlin einzuführen. Außerdem sammelten die Ostmissionen Informationen für die KSZE-Nachfolgekonferenz von Helsinki, die 1977 in Belgrad stattfindet. Dort wollten sie nachweisen, daß die sozialistischen Länder des Ostblocks Christen diskriminierten.

Für die Folgejahre dokumentieren die Unterlagen des MfS eine Vielzahl weiter Zusammenkünfte, zumeist in der Wohnung von Willibald Jacob. So heißt es in einem "Treffbericht" vom 19. Juli 1977, Jacob habe "ohne Scheu" auf die ihm gestellten Fragen geantwortet. Er sei einer weiteren Zusammenarbeit gegenüber "aufgeschlossen" gewesen und habe sich zur "Übernahme von Aufgaben" bereiterklärt. Zwei Monate später halten die MfS-Leute fest, der "IM Lift" habe "ohne Aufforderung" von ihm erarbeitetes Material über "Grenzen und Möglichkeiten der Kirchen in einem sozialistischen Land" übergeben; mit der Beschaffung dieser kirchlichen Arbeit habe der IM erstmals schriftliches Material übergeben.

Schließlich heißt es in einer"Einsatz- und Entwicklungskonzeption" im November 1977, der "IM Lift" müsse "als unbedingt zuverlässig eingeschätzt werden. Aufträge in beiderseitigem Interesse werden vom IM zuverlässig und auch ehrlich erfüllt". Einer kontinuierlichen Zusammenarbeit versuche der IM indes noch aus dem Weg zu gehen.

Zu den Schlüsseldokumenten, die eine Zusammenarbeit Jacobs mit der Staatssicherheit der DDR offenlegen, gehört ein "Bericht über die durchgeführte Werbung" vom 19. November 1977. Danach erfolgt die Zusammenarbeit "auf mündlicher Basis" und "auf der Grundlage der Freiwilligkeit"; von einer schriftlichen Verpflichtungserklärung sei deswegen abgesehen worden. An anderer Stelle heißt es, eine schriftliche Verpflichtung belaste "das bestehende Vertrauensverhältnis"; in der künftigen Zusammenarbeit könnten "Komplikationen auftreten".

Die Spitzeltätigkeit des "IM Lift" dauert bis zum Juli 1984. In einem Abschlußbericht vermerkt der inzwischen zum Major aufgestiegene Stasi-Führungsoffizier, daß der IM sein Verhältnis zum MfS nach und nach gelöst habe und sich mit einer Zusammenarbeit nicht mehr belasten wolle. Bevor die Akten für die letzten knapp fünfeinhalb Jahre des SED-Regimes in der Stasi-Ablage verschwinden, stellt die Abteilung XX/4 ihrem Schützling noch ein Zeugnis aus. Der "IM Lift" sei "in seiner gesamten Tätigkeit gegenüber der Partei und Regierung loyal" aufgetreten und habe sich an keinen "negativen Aktionen" beteiligt.

Willibald Jacob, im Wendejahr 1990 aus der Ost-CDU ausgetreten und seit 1994 für die PDS in Mecklenburg-Vorpommern Mitglied im Deutschen Bundestag, hat inzwischen alle Vorwürfe einer Spitzeltätigkeit für das MfS zurückgewiesen. Eine Stellungnahme gegenüber der jungen freiheit, die ihn mit den entsprechenden Belegen seiner Verstrickung konfrontieren wollte, war von Jacob bis zum Redaktionschluß nicht zu erhalten.


 
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