© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/97  12. September 1997

 
 
Notwehr Schwarzarbeit
Kommentar
von Bernd-Thomas Ramb

Ladendiebstahl zählt mittlerweile nicht nur bei anarcho-kommunistischen Weltbeglückern zu den gebotenen Verhaltensmustern, sondern aus der Sicht der linksbürgerlich gestrafften Gesellschaft auch zu den strafrechtlich angeblich irrelevanten Vergehen. Fraglicher ist dagegen die Würdigung des Steuerbetrugs durch die beiden Gruppen. Wer eh nichts zu versteuern hat und zudem noch trefflich durch staatliche Leistungen alimentiert wird, wie die Mehrheit der Erstgenannten, müßte zwar aus ideologischen Gründen auch den Steuerbetrug begrüßen, blanke Ratio (falls dort vorhanden) zwingt dagegen zu dem Schluß, daß keine Gaben fließen können, wenn nicht vorher bei anderen abkassiert wurde.

Die Schicki-Micki-Linken tun sich da als betroffene Besserverdienende schon schwerer. Immer geringer wird ihr Abstand zu den "Reichen", deren Einkommen nach linkspolitischer Korrektheit auf bloßer Umverteilung von unten nach oben basiert. Wie sollen sie sich da zum Thema Steuerhinterziehung als "Privileg" der Steuerzahler stellen? Sei einmal das Problem ausgeklammert, daß in diesen Kreisen vielfach Steuerhinterziehung mit "sich der Steuer entziehen", also der legalen Steuervermeidung, ungeniert vermischt wird, stellt sich diese Frage durchaus auch den anderen Steuerzahlern. Ab wann ist Steuerhinterziehung eine moralisch gerechtfertigte Verzweiflungstat, ja ein Gebot der Stunde? Fest steht jedenfalls zunächst, daß diese Vergehen in den letzten Jahren rapide zugenommen haben. Ein klassisches Beispiel ist die Schwarzarbeit. Sie macht in Deutschland mit 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zwar deutlich weniger aus als in Italien (25,8 Prozent) und Belgien (21,4), liegt aber etwa doppelt so hoch wie in den USA (9,4) und den Alpenländern Österreich (8,3) und der Schweiz (7,5). Bemerkenswert ist dabei der fulminante Anstieg in den neunziger Jahren. Vor zwanzig Jahren betrug der Anteil der Schwarzarbeit noch sechs Prozent. Der Wert (die Bezeichnung ist durchaus gerechtfertigt, denn auch mit Schwarzarbeit werden Werte geschaffen) stieg von 103 Milliarden DM im Jahre 1975 auf mehr als das Fünffache in diesem Jahr: 548 Milliarden!

Mit den entgangenen Steuereinnahmen ließen sich selbst die demnächst nochmals erhöhungsfälligen Steuerlöcher schließen. Steuerhinterziehung ist aber nicht nur eine Frage der Verfalls der Steuermoral, sondern auch vielfach ein Verschulden des Staates. Überzogene Steuersätze, fragwürdige Abgaben, vor allem aber unverständliches bis unverschämtes Ausgabengebaren lassen immer mehr Steuerzahlern die Steuerhinterziehung als Akt der Notwehr erscheinen. Der Dumme ist wieder einmal der (Steuer-)Ehrliche, der diese Form des Widerstands nicht leisten kann oder möchte.


 
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