© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/97  12. September 1997

 
 
Muezzinruf: Pfarrer Dietrich Reuter über seine Kritik am Gebetsruf über Lautsprecher
"Auf eigene Grundlagen besinnen"
Interview mit Dietrich Reuter, Fragen: Gerhard Quast

Herr Pfarrer Reuter, Muslime fordern in Deutschland mit dem Hinweis auf die Gleichbehandlung aller Religionsgemeinschaften den islamischen Gebetsruf per Lautsprecher. Es wird argumentiert, der Muezzinruf sei "unaufgebbarer Teil der Religionsausübung der Muslime". Sie und Ihre Kirchengemeinde haben gegen diese Tolerierung zum Widerstand aufgerufen. Wo sind für Sie die Grenzen der Tolerenz?

Reuter: In diesen Tagen hört man interessante Nachrichten aus der Türkei. Der öffentliche, lautsprecherverstärkte Muezzinruf soll gesetzlich massiv eingeschränkt und teilweise verboten werden. Während man also in Deutschland von bestimmten Seiten die Zulassung und Förderung dieses Rufes betreibt, geht in der Türkei die Entwicklung im Augenblick in eine andere Richtung. Diesen Widerspruch zu interpretieren, wäre eine spannende Sache für sich. Für Deutschland, insbesondere für Duisburg, den Bereich, den ich überschauen kann, ist festzustellen, daß der lautsprecherverstärkte Muezzinruf keineswegs von allen Muslimen gefordert wurde und gefordert wird. Die entsprechenden Anträge kommen von einzelnen oder knapp 40 Moscheevereine, in denen auch keineswegs die Mehrzahl der Muslime organisiert ist. Ein antragstellender Moscheeverein liegt im Bereich unserer Kirchengemeinde. Zwei Vorgänge veranlaßten uns dann konkret, als unmittelbar betroffene Gemeinde, mit unserer Anzeige "Kein islamischer Gebetsruf über Lautsprecher" Stellung zu beziehen: Im Ausländerbeirat der Stadt drohten Vertreter der Muslime der Stadt Duisburg für den Fall der Nichtgenehmigung mit einer Flut von Prozessen. Zugleich beriefen sich an der selben Stelle den Anträgen zugeneigte Verwaltungsleute der Stadt auf solche kirchlichen Stimmen, die sagen, daß man es bei dem "Allah" des Islam mit dem selben Gott zu tun habe wie im Christentum. Dies spreche für eine Genehmigung des islamischen Gebetsrufes.

Wie bewerten Sie das Argument, der Muezzinruf sei "unaufgebbarer Bestandteil" des Islam?

Reuter: Ich halte es für falsch, wenn man sagt, daß der öffentliche oder gar lautsprecherverstärkte Gebetsruf "unaufgebbarer Bestandteil" der islamischen Religion sei. Das verneinen selbst namhafte Muslime. Es ist auch im Sinne der islamischen Lehre völlig ausreichend, diesen Gebetsruf zu den entsprechenden Zeiten lediglich im Hause auszurufen. So geschieht es seit Jahren in den als Moscheen genutzten Häusern. Die Befürwortung des lautsprecherverstärkten Rufes von christlich-kirchlicher Seite her ist entweder naiv-unwissend – da mangelt es an Kenntnis des Islam und an der Wahrnehmung der Dinge, die sich zur Zeit weltweit abspielen – oder aber sie ist vorsätzlich destruktiv im Sinne einer Multi-Kulti-Ideologie, die für sich nicht in Anspruch nehmen kann, eine Konsequenz der Gebote und Botschaft der Heiligen Schrift zu sein. Ich denke, daß das Argument der Gleichbehandlung ein vorgeschobenes ist, denn es gibt in Deutschland keine Predigt, die regelmäßig vom Kirchturm erschallt. Außerdem ist das Wort Gleichbehandlung in diesem Zusammenhang ein Tarnwort. Dahinter verbirgt sich im Grunde nur eine Strategie zur Verbreitung des Islam. Wenn man in Deutschland den öffentlichen Gebetsruf, wie das von Muslimen in vielen Regionen versucht wird, durchsetzen kann, dann erreicht man einen Fortschritt in Richtung der angestrebten islambestimmten gesellschaftlichen Ordnung. Denn der Islam strebt an, als Religion auch unmittelbar den Staat zu bestimmen. Das ist von seinem Selbstverständnis her konsequent. Und dies wird in unseren Breiten weitgehend übergesehen oder man will das einfach nicht wahrhaben.

Wieso kommt die Unterstützung für den islamischen Gebetsruf ausgerechnet von seiten der Kirchen? Ist es nicht absurd, daß diese sich für die Tolerierung der Muezzinrufe einsetzt?

Reuter: Daß es sich dabei um die Kirche, etwa die Evangelische Kirche in Deutschland insgesamt handelt, vermag ich zur Zeit nicht zu überschauen und zu bestätigen. Es stimmt allerdings: Zur Zeit kommen aus dem christlichen Raum massive falsche Töne – auch in unserer Region. Als betroffene evangelische Kirchengemeinde vor Ort aber haben wir ja klar Position bezogen. Erforderlich ist jetzt, daß man sich in der Christenheit auf breiter Basis auf die eigenen Grundlagen besinnt und auch in der Analyse des Islam Mut zum genauen Hinschauen hat. Dabei muß unbedingt erkannt werden, daß mit dem Islam nicht nur eine Religion in unser Land kommt, sondern auch eine Gesellschaftsideologie mit teilweise totalitären Zügen.

Glauben Sie, daß die Evangelische Kirche in der Gesamtheit noch den Mut aufbringen wird, sich gegen den Muezzinruf zu äußern?

Reuter: Das weiß ich noch nicht. Da ist einiges im Gange. Aber ich sehe mit Sorge, daß sich kirchliche Stimmen zu diesem Problemkreis äußern, die die klaren Linien von der Heiligen Schrift her im Grundsätzlichen schon verleugnen. Man muß heute neu lernen, zu unterscheiden, wo wirklich die Kirche spricht und wo nicht. Die Kirche Jesu Christi spricht nicht einfach da, wo irgendein Bischof oder eine Synode spricht. Die Kirche spricht da, wo das gesprochene Wort mit den Aussagen der Heiligen Schrift übereinstimmt. Nehmen Amtsträger der Kirche das Wort und weichen von der Heiligen Schrift ab, mißbrauchen sie ihr kirchliches Amt.

Noch einmal zurück zu Ihrem christlichen Selbstverständnis. Wieso ist es Ihrer Ansicht nach nicht tolerabel, daß die christliche Kirche dem Islam einen Freiraum gewährt?

Reuter: Zunächst einmal ist es fatal und verführerisch, wo immer kirchliche Amtsträger mit einem sozusagen moralisch-religiösen Impetus den Anspruch und die Erwartung an die Gesellschaft herantragen, den Islam doch etwas harmloser zu betrachten, als er sich in der Welt in Wirklichkeit darstellt. Das andere ist aber, daß die christliche Kirche für sich einen eigenen Auftrag und einen eigenen Anspruch reklamiert, der ihr Kirchesein ausmacht. Da ist es eben die Frage, wie diejenigen, die sagen, wir hätten es bei dem "Allah" des Islam mit dem selben Gott zu tun, den wir Christen zu bezeugen haben, sich noch auf christlicher Grundlage befinden wollen.

Und das machen Sie am Muezzinruf fest?

Reuter: Der Muezzinruf proklamiert die islamische Gotteslehre: "Allah ist größer. Es gibt keinen anderen Gott außer Allah. Mohammed ist sein Prophet." Das ist der wesentliche Teil des Rufes. Mohammed lehrt im Koran, den er von Allah empfangen haben will, daß die Behauptung, Jesus Christus sei der Sohn Gottes, eine der größen Sünden sei, die es gibt. Allah habe keinen Sohn und die, die behaupten, daß Jesus Christus Gottes Sohn sei, sind im Grunde Feinde. Das heißt: Im Kern des christlichen wie des islamischen Bekenntnisses ist keine Übereinstimmung zu finden. Wenn dann trotzdem von "monotheistischer Ökumene" geredet wird, ist das eine Vernebelung der Sachverhalte.

Befürworter aus den christlichen Kirchen, die den Islam tolerieren, geben einen Kern des christlichen Glaubensbekenntnissses auf?

Reuter: Wer sich zum Allah des Koran bekennt, der ist kein Christ!

Wie ist Ihre Erklärung dafür, daß christliche Kirchen sich mehr um die Muslime sorgen als um ihre eigenen Schäflein?

Reuter: Die Gemeinde Jesu muß sich um alle Menschen sorgen! Dabei ist allerdings entscheidend, daß sie bei ihrem Auftrag bleibt. Alarmleuchten blinken da auf, wo – wie schon lange vor der gegenwärtigen Herausforderung durch den Islam – zentrale Bekenntnisinhalte entweder vernachlässigt oder umgedeutet werden.

Woran denken Sie dabei?

Reuter: Die Lehre vom Kreuz und der Auferstehung, die Lehre von der Gottessohnschaft Jesu, die Lehre von Sünde und Gnade. Im kirchlichen Raum ist noch viel davon die Rede. Jedoch sind die Inhalte oft umgebogen. Dann bleiben nur noch Worthülsen. Das Christentum reduziert sich dabei tendenziell auf eine Gruppe zur Gesellschaftsgestaltung. Man beschäftigt sich kirchlicherseits dort nicht mehr mit der Frage "Wie ist dein Verhältnis zu Gott?", sondern tut so, als sei das erledigt und biedert sich teilweise den Menschen an als eine Ideologie zur Weltverbesserung.

Im Prinzip sehen Sie die geführte Auseinandersetzung also als ein Ergebnis der Abkehr der Evangelischen Kirche von Kernbestandteilen des christlichen Glaubens?

Reuter: Sagen wir mal so: Die Tatsache, daß die Evangelische Kirche im Augenblick in der Frage der Auseinandersetzung mit dem Islam insgesamt einen schwachen Eindruck macht, liegt vor allem daran, daß man sich der eigenen Fundamente nicht mehr sicher ist. Die Auseinandersetzung mit dem Islam kann aber nur auf der Basis einer Besinnung auf die eigenen Grundlagen gelingen: Reformation statt Deformation!


 
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