© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/97  19. September 1997

 
 
Katholizismus, Abendland, Nation
von Werner Olles

Katholizismus und Nation. Das bezeichnet für Deutschland die Geschichte eines schwierigen Verhältnisses. Die Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im Jahre 1806 war ein Mitauslöser der Wende der Romantik zum Konservativen in Deutschland. Mit Sehnsucht blickte man plötzlich in die Vergangenheit, nachdem das letzte einigende, wenn auch lockere Band zwischen den deutschen Staaten zerschnitten war. Während der Spätromantik spielte der Katholizismus in der Geistesgeschichte des deutschen Nationalbewußtseins eine bedeutende Rolle. Die Rolle, die etwa deutsche Romantiker wie Joseph Görres, Franz von Baader, Adam Müller oder Friedrich Schlegel spielten, zeigen, daß sich die Katholiken damals an der Spitze der nationalen Bewegung befanden. Religion, Einheit der Nation und Volkstum vereinte das Konzept eines Europa der Vaterländer.

Vom Nationalliberalismus laizistischer Prägung war zu dieser Zeit noch wenig zu spüren. Dennoch geriet diese Position zunehmend in die Defensive, da sie die Fragen der Staatsgewalt, der Nation und des schwierigen Verhältnisses zwischen Staat und Kirche vor Ort nicht in der Weise lösen konnte, die eine Integration in den Nationalstaat erleichtert hätte.

Der nationale Gedanke hingegen ghettoisierte den Katholizismus bis 1870 gründlich. Das Modell der Nationalkirchen war zwar ein Versuch zur Zeit des Ancien Régime, handlungsfähige Ortskirchen zu schaffen, zugleich wurde aber die Einheit der Kirche großen Gefahren ausgesetzt. Zumeist blieb den nationalkirchlichen Bewegungen jener Zeit, dem Deutschkatholizismus, den nationalschweizerischen Katholikenvereinen und ähnlichen Bestrebungen in Frankreich der Erfolg versagt. Als erfolgreichste dieser Bewegungen bildete sich in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts die "Action française", deren Angebot aus Nationalismus und Integrismus christ-katholischer Prägung zunächst auch für Rom nicht leicht zu definieren war. Die Verurteilung der Action française 1926 durch Pius XI. erfolgte dann, weil zwischen dem Nationalismus der Action française und dem katholischen Universalismus das Traditionsverständnis in einer Weise litt, die nur durch Unterwerfung oder Schisma zu lösen war.

Nach 1933 tauchte auch in Deutschland für eine kurze Zeit der Schatten einer Nationalkirche am Horizont auf, als die deutschen Bischöfe mit Kardinal Faulhaber an der Spitze Papst Pius XII. auf die Drohungen aus Kreisen des NS-Regimes hinwiesen. Dagegen forderte der polnische Klerus eine eindeutigere Verurteilung der NS-Verbrechen durch den Heiligen Stuhl. Tatsächlich hatten die polnischen Emigranten in den USA bereits eine eigene Nationalkirche gegründet, weil sie sich von Rom nicht genügend unterstützt fühlten.

Die Resistenz der katholischen Kirche gegen jedwede nationalistischen Bestrebungen rührte zum einen aus der Angst gegenüber revolutionären Bewegungen, zu denen auch der Nationalismus gezählt wurde, zum anderen aber aus dem Trauma des Schisma. Der Nationalismus als formelle Antithese des Katholizismus, als entfesselte Dämonie einer neuen Religion wird in einer Umfrage des katholischen Journalisten und Italianisten Maurice Vaussard nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gar zu einer neuen Häresie stilisiert. Nur wenige der Befragten – insgesamt etwa 160 Persönlichkeiten der katholischen Welt – wie der Jesuitenpater Yves de la Brière oder der Erzbischof von Cambrai, Mgr. Chollet, bekennen sich zu einem aktiven Patriotismus und verliehen dem Nationalismus – beeinflußt von den Theorien der Action française – sogar einen gewissen theologischen Rang.

Inzwischen mußte man aber feststellen, daß in Deutschland ein Buch wie Julius Langbehns "Der Geist des Ganzen" mit seiner Verherrlichung der nordischen Rasse auf die Gedankenwelt der katholischen Milieus einen nicht unerheblichen Einfluß ausübte. Der Philosoph Eduard von Hartmann hatte den Gedanken der Unvereinbarkeit von Katholizismus und Reichsbürgerschaft entwickelt. Durch den Kulturkampf wurden die deutschen Katholiken als "Reichsfeinde" (Bismarck) neben Welfen, Polen, Dänen und Elsaß-Lothringern aus der nationalen Gemeinschaft ausgegrenzt. Erst zu Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 wurden durch die katholischen Kriegspredigten nationale Anliegen wieder aufgegriffen, freilich auf eine Art und Weise, daß die Botschaft der christlichen Nächstenliebe kaum noch zu hören war.

Die Ideengeschichte des politischen Rechtskatholizismus ist eng mit dem Namen Martin Spahn verbunden. Er war der führende Kopf einer recht heterogenen Gruppe innerhalb des politischen Katholizismus, die sich als Vertreter eines Neuen Nationalismus bezeichneten. Als Konservative mit einer betont preußisch-nationalen Haltung sahen sie in der Zentrumspartei eher einen Hort des Liberalismus und der Demokratie. Neben Spahn gehörten Eduard Stadtler, Heinz Brauweiler, der Chefredakteur des Düsseldorfer Tageblattes, Max Wallraff, Kurt Ziesche, Paul Lejeune-Jung und zeitweise auch der christliche Arbeiterführer Adam Stegerwald zu dieser Gegenbewegung jenes Teils der Katholiken, die die innenpolitische Wende 1917 als verhängnisvolle Herrschaft des Parlamentarismus betrachteten und mit der Koalition des Zentrums und der politischen Linken nicht einverstanden waren. Ihre Alternative zum parlamentarischen System war der Ständestaat, während sie den republikanischen Kurs des Zentrums, für den allein Matthias Erzberger verantwortlich gemacht wurde, als Verleugnung der eigenen Tradition, vor allem aber der Prinzipien der katholischen Kirche brandmarkten. Nach der Ermordung Erzbergers fand jedoch keieswegs ein Richtungswechsel in der Partei statt, und so trennte sich eine kleine Gruppe unter Führung Spahns endgültig vom Zentrum und wechselte zur Deutschnationalen Volkspartei (DNVP).

Spahns Ideenwelt war indes eine Mischung aus katholisch-romantischem und jungkonservativem Gedankengut, eine Orientierung an der christlichen Reichsidee des Mittelalters und des christlich-sozialistischen Werksgemeinschaftsgedankens. Von der nationalen Rechten unterschieden sie sich primär durch ihre Vorstellung von der Monarchie als Spitze und Krönung eines gegliederten Ständestaates. Eine Rückkehr zur Monarchie war nicht geplant. 1929 kam es zu einer schweren Krise innerhalb der deutschnationalen Katholiken. Nach der Übernahme der Parteiführung der DNVP durch Hugenberg und dem von ihm beschlossenen Fraktionszwang wurde den katholischen Abgeordneten das Eintreten für das Konkordat Preußens mit der Kirche verboten. Aber während sich Spahn weiterhin vorbehaltlos hinter Hugenberg stellte, verließ ein Teil der katholischen DNVP-Abgeordneten die Partei, um sich den Volkskonservativen anzuschließen oder wie Paul Lejeune-Jung zum Zentrum zurückzukehren.

Rechtskatholiken betätigten sich aber auch in anderen Organisationen der außerparlamentarischen nationalen Opposition, so im Stahlhelm, dem Jungdeutschen Orden, dem Politischen Kolleg, dem Juni-Klub und dem Jungnationalen Bund. Sie arbeiteten als Herausgeber und Redakteure zahlreicher konservativ-revolutionärer Zeitschriften, wie Das Großdeutsche Reich, Das Gewissen, Deutsche Rundschau, Süddeutsche Monatshefte und Grenzboten.

Daß dennoch nicht von einer ideologisch-organisatorischen Einheit des Rechtskatholizismus gesprochen werden kan, lag vor allem daran, daß sein Verhältnis zum Nationalismus äußerst heterogen war. Viele bekannte Rechtskatholiken hatten sich für eine gemäßigt konservative Position entschieden, manche distanzierten sich schon nach kurzer Zeit von Hitler, so Max Buchner, der zunächst mit dem Nationalsozialismus sympathisiert hatte und später an der Münchner Hochschule einen Widerstandskreis gegen das NS-Regime aufbaute. Paul Lejeune-Jung und Ferdinand Freiherr von Lüninck, die bereits 1932 zum Zentrum zurückkehrten, bezahlten mit ihrem Leben für ihren Widerstand gegen Hitler.

Der "Bund katholischer Deutscher – Kreuz und Adler", der unter der Schirmherrschaft Papens stand, scheiterte. Allein Spahn und Stadtler setzten sich für eine Auflösung der DNVP, die sich inzwischen Deutschnationale Front nannte, ein und propagierten den Anschluß an die NSDAP. Sie sahen im Nationalsozialismus ihre Grundsätze verwirklicht. Erst Anfang der vierziger Jahre wandte sich Martin Spahn innerlich enttäuscht vom Nationalsozialismus ab.

Die katholisch geprägte Abendlandbegeisterung der 20er und frühen 30er Jahre versuchte Titularbischof Alois Hudal 1935 noch einmal anzufachen, indem er das Abendland als Lebensform und kulturelle Größe deutlich abgrenzte von jedem "Radikalismus, in dem die Nationen sich aus Überschätzung des nationalen Gedankens ein kulturelles Ghetto bauen". "Deutsches Volk und christliches Abendland" nannte sich die Broschüre, in der die abendländische Idee ausdrücklich gegen die Rassenideologie zu einem Gegenentwurf wurde.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges entstand in enger Verbindung mit der 1946 gegründeten Zeitschrift Neues Abendland die Abendländische Akademie. Indes sprach man in evangelischen Kreisen inzwischen leichter vom Abendland, während die deutschen Katholiken sich noch ziemlich schwer taten, eine gewisse Nachkriegsdistanz zu überwinden. Der Abendlandbegriff, wie ihn beispielsweise Konrad Adenauer verwendete, war einerseits zwar eine Abweisung des Nationalismus, andererseits aber durchaus gedacht als Propagierung einer Kultur- und Schicksalsgemeinschaft, die vom Geist des christlichen Abendlandes getragen wurde.

Der katholische Universalismus hatte sich in den fünfziger Jahren endgültig zur reinen Abwehrbewegung gegen Sozialismus und Kommunismus und zum Basisgedanken der Westintegration der Bundesrepublik entwickelt.


 
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