© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/97  19. September 1997

 
 
Pankraz, Sankt Georg und die Soja auf Kohlrabischaum

von Günter Zehm

Im Kampf um die Kanzlerkandidatur macht Lafontaine zur Zeit einigen Boden gut, weil gewisse Zweifel an Schröder wachsen. Hat er wirklich das Zeug dazu, fragen sich viele, vor allem parteiungebundene, Zeitgenossen, eine politische Wende einzuleiten? Weiß er überhaupt um die ziemlich einmalige Position, in der er sich befindet, um die Chancen, die sie birgt?

Schröder könnte, wenn er es wollte, als eine Art heiliger Georg der Demokratie in die Geschichte der BRD eingehen, als Drachentöter, der endlich mit dem Gezücht des Parteienübermuts und der Parteianmaßung aufräumt. Er ist der erste Kandidat, der im Volk dauerhaft populärer ist als bei seinen eigenen Parteigenossen, der den "Apparat" seiner Partei, das Heer der Kleinfunktionäre und Klein-ideologen, eindeutig gegen sich hat und trotzdem ganz oben schwimmt, getragen von positiven Umfrageergebnissen und der zähneknirschenden Einsicht seiner "Basis", daß nur mit ihm und nicht ohne ihn die anstehende Wahl zu gewinnen sei.

Beim Kanzler Kohl ist es bekanntlich umgekehrt. Er ist im Volk alles andere als populär, aber den Apparat seiner Partei hat er unverbrüchlich hinter sich. Einige Politologen schreiben, Kohl habe sich längst über die Partei "hinweggesetzt", habe sie zum bloßen "Wahlverein" degradiert, aber das Gegenteil ist richtig. Kohl ist Parteimann durch und durch, denkt völlig von der "Basis" her und bastelt beständig an dieser "Basis" herum, um seine Macht abzusichern und auszubauen.

Bei Schröder hingegen wirkte es manchmal schon kamikazehaft, mit welcher Wurstigkeit er die heiligsten Güter des Parteikomments beiseitestellte und den Ideologen des eigenen Lagers immer wieder die Tour vermasselte. Er verschaffte sich Widerhall lieber an den berühmten "Stammtischen", bei der "Industrie", bei geplagten Polizeibeamten, bei den kleinen Sparern, die wegen des albernen Euro Angst um ihr Geld haben. Das mochte Taktik sein oder wirk-liche Überzeugung – dem Volk gefiel’s, es dachte sich: "Gut, der Mann will an die Macht, das wollen sie ja alle, aber der sagt wenigstens, was Sache ist, und macht sich damit bei seinen Genossen unbeliebt. Das ist doch schon was."

 

Das Parteiwesen mit seinen verlogenen Frontstellungen, seinem Postengeschiebe und seiner langweiligen Rhetorik ist mittlerweile derart unpopulär, daß schon der kleinste "populistische" Zungenschlag eines Mächtigen honoriert wird. Das Volk begreift jetzt, wie weise einst das Grundgesetz textete, als es davon sprach, daß die Parteien an der Gestaltung der Politik lediglich "mitwirken". Es lechzt geradezu nach herausragenden Kandidaten, die sich nichts mehr von ihrer Partei gefallen lassen, die, einmal gewählt, die demokratischen Spielräume voll ausnützen und Entscheidungen treffen, ohne auf Gremienbeschlüsse zu warten.

Wenn Schröder gewählt würde und seinen bisherigen Stil auch als Kanzler fortsetzte, würde ein Riesenstoßseufzer der Erleichterung durchs Land gehen. Die Kohlsche, vom Geist des Parteiwesens geprägte Politik, wichtige Regierungsvorhaben, statt sie im Parlament brutal zur Abstimmung zu stellen, erst enmal in allen möglichen Gremien auszukungeln und zu verwässern, hat ja ganz entscheidend zum allgemeinen Niedergang beigetragen. Ein Regierungschef, der statt dessen sagte: "Das und das wird gemacht, dafür bin ich gewählt worden, und wenn das Parlament es ablehnen sollte, trete ich eben zurück" – ein solcher Chef hätte das Volk wie ein Mann hinter sich.

Er könnte gar nicht mehr vollständig in der Versenkung verschwinden, weder die Partei noch die Medien könnten ihn wegradieren. So hätte er die Möglichkeit, endlich das einzuleiten, was in der deutschen Politik so bitter nötig ist: Her mit dem supereinfachen Steuersystem! Schluß mit der ungebremsten Zuwanderung, mit dem abenteuerlichen Asylmißbrauch! Schluß mit der widerlichen, masochistischen "Vergangenheitsbewältigung"! Sich nicht mehr zur Melkkuh Europas oder von sonstwem machen lassen! Keine politische Herumfummelei an der Währung! Euro nur nach ausreichender Karenzzeit mit solider Haushaltspolitik! Abbau der Selbstprivilegierung der "politischen Klasse"! Entschlossene Anhebung der wissenschaftlichen und moralischen Standards, wo immer es geht! Kann Gerhard Schröder der Exekutor einer solchen Politik werden? Seine Chancen stehen, wie gesagt, gut, seine Position ist günstig. Er muß sich nicht mehr um Fünfprozenthürden sorgen, muß sich nicht mehr von unten heraufarbeiten oder von irgendwelchen Seiten her quereinsteigen, er hat die Ochsentour hinter sich und kann von den Medien auch nicht mehr leichthin als Faschist, Populist, Kapitalistenknecht, Law-and-order-Mann, Stammtischpolitiker, Wild-West-Sheriff, Atom-Lobbyist, Westentaschen-Machiavelli niedergemacht werden. Der Zeitgeist ist ihm wohlgesonnen.

Wenn dennoch seit neuestem die Zweifel wachsen, so liegt das am wenigsten daran, daß die Konkurrenten ihn zu kopieren beginnen und im Zeichen des Dauerwahlkampfs ihrerseits "populistische" Versprechungen am laufenden Band abliefern. Es liegt an der Figur selbst, wie sie sich im Bundestag, bei Ausstellungseröffnungen und überhaupt in den Medien präsentiert. Es ist mittlerweile zu viel Routine in dieser Figur, zu viel theaterpuppenhafte Wiederholung, parallel dazu zu wenig neue Einfälle, zu wenig Phantasie, zu wenig Herz. Ein scharfer Beobachter sagte zu Pankraz: "Das ist gar kein Treiber, sondern ein Getriebener."

Das kommt ja nicht nur in der Politik, sondern auch in anderen Lebenszusammenhängen vor: daß einem plötzlich die innere Motivation abhanden kommt, sich eine große Leere auftut. Der Motor stottert dann einige Zeit weiter, aber es ist im Grunde nur noch (um ein Wort von Schröder selbst zu verwenden) "gebratene Sojaspitze auf Kohlrabischaum". Das Rennen wäre vorzeitig aus. Zu gönnen wäre das keinem der Konkurrenten.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen