© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/97  19. September 1997

 
 
Kino: "Funny Games" von Michael Haneke schockiert die Zuschauer
Wetten, das Grauen wird fühlbar
von Ellen Kositza

Familie Schober, Bildungsbürgertum durch und durch, reist zu ihrem noblen Landsitz: Segeltörns und Golfturniere im exklusiven Kreis sollen die Urlaubstage füllen. Merkwürdig verstockt geben sich allerdings die benachbarten Villa-Bewohner – sonst gute Freunde – bei der Begrüßung aus dem Auto heraus. Nachbars haben Besuch, zwei nette und überaus wohlerzogene junge Männer namens Peter (Frank Gierig) und Paul (Arno Frisch), die kurz nach Schobers Ankunft an deren Tür klopfen und um Eier für Frau Nachbarin bitten. Scheinbar durch ein Versehen entgleiten Peter die Eier – er erhält neue. Als ihm auch diese wieder zerbrechen, verweigert Anna Schober (Susanne Lothar) ihm weiteren Nachschub – und verletzt damit die makabren Spielregeln der beiden Männer. Annas Mann Georg (Ulrich Mühe) versucht schlichtend einzugreifen, die Situation eskaliert. Familie Schober merkt rasch, daß sie nun im eigenen Haus gefangen ist.

Peter und Paul erweisen sich dabei nicht als irre Psychopathen, denen es um dumpfe Gewalt geht – sie spielen mit ihren Opfern, wobei den Rahmen dieser "funny games" eine makabere Wette bildet: "Wetten, daß ihr in zwölf Stunden alle kaputt seid?", verkündet der charismatische Peter seine Spielidee, und für Anna, Georg und ihren Sohn Schorschi beginnt nun eine Nacht banger Hoffnung, in der das Ehepaar zunächst psychisch zugrunde geht: Mit rotgeränderten Augen, wirren Haaren und irrem Blick werden sie selbst zu degennerierten Gruselmonstern.

Während die Mehrzahl der Zuschauer den Kinosaal noch vor dem Abspann des reichlich mit Vorschußlorbeeren bedachten österreichischen Films augenscheinlich unzufrieden verlassen und ein junger Mann in der hintersten Reihe "Das ist doch Bolschewismus!" ruft, bleibt die Rezensentin unentschlossen.

Neben Reminiszenzen aus "Kap der Angst", "24 Stunden" und weiteren Thrillern erinnert Michael Hankes Film vor allem an Oliver Stones "Natural Born Killers" – weniger durch seinen Inhalt als durch die innewohnenden Botschaften der Unmoral, des Anarchismus – gepaart mit Darwinismus –, letztlich eine Art Nihilismus.

Während "Natural Born Killers" diese Tendenzen zu einem tolldreisten Gesamtkunstwerk bündelt, beinhaltet "Funny games" noch weitere Ausagen, ohne diese jedoch bis zur letzten Konsequenz durchzuhalten. Die verschwimmende Grenze zwischen Realität und Fiktion wird zusätzliches Thema. Durch unverhoffte Kommentare Pauls zum Zuschauer, durch ein Greifen zur Fernbedienung mit Rückspultaste, als der Film einen andere Wende nehmen will, wird der Thriller zum Vorführstück, das den Kinogänger integriert.

Das Phänomen der Gewalt greift "Funny games" ebenfalls ganz zentral auf. Gewalt wird hier in Form einer Selbstherrlichkeit und gleichzeitig als Naturgesetz interpretiert. Haneke verzichtet auf jegliche Art von Milieustudie, persifliert sogar die üblichen Kindheitstrauma und Unterschichtsklischees als gängige Erklärungen. Er wolle "der Gewalt das zurückgeben, was sie eigentlich ist" sagt Haneke, er sei "kein Sozialarbeiter und auch nicht der Oberlehrer der Nation". Das bedeutet keine Gewaltverherrlichung. Vielmehr wird, ohne daß die Kamera die brutalen Aktionen dem Zuschauer direkt präsentieren würde, die Lust an Gewalt und das Leid der Opfer mit solcher Wucht in den Kinosaal getragen, daß das Grauen beinahe fühlbar wird. Was das alles soll, fragt man sich dennoch nach dem unheilvollen Ende dieser "netten Spielchen". Fie Frage beschäftigt den Kinogänger auch noch Tage später. Insofern: ein außergewöhnlicher Film.


 
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