© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/97  19. September 1997

 
 
Würdigung: Hans Jochen Eyseneck
Mutiges Leben
von Hans-Helmuth Knütter

Mit Hans-Jürgen Eysenck, der am 4. September dieses Jahres im Alter von 81 Jahren in London starb, hat die Welt einen der bedeutendsten und wirkungsmächtigsten Psychologen verloren. Aber nicht nur die Wissenschaft hat einen Verlust erlitten, im "Fall Eysenck" spiegeln sich auch Geist und Ungeist unserer Zeit. Der in Berlin geborene Psychologe emigrierte als Zwanzigjähriger aus dem NS-Deutschland erst nach Frankreich, später nach England. Dort machte er sich in der Wissenschaft einen Namen. Weltweit bekannt wurde er in den siebziger Jahren. Damals herrschte die Denkschule der "Behavioristen" vor. Sie vertraten die Meinung, alle Menschen seien von Natur aus gleich und Unterschiede seien nur gesellschaftlich bedingt. Deshalb könne man aus jedem Kind durch Erziehung ein Genie, einen "Edelmenschen" oder einen Verbrecher machen. Entscheidend seien die gesellschaftlichen Verhältnisse, die das Erziehungswesen bestimmen; die Rolle der Erbanlagen wurde geleugnet.

Bekanntlich waren die Jahre nach 1963 vom "Wandel durch Annäherung" gekennzeichnet. Der "Behaviorismus" stand – ohne daß direkte Beziehungen bestehen – in Verbindung mit der marxistischen Auffassung, das soziale Sein bestimme das Bewußtsein. Deshalb wurde diese verhaltenswissenschaftliche Auffassung nicht nur in Deutschland von der Linken begeistert und gläubig nicht aus wissenschaftlicher Überzeugung, sondern aus ideologischen Gründen aufgegriffen. Die Forderung nach Ablösung des gegliederten Schulsystems durch die Gesamtschule, die Schule der angeblichen Chancengleichheit war die Folge. In dieser Situation landete Hans-Jürgen Eysenck einen Volltreffer: In mehreren empirischen Untersuchungen wies er nach, daß die Menschen von ihrer natürlichen Anlage her ungleich seien. Er stützte sich auf Forschungen mit eineiigen Zwillingen. Die Wirkung seiner Veröffentlichungen war entlarvend – für seine Gegner. Der NS-Emigrant wurde als "Faschist" und "Rassist" diffamiert. Vorträge konnten nicht stattfinden, seine Familie wurde bedroht, und selbst seine Kinder wurden in Sippenhaft genommen, weshalb sie zeitweise ihren Namen ändern mußten.

Allerdings setzten sich in den achtziger Jahren die Erkenntnisse Eysencks durch. Es zeigte sich, daß die westliche Linke in ihrer meinungsterroristischen Bösartigkeit sich vom Gesinnungsterror im totalitären Ostblock nicht unterschied. Aber ihre Möglichkeiten, die böse Absicht durchzusetzen, waren doch gering. Der westliche Pluralismus erwies sich zuguter Letzt doch als stärker. Der Kommunismus und seine Fellow travaller in Politik und Wissenschaft gerieten in die Defensive.

Am "Fall Eysenck" wird deutlich, wie labil die Rationalität ist, auf der unsere gesellschaftliche, politische und wissenschaftliche Ordnung beruht. Selbst jene Linken, die sich in der Tradition der Aufklärung sehen, sind Irrationalisten, denn der Gedanke der Gleichheit beruht auf Glauben. Wer dagegen verstößt, wird exkommuniziert – früher aus der Kirche, heute aus der vom gegenwärtigen Establishment beherrschten Gesellschaft. Der Fortschritt besteht darin, daß man nicht mehr verbrannt, aber gebannt wird.

Wir leben in einer wendereichen Zeit, und für Eysenck kam die Wende noch zu Lebzeiten. Seine empirischen Forschungsergebnisse setzen sich durch. Nach der Regel des sinkenden Kulturguts zwar nicht in der veröffentlichten Meinung der Tagespublizistik, aber in der Wissenschaft. Allerdings bekannten seine Gegner nicht ihren Irrtum, sondern schwiegen verkniffen.

Der "Fall Eysenck" bestätigt: Nur was wir glauben, wissen wir gewiß. Gewißheit kommt nicht aus dem Wissen, sondern aus dem Glauben. Das ist heute nicht mehr ein aufs Jenseits und die Offenbarung bezogener Glaube, sondern er tritt als Wissenschaft, das heißt rationalistisch drapiert auf. Die Ratio aber ist immer bedroht, und Irrationalismus kann – wie bei den Gegnern Eysencks – in rationalistischer Tarnung auftreten. Das geschieht immer dann, wenn die Rationalität mit dem Anspruch auf alleinige und absolute Geltung auftritt. Eysenck hat die rationale und außerrationale Sphäre im Menschen in einem ausgewogenen Verhältnis gesehen. Die angeborene Begabung, die in den Genen angelegt ist, macht 80 Prozent aus, die Einwirkung der Umwelt, also die der Erziehung 20 Prozent; beide müssen zusammenwirken.

Der "Fall Eysenck" ist auch ein Symptom für den Zustand der Wissenschaft in Deutschland. Während er in Großbritannien und in den USA im Hochschulbereich wirkte – trotz aller Anwürfe seiner Kritiker –, hat er hierzulande, obwohl er aus Deutschland stammte, nie eine Gastprofessur erhalten. Hosenschlotternd taten die deutschen Professoren das, was sie immer tun, sie hielten Vorsicht für den besseren Teil der Tapferkeit, liefen mit dem Zeitgeist und heulten anschließend über den Bedeutungsverlust der Wissenschaft in Deutschland. Hans-Jürgen Eysenck ist für uns alle als Vorbild geeignet: Er hatte den Mut, gegen die Zeit zu leben und zu wirken. Weder die Rationalität noch die außerrationale Sphäre der menschlichen Natur und ihres Einflusses auf die Gesellschaft wurden von ihm absolutiert. Vielmehr haben, wie er uns zeigte, beide ausgewogen ihre Funktion.Den verbalen Angriffen seiner Gegner hat er ohne zu wanken und schwanken vorbildlich widerstanden. Angesichts des Mangels an Zivilcourage unter den Gebildeten in Deutschland ist diese Haltung für einen modernen und gleichzeitig zeitkritischen Konservativismus beispielhaft.


 
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