© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/97  26. September 1997

 
 
Antifa-Ikone Thälmann: Provinzfunktionär und Demokratie-Feind
Ein Denkmal vor dem Fall
von Werner H. Krause

Noch immer behauptet er seinen Platz im Berliner Stadtbezirk Prenzlauer Berg. Das Kinn in Cäsarenpose weit vorgeschoben, die Faust emporgereckt: Ernst Thälmann, der unbeugsame Kämpfer für die Sache des Proletariats, eine Art Supermann der KPD. Die Demontage des Denkmals scheiterte bisher nicht zuletzt am antifaschistischen Glorienschein, der Thälmann in den Augen lautstarker Gruppierungen noch immer umstrahlt. Symbolhaft dafür steht seine Tochter Irma, die inmitten häuslichen Plüschs kitschige Thälmann-Devotionalien hütet. Nun schickt sich der Historiker Thilo Gabelmann an, ihn vom Podest zu stürzen. Im ehemaligen Parteiarchiv der SED stieß er auf Fakten in Thälmanns Lebenslauf, die 1979 in der DDR bei der Herausgabe seiner Biographie – ein "schwülstiges Machwerk" – auf Veranlassung des SED-Politbüros nicht an die Öffentlichkeit gebracht wurden.

Nicht einmal die Behauptung, daß er "der Sohn der Arbeiterklasse" war, stimmte. Der Historiker fand heraus, daß Thälmann Sohn eines Geschäftsmanns war, also dem Kleinbürgertum entstammte. Bis 1989 wurde der Bericht eines kommunistischen Zeitzeugen, den dieser 1929 an die Berliner Parteizentrale geschickt hatte, strikt unter Verschluß gehalten. Darin gab der Parteifunktionär folgende Beurteilung Thälmanns ab: "Man hat ihn zum proletarischen Aushängeschild der KPD erkoren, obgleich er für diesen Posten gänzlich ungeeignet ist. Thälmann besitzt das Niveau eines Provinzfunktionärs. Verworrenes Wortgedröhn, gewundene Sätze, deren Ende er zu vergessen pflegt, mißverstandener marxistischer Jargon. Ich war beschämt und erschüttert, diesen Parteiführer zu erleben. Der Mann ist nicht mehr als eine Marionette in der Hand von Mächtigen, die er nicht einmal als seine Kontrolleure zu erkennen fähig ist."

Thälmann galt zu DDR-Zeiten als großes Vorbild. Was sich da nicht in die Darstellung einfügen wollte, wurde verfälscht. So schilderte der Schriftsteller Willi Bredel in einem seiner Bücher, wie Thälmann am 5. November 1918 an die Spitze des revolutionären Proletariats tritt und den Streik der Hamburger Werftarbeiter anführt. Gabelmann stieß im Archiv aber auf einen Bericht, wonach Thälmann zu jener Zeit noch als kaiserlicher Soldat diente. "Eine Revolution ohne Thälmann, dies durfte es nach Meinung der Parteistrategen einfach nicht gegeben haben", sagt Gabelmann. Walter Ulbricht wies 1951 den Drehbuch-Autor des Films "Ernst Thälmann – Sohn seiner Klasse", Michael Tschesno-Hell an, in den Streifen eine Szene einzubauen, in der es zu einer Begegnung zwischen Thälmann und Stalin im Kreml kommt. Die hatte in Wirklichkeit niemals stattgefunden. Nach der von Chruschtschow 1956 eingeleiteten Entstalinisierung mußte just diese Szene wieder herausgeschnitten werden.

Immerhin hatte Stalin Thälmann wieder zum Vorsitzenden der KPD gemacht, nachdem ihn das Zentralkomitee am 26. September 1928 wegen der Verschleierung einer Korruptionsaffäre all seiner Funktionen enthoben hatte. 14 Tage später saß Thälmann wieder im Sattel. Die Vorgänge sind in einem Komintern-Protokoll festgehalten. Der Korruptionsfall wurde vertuscht, die Ankläger wurden Angeklagte, das Parteiorgan Rote Fahne wurde angewiesen, Thälmanns Sturz als Verbrechen gegenüber der Partei zu brandmarken.

Hitlers "Machtergreifung" am 30. Januar 1933 traf Thälmann entgegen allen nachträglichen Behauptungen völlig unvorbereitet. Die Warnungen des KPD-Fraktionsvorsitzenden im Reichstag, Torgler, schmetterte er zwei Tage zuvor ab: "Die Bourgeoisie läßt Hitler nicht ran. Wir fahren nach Lichtenberg kegeln." So geschah es. Seine Geliebte Martha Kluczynski, die Frau eines Parteigenossen, berichtete: "Thälmann war spät in den Nachtstunden des 27. Februar 1933 zu mir nach Hause gekommen. Erst hier erfuhr er aus meinem Mund von Reichstagsbrand … Er schlug dann vor, nun laß uns schlafen gehen."

Elf Jahre steckten die Nazis Thälmann ins Gefängnis, Zuchtshaus, Konzentrationslager Buchenwald, wo er 1944 ermordet wurde. Bis zum Ende der DDR gab es nicht einen einzigen Hinweis auf die zunehmende Verzweiflung, in die er während seiner Haft geriet. Von den Genossen in Moskau sah er sich immer mehr im Stich gelassen. Zu seiner Frau Rosa sagte er 1937: "Die Partei sieht mich lieber hier drin als draußen." Auch seine Hoffnung, nach Abschluß des Hitler-Stalin-Paktes 1939 ausgetauscht zu werden, erfüllten sich nicht. Stalin ließ einen entsprechenden Brief, den Rosa Thälmann über die sowjetische Botschaft in Berlin an ihn gerichtet hatte, mit dem Vermerk versehen: "Ablage im Archiv." Thälmann in einem aus dem Gefängnis geschmuggelten Kassiber: "Was seid ihr solche Scheißkerle und laßt mich im Stich." 19 Jahre nach seiner Ermordung erklärte sein Kurier Erwin gegenüber Mitarbeitern des Zentralen Parteiarchivs auf die Frage, warum Thälmann nicht gerettet worden sei: "Es war nicht die Parteilinie. Stalin war dagegen."

Als Führer der KPD und Durchpeitscher der Stalin-Politik hat Thälmann nach Ansicht von Hermann Weber, langjähriger Leiter des Arbeitsbereichs DDR-Geschichte am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung, "eine äußerst verhängnisvolle Rolle gespielt": den Untergang der Weimarer Republik habe er mit verursacht.

Warum dann der Kult um Thälmann? Weber nennt folgende Gründe: "Mit Ulbricht war wenig Staat zu machen; der biedere Pieck und der verklemmte Honecker verfügten über keinerlei Ausstrahlungskraft. So wurde Thälmann zum politischen Idol hochstilisiert, obwohl er dem geistig überhaupt nicht gewachsen war. Was die Rolle Thälmanns als Antifaschist anbelangt, so sollte nicht übersehen werden, daß von ihm wie überhaupt von der KPD alles als faschistisch bezeichnet wurde, was nicht kommunistisch war."

Thilo Gabelmann hat mit seinen Recherchen Thälmann nunmehr vollends vom Sockel gestoßen. Auch wenn der noch immer in Berlin-Prenzlauer Berg mit versteinerter Miene in die gewende


 
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