© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/97  26. September 1997

 
 
Bildungspolitik: Fehler und Halbheiten
Nachhilfebedarf
von Erich Glück

Nicht selten verhalten sich Politiker wie unzureichend vorbereitete Schülerinnen und Schüler vor einem Test: Sie versuchen, sich anhand von geschickt getarnten, aber nicht immer wirksamen Hilfsmitteln über eine viel zu schwierig empfundene Aufgabenstellung zu mogeln. Was im Schülerjargon "Schummelzettel" heißt, bezeichnet die Politik euphemistisch "Konzept". Beide zeitigen oft die gleichen nicht genügenden Resultate. Ehe im noch jungen Schuljahr aus Aktualitätsgründen die ersten "Schummler" in den Federschachteln oder unter den Rockärmeln verschwinden, wimmelt es allerseits mit den traditionellen Beiträgen zum generellen schulpolitischen Verwirrspiel vor jenen Konzepten, die als Manifeste der "Schule der Überforderten" in die Bildungsgeschichte eingehen.

Das kapriolenreiche Kabinett Klima legt den langfristig vor der Aussichtslosigkeit eines Lehramtsstudiums gewarnten arbeitslosen Jungpädagogen nahe, angesichts der für ihre Berufsausübung gar zu fernen Zukunft, als Nachhilfe-Organisationen Zeit- und Geldbrücken über die Abgründe des Arbeitsmarktes zu schlagen.

"Greift’s zu, Leutln, das Geld liegt auf dem Schreibtisch. Ihr braucht es nur einzustecken", rät die Verlegenheitsrhetorik des Regierungschefs den Rat- und Arbeitslosen. Schließlich blättern die verzweifelten Eltern für das vermeintliche didaktische Heilmittel zum plötzlich auch marktpolitisch gewordenen Zweck jährlich fast 1,5 Milliarden Schilling hin. Mit solch vernebelter Kurzsichtigkeit Langzeitprobleme lösen zu wollen, garantiert ein Reiz-"Klima" bei allen, die schon demnächst als Strandgut der drohenden Akademikerflut von den gnadenlosen Gezeiten der Marktmechanismen auf dem wirtschaftlichen Brachland angeschwemmt werden.

Was heute die Lehrer, sind morgen die Betriebswissenschafter, Juristen, Mediziner. Welche "Nachhilfe-Unternehmen" bieten sich für diese Uni-Absolventen analog zum Kanzler-Kalauer für brotlose Lehrer an?
Klima selbst braucht als gegenwärtig verläßlicher Verwalter der höchsten österreichischen Arbeitslosenziffer seit der Besatzungszeit im Zusammenhang mit einem wirksamen Arbeitsbeschaffungskonzept, das kein neuerlicher "Schummelzettel" sein darf, Nachhilfe.

Dringenden Nachhilfebedarf haben auch jene Pauschalierer, die aus der Lebensschule der Unwissenheit plaudern, wenn sie allein die Lehrkräfte für die immer notwendiger werdenden Nachhilfestunden verantwortlich machen. Seit jeher beherbergt die Institution Schule pädagogische Gnome, die sich nicht bewußt sind, welche Fehlentscheidung sie mit ihrer Berufswahl getroffen haben. Die alles wissen, nur nicht das, wie junge Menschen Lern- und Lebensinhalte zu vermitteln sind. Sie diskreditieren einen verantwortungsvollen Berufsstand, der in seinem Ethos auch ein Maximum des manchen Branchen restlos verlorengegangenen Idealismus abverlangt.

Daß es Kinder und Jugendliche gibt, die von ahnungslosen Eltern in Schultypen gedrängt werden, die ihren Eignungen kraß widersprechen, wird tunlichst unter den Teppich der Unzulänglichkeiten des hiesigen Bildungssystems gekehrt. Tausende Kinder zittern in den Unterstufen der AHS von einem Mißerfolg zum anderen, weil ihr Talent eher dem Hauptschul-Lehrplan entspricht. Da jedoch primär im städtischen Bereich die Hauptschule zur problemüberfrachteten Restschule degeneriert ist, halten es die Erziehungsberechtigten für ihre Pflicht, den Kindern die Chance eines Gymnasiums zu geben.

Der jüngste Ansturm auf die berufsbildenden höheren Schulden in Österreich hat viel weniger mit dem Unwillen auf Allgemeinbildung seitens der Jugendlichen zu tun, wie ein vorschnell urteilender Kritiker beim sommerlichen Forum in Alpbach zu wissen glaubte. Die BHS hat mehr Zulauf als die AHS, weil die Berufschancen noch ein wenig besser sind als die mit Gymnasialmatura. Die berufsbildenden Schulen verzeichnen auch Anmelderekorde, da sie von den Eltern als einzige, wenn auch nicht immer taugliche Alternative zu den fehlenden Lehrlingsplätzen angesehen werden.

Die Leistungsquoten werden dadurch nicht besser. Viele Schüler merken bald, daß sie auf dem falschen "Dampfer" sitzen, verharren aber wegen der trostlosen Arbeitsmarktsituation frustriert. Die innere Resignation reflektiert sich in unentschuldigten Fehlstunden und einer Vielzahl an negativen Noten. Die ratlosen Jugendlichen nehmen das Repetieren in Ermangelung der Umstiegsmöglichkeiten in die Berufspraxis in Kauf. Die Zeugnisbilanz von 1996/97 für Schülerinnen und Schüler von drei bis sechs "Nicht genügend" und zwei bis drei durch zahlreiche Fehlstunden bedingte "Nicht beurteilt"-Vermerke ist weder der Zerrspiegel einzelner Ausnahmefälle noch der einer allgemeinen überstrengen Notengebung.

Im österreichischen Bildungswesen ist jede Menge Sand im Getriebe. Gestreut von Politikerhänden, die "Wissen ist Macht, nix wissen macht auch nichts" als Zeichen der Zeit auf eine bedenklich verflachende Kulturwand malen. Ein "menet-ekel"-haftes Phänomen.


 
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