© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/97  26. September 1997

 
 
Europäische Währungsunion: Streit der Experten in Österreich eskaliert
Schattenboxen um den Euro
von Ernst Fröhlich

Die politische Sommerflaute scheint sich auch in den Herbst fortzusetzen, wenn auch mit ungleich schneidigeren Worten. Eines der größten Reizthemen dieser Tage ist auch in Österreich zweifellos die Einführung des Euro. Hier wird nicht nur diskutiert, sondern augenscheinlich geblendet und – sicher nicht ohne Absicht – Verwirrung gestiftet.Das Spektrum der an dieser Diskussion Beteiligten reicht dabei von Bundespolitikern bis zu Wirtschaftsexperten, wobei eigentlich nur jene Aussagen auffallen, die nicht im Euro-Einheitschor den Segen der europäischen Währung hymnisch preisen. Die augenfällige Hast, mit der man von offizieller Seite her zum Euro treibt, macht dabei mehr als mißtrauisch, und die Ängste, die dabei verbreitet werden, sind ebenso irrational wie die Erwartungen, die man in die Einheitswährung setzt.

Erich Streissler, Ordinarius für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Wien, forderte unlängst in einem Gastkommentar in der Presse: "Auf wirtschaftlich freien und integrierten Kapitalmärkten sollte pessimistisches Gerede von Politikern … geradezu als Hochverrat gebrandmarkt werden", und er erläutert: "Solch problematisches Gerede hat gegenwärtig zu einer … äußerst kräftigen Abwertung der deutschen Mark geführt." Jeder Nicht-Wirtschaftsexperte wird sich an dieser Stelle fragen, wie es möglich ist, daß pessimistisches Gerede zur Abwertung einer angeblich so stabilen Währung wie der Deutschen Mark führen kann. Ebenso erstaunt ist man als Laie, wenn man dem Ordinarius weiter folgt. Seiner Ansicht nach sind nämlich die Aufwertung der Lira und die damit einhergehenden Rückgänge im Fremdenverkehr und in der Außenhandelsbilanz gut für den Euro: "Zur Währungsstabilität leistet mangelnde Nachfrage und die durch sie ausgelöste Deflation einen entscheidenden Beitrag."

Daß das hier fehlende Kapital eigentlich nicht gespart, sondern in der Dominikanischen Republik oder auf den Malediven ausgegeben wird, scheint Streissler ebenso zu negieren wie die Überlegung, daß ein Rückgang der italienischen Wirtschaft negative Auswirkungen auf den Euro haben muß. Von Deflation kann also keine Rede sein, das Gegenteil ist der Fall.

Die Euro-Debatte zeichnet sich vor allem dadurch aus, daß trotz der Fakten und Untersuchungsergebnisse, die gegen die Einführung der Einheitswährung sprechen, diese mit allen möglichen und unmöglichen Argumenten vorangetrieben wird.

Das National Institute of Economic and Social Research in London errechnete im Auftrag des Europäischen Parlaments, das es EU-weit bis zum Jahre 1999 zu einem Arbeitslosenzuwachs von 1,5 Millionen Menschen auf insgesamt 19,5 Millionen kommen werde, würden die Konvergenzkriterien streng eingehalten.

 

ÖVP-Schüssel spricht Haider Wirtschaftskompetenz ab

Dennoch neigt man in der EU zu einem unverständlichen Optimismus. So ist Felix Butschek vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) der Meinung, der Arbeitsmarkt würde sich nach der Durststrecke zur Vorbereitung des Euro wieder erholen. Bezeichnenderweise gibt Butschek dafür aber keinerlei Begründungen ab. "Mit dem Start des Euro", hofft er, "dürften in der Wirtschaft wie in der Bevölkerung das Gefühl der Unsicherheit wegfallen." Aufgrund dieser Vermutung erwartet sich Butschek einen Wachstumseffekt von 3,5 Prozent.

Was Butschek nicht sagt, ist, daß viele Herstellerbetriebe in ihrer derzeitigen finanziellen Notlage die Produktion von der menschlichen auf die billigere maschinelle Verarbeitung umstellen und zum gegebenen Zeitpunkt gar keine Verwendung mehr für menschliche Arbeitskräfte haben werden.

Im Zuge dieses Schattengefechts versucht sich auch Außenminister Wolfgang Schüssel (ÖVP) als Wirtschaftsexperte: Der Mann, der seine Worte nicht unter Kontrolle hat, spricht FP-Obmann Jörg Haider, der in Harvard studiert hat, jegliche Wirtschaftskompetenz ab. Schüssel, der trotz seiner jüngsten Umfragetiefs in den Medien noch immer höher gehandelt wird als Haider, hält eine Mitentscheidung des Volkes nicht nur für überflüssig, sondern sogar für gefährlich. Ginge es nach ihm, so würden die Verhandlungen zum Euro unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfinden, denn – erklärte Schüssel – die österreichische Bevölkerung habe bereits mit der EU-Abstimmung ihr Ja zum Euro gegeben, selbst wenn es bei der damaligen Regierungskampagne geheißen hatte: Ein Ja zur EU ist ein Ja zum Schilling.

Wo es also an sachlichen Argumenten fehlt, wird die Bevölkerung munter weiter belogen und im Nachhinein erklärt, das Volk hätte selbst so entschieden.


 
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