© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/97  03. Oktober 1997

 
 
Südtirol: Das Urteil gegen Peter Paul Rainer im Mordfall Waldner gerät ins Zwielicht
Fragwürdige Ermittlungen

von Jakob Kaufmann

Anfang kommenden Jahres geht der Mordprozeß gegen den ehemaligen Bildungsoffizier des Südtirolers Schützenbundes und Chefideologen der Freiheitlichen Partei Südtirols, Peter Paul Rainer (30), in die nächste Runde. Nach dem Schuldspruch des Bozener Landgerichts gegen Rainer am 11. August kündigte sein Anwalt, der ehemalige Vorsitzende der Südtiroler Volkspartei (SVP), Roland Riz, an, gegen das Urteil in Berufung zu gehen.

Sechs Geschworene und zwei Berufsrichter hatten Rainer nach dreizehnstündiger Beratung zu 20 Jahren wegen Mordes an dem Südtiroler Landtagsabgeordneten Christian Waldner – der ebenso wie Rainer zu den Gründungsmitgliedern der Freiheitlichen Partei Südtirols gehörte – und zu zweieinhalb Jahren wegen illegalem Waffenbesitzes und -transportes verurteilt. Die Verteidigung hatte auf Freispruch wegen erwiesener Unschuld plädiert, während der Staatsanwalt 27 Jahre Haft für vorsätzlichen Mord und Waffendelikten gefordert hatte.

Die Verteidigung Rainers plädierte auf Freispruch

Roland Riz und sein italienischer Anwaltskollege Giampiero Mattei, die Rainer auch in der Berufung vertreten, bleiben bei ihrer Verteidigungslinie. Schon im Vorverfahren hofften sie, ihren Mandanten freizubekommen, da gegen Rainer keine Beweise vorliegen, sondern ihn lediglich sein eigenes widerrufenes Geständnis belastete: Die Anklage konnte nicht nachweisen, daß die Tatwaffe mit Rainers Gewehr identisch ist. Zudem erklärten Rainers Anwälte vor Gericht, warum ihr Mandant am 15. Februar dieses Jahres, dem Tag des Mordes, nicht lang genug allein war, um die Tat begangen haben zu können. Die Verteidigung fand vier Zeugen, die Waldner noch am Nachmittag des Tattages gesehen haben. Der Theorie des Staatsanwaltes zufolge soll er bereits mittags erschossen worden sein, als Rainer eine kurze Zeit ohne Zeugen verbrachte.

Die Verteidiger kritisiern vor allem die lückenhaften und zum Teil fragwürdigen Ermittlungen: Die Polizei hat die Tatwaffe nicht auf Fingerabdrücke untersucht, Rainers Auto und seine Kleidung nicht auf Spuren überprüft. Gäste, die sich in dem Hotel Reichrieglerhof aufhielten, in dem Waldner ermordet wurde, sind nicht verhört worden. Darüber hinaus hat die Polizei, zwei Tage bevor der Ermordete entdeckt wurde, die Zeit gestoppt, die ein Fahrer vom Tatort zu dem Hotel braucht, wo sich Rainer am Tattag aufhielt.

Das Geständnis, das Peter Paul Rainer in der Verhörnacht abgelegt hatte, widerrief er offiziell am ersten Prozeßtag. Bereits am Morgen danach hatte Rainer seiner Familie erklärt, er sei unschuldig und habe sich zu diesem Geständnis genötigt gesehen. Vor Gericht sagte Rainer aus, er habe der Staatsanwaltschaft mißtraut. Er habe so bald wie möglich vor Gericht kommen wollen, um in einem öffentlichen Verfahren seine Unschuld beweisen zu können.

Der Südtiroler Journalist Artur Oberhofer, der im Prozeß als Zeuge geladen war, sprach vor Gericht von einem "politischen Komplott" gegen Rainer. Oberhofer, der in Südtirol als ein Kenner der Geheimdienst-Materie gilt, konnte seine Aussage mit Fakten belegen, die diesen Schluß durchaus zulassen. So wurde Rainer nachweislich seit 1986 geheimdienstlich beobachtet. Ein möglicher Grund: 1986 gründete Rainer zusammen mit Christian Waldner unter den Vertretern der Selbstbestimmung in der SVP eine Dissidentengruppe. Die politische Polizei (ital. Abkürzung: Digos) wurde auf sie aufmerksam, als einige von ihnen in Wien bei der Eröffnung der KSZE-Konferenz 1986 für die Selbstbestimmung Südtirols demonstrierten. Inhaftierungen und Hausdurchsuchungen, gedeckt durch Strafrecht aus faschistischer Zeit, waren die Folge.

Oberhofer bestätigte dem Staatsanwalt, daß zwei Personen wußten, in welchem Gebüsch Peter Paul Rainer sein Gewehr Wochen vor dem Mord an Waldner versteckt hatte. Einen der beiden Namen wollte der Journalist im Zeugenstand nicht nennen. Der zweite, der davon wußte, sei der Student Karl Peter Schnittler (37) gewesen, der Rainer die Waffe verkauft hatte. Schnittler soll für den österreichischen Heeresnachrichtendienst arbeiten und darüber hinaus mit dem italienischen Militärgeheimdienst Sismi in Kontakt stehen.

 

Peter Paul Rainer wurden Waffen aufgedrängt

Obwohl sogar Interpol zwischen dem 18. März und 9. Juli nach Schnittler fahndete, wurde er nicht festgenommen. Dabei hätten die Behörden seiner habhaft werden können: Der Bozener Staatsanwalt Cuno Tarfusser sowie sein Chefermittler Alexander Zelger, der gerade beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden seine neue Stelle angetreten hat, vernahmen Schnittler im Innsbrucker Landesgericht während des Fahndungszeitraumes. Nur einen Tag lang, am 6. August, hielt die Bozener Polizei den Waffensammler fest, der im Freundeskreis damit geprahlt haben soll, über 200 Pistolen und Gewehre zu besitzen. Studenten Rainers, der am Institut für Geschichte der Universität Innsbruck als Assistent gearbeitet hat, können bezeugen, daß der Student Schnittler Rainer die Waffe aufdrängte.

Der Sekretär des ermordeten Waldner, Hansjörg Kofler, ein Ex-Carabiniere, dem ebenfalls Verbindungen zu den Geheimdiensten nachgesagt werden, verfing sich bei seiner Einvernahme vor Gericht in Widersprüchen. Autofahrten, die er am Tag des Mordes an seinem Chef unternommen hatte, konnte er nicht plausibel begründen. Den Angeklagten belastete er mit der Aussage, Rainer sei erpreßbar gewesen. Christian Waldner habe gewußt, daß Rainer ein gefälschtes Abiturzeugnis habe. Kofler meinte aber zugleich, Waldner habe gewiß niemanden erpreßt. Er konnte nicht schlüssig erklären, warum er den Landtagsabgeordneten zwei Tage nach dessen Ermordung nicht selbst in dessen Hotel gesucht hatte, sondern zwei Beamte der politischen Polizei Digos dorthin schickte. Die beiden Polizisten fanden dann im Hotel Reichrieglerhof Waldners Leiche, als sie auf Koflers Bitten hin dort nachschauten. Kofler war in den achtziger Jahren Mitarbeiter des Geheimdienstmannes Piernicola Nocito, der damals eine umstrittene Rolle im Südtirol-Terrorismus spielte.

Wie Zeugen im Rainer-Prozeß aussagten, soll Christian Waldner politisch kompromittierendes Material gesammelt haben. So soll er selbst über den internationalen illegalen Waffenhandel Kenntnisse gehabt haben. Rainer recherchierte einige Wochen vor Waldners Ermordung auch über Brisantes: er fand heraus, daß zwei Offiziere des italienischen Heeres, die illegal Waffen horteten, in einem mysteriösen Mordfall verwickelt waren.

Oberhofers These von einem politischen Komplott ist nicht abwegig, zumal dies kein Einzelfall wäre. Die Selbstbestimmungsbewegung, der Waldner und Rainer angehörten, wird in Italien diskreditiert und kriminalisiert. Der italienische Militärgeheimdienst Sismi versuchte zuletzt Ende 1994, einen Agent provocateur bei den Südtiroler Schützen einzuschleusen, wo sich Vertreter der Selbstbestimmung sammeln. 1993 verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Italien wegen eines schweren Verstoßes gegen die Europäische Menschenrechtskonvention: Vor dem Bozener Landgericht wurde der österreichische Staatsbürger Gerhard Pfeffer 1987 in Abwesenheit zu einer fast sechsjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Das Gericht beschuldigte den Österreicher, der gute Kontakte zur Südtiroler Selbstbestimmungsbewegung hatte, in Südtirol einen Strommasten gesprengt zu haben. Das Urteil stützte sich auf das Geständnis eines angeblichen Mittäters. Dessen Aussage nach hat ihn der Geheimdienstmitarbeiter Piernicola Nocito dazu gebracht, Pfeffer zu belasten. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sah Pfeffers Unschuld als erwiesen an.

Auch die Vertreter eines "Europa der Regionen" werden kriminalisiert: Im neuesten Sicherheitsbericht des römischen Innenministeriums wird die gemeinsame EU-Vertretung des österreichischen Bundeslandes Tirol und der beiden italienischen Provinzen Bozen und Trient in Brüssel im Kapitel über den "rechtsextremen und subversiven Terrorismus" genannt.

Auf verschiedenen Ebenen setzte sich Peter Paul Rainer für die Selbstbestimmung seines Heimatlandes Südtirol ein. Bereits vor Jahren bekannte er sich in einem Interview zu der Visison eines wiedervereinigten Tirols in einem Europa der Regionen. Unmittelbar vor dem Mord wollte Rainer mit Waldners Hilfe, der Kooradinator der Lega Nord für Südtirol werden sollte, mit Umberto Bossis Partei verhandeln, um "vorhersehbare territoriale Konflikte erst gar nicht aufkommen zu lassen und jede falsche Konkurrenz zu verhindern", wie er selbst schreibt.

 

Italienischer Geheimdienst hat seine Finger im Spiel

Der italienische Geheimdienst könnte ein Interesse daran haben, eine geplante Zusammenabeit zwischen Südtirol-Patrioten und italienischen Separatisten zu hintertreiben: Italienische Nationalisten betrachten die Vertreter der Selbstbestimmung Südtirols als Staatsfeinde. Die Konflikte zwischen ihnen zeigen sich derzeit offen in den emotionalen Debatten über nationale Symbole der Italiener und der Südtiroler sowie in der italienischen Diskussion über Föderalismus. Die rechtsgerichtete Alleanza Nationale von Gianfrano Fini vertritt rund die Hälfte der italienischen Bevölkerung in Südtirol. Entsprechend ist sie auch in den Justiz- und Polizeiapparaten repräsentiert.

Peter Paul Rainer spielte beim Einsatz für seine Heimat mit der geschichtspolitischen Karte: In der Nacht zum 4. November vorigen Jahres verklebte er das Schloß am Gitter um das faschistische Siegesdenkmal in Bozen. Auf dem Denkmal, das 1928 errichtet wurde, ist zu lesen, daß die Italiener den Südtirolern die Sprache, die Gesetze und die Künste gebracht hätten. Am 4. November sollte dort, wie jedes Jahr, ein Kranz zum Gedenken an den Sieg Italiens über Österreich im Ersten Weltkrieg niedergelegt werden.

Rainer wollte den ungehinderten Zugang zum Denkmal blockieren, um den Festakt, den Südtiroler als Schmähung empfinden, der Lächerlichkeit preiszugeben. Der Klebstoff wurde aber noch vor der Gedenkfeier aus dem Schloß gelöst; der örtliche italienische Armeekommandant konnte wie in jedem Jahr den Kranz niederlegen. Offensichtlich hatte die Polizei von Rainers Aktion erfahren, denn sie lud den Volkstumspolitiker danach vor und verhörte ihn.

Vermutlich hat nicht nur Rainer ein feinsinniges Verständnis für geschichtspolitische Zusammenhänge: Der freiheitliche Politiker wurde ausgerechnet am Andreas-Hofer-Tag, den 20. Februar, verhaftet.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen