© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/97  03. Oktober 1997

 
 
Frankreich: Ministerin will Bibliotheksförderung für unliebsame Kommunen streichen
Echter Pluralismus ist nicht gefragt

von Robert Schwarz

Seit den Parlamentswahlen im Mai bzw. Anfang Juni dieses Jahres wird Frankreich von einem Linksbündnis regiert. Diese Koalition unter Führung der Sozialistischen Partei nennt sich unter Hinweis auf die Vielfalt der in ihr vertretenen linken bis linksextremen Parteien und Strömungen gerne "pluralistische Linke".

Doch jenseits solcher schön klingender Selbstdarstellungen haben die in unterschiedlichen Rot- und Grüntönen gefärbten Genossen so ihre Probleme mit dem "Pluralismus", jedenfalls sofern er über politische Lebensäußerungen des eigenen Lagers hinausgeht. Dies zeigt sich aktuellerweise besonders deutlich am Beispiel des Umgangs mit den öffentlichen Bibliotheken. Ein Gesetzesvorhaben der neuen sozialistischen Kulturministerin Catherine Trautmann ist befremdlich für einen Rechtsstaat, in dem es keine für alle verbindliche Wahrheit geben soll, "die mit der Gewalt des Staates durchgesetzt wird". Die protestantische Theologin und ehemalige Straßburger Bürgermeisterin möchte eine gesetzliche Möglichkeit schaffen, um politisch mißliebigen Gemeinden die finanzielle Unterstützung für deren öffentliche Bibliotheken zu entziehen. Dieses Vorhaben zielt in in erster Linie auf jene südfranzösischen Städte, in denen der Front National (FN) regiert.

Scheinheilige Zensur- Vorwürfe der Etablierten

In Toulon, Orange und Marignane hatten die gewählten FN-Bürgermeister per Anweisungen ein pluralistisches Angebot in den kommunalen Büchereien hergestellt, das diesen Namen wirklich verdient – und zwar gegen die Widerstände der von den früheren Kommunalregierungen angestellten Bediensteten und unter scheinheiligen Zensurvorwürfen der etablierten Medien. Das Zeitungsangebot in diesen Gemeinden, die teilweise seit über zehn Jahren einen stabilen FN-Wähleranteil von 20 Prozent und mehr aufweisen, wurde endlich um einige Titel aus der nationalorientierten Presselandschaft erweitert. Einige andere Publikationen mußten aus Kostengründen abbestellt werden, ohne daß damit das nunmehr ausgewogene Angebot an Printmedien in Frage gestellt wurde. Eine Ausgewogenheit übrigens, die fast ausnahmslos alle links und bürgerlich regierten Kommunen vermissen lassen. So wird der interessierte Leser beispielsweise in den Bibliotheken der Ortschaften des Pariser Umlandes, wo der Front National regelmäßig immerhin 30 Prozent und mehr an Stimmen verzeichnen kann, höchst selten FN-nahe Zeitungen finden können. Auch unabhängige rechte Publikationen sucht man vergebens. Man kann den bisherigen Status quo sogar noch krasser definieren: In der Regel läßt sich bei dem Besuch einer französischen Gemeinde schon an der Zeitungsauslage der Kommunalbücherei feststellen, welcher politischen Couleur die Gemeinderatsmehrheit zugehörig ist.

In den FN-Gemeinden wurde also nichts mehr und nichts weniger als eine Normalisierung durchgesetzt. Neben der Ergänzung des Zeitungs- und Zeitschriftensortiments gab es zudem eine Revision des Bücherangebots, das nun auch die bislang vorsätzlich ausgesparten Werke rechter und nonkonformer Autoren umfaßt. Selbst die Bücher eines so wichtigen Denkers wie Alain de Benoist hatten gefehlt und werden jetzt neu angeschafft, und dies, obwohl der geistige Kopf der "Nouvelle Droite" den Front National und dessen Vorsitzenden Le Pen in der Vergangenheit mehrfach öffentlich als ausländerfeindlich kritisierte.

Daß es Frau Trautmann um eine politische Gängelung der FN-Gemeinden geht, ist offensichtlich. Die Kulturministerin mußte selbst feststellen, daß das Vorgehen der dortigen Bürgermeister rechtlich einwandfrei ist: "Wir können den Gemeindebüchereien nicht verbieten, unter den Bedingungen zu funktionieren, wie sie in den Untersuchungsberichten über Orange und Marignane beschrieben werden." Aber, so fuhr sie zur Begründung ihrer Gesetzesinitiatve fort, "wir können klar sagen, daß solche Büchereien nicht mit der Unterstützung und den Mitteln des Staates funktionieren können." – Mit dem Zudrehen des Geldhahnes soll indirekt in die kommunale Selbstverwaltung eingegriffen werden, und man straft Bürger bestimmter Gemeinden nachträglich für ihr unbotmäßiges Wahlverhalten ab.

Die Stadt Orange betreibt ihre Bibliothek schon jetzt ohne staatliche Zuschüsse. Für eine noch von den sozialistischen Vorgängern geplante Mediathek bleiben die einst zugesagten Gelder aus dem Pariser Steuersäckel weiter blockiert.

Besonders interessant dürfte es – nach der zu erwartenden baldigen Inkraftsetzung des Trautmann-Gesetzes – dann werden, wenn die französische Regierung wieder wechselt. Man kann sich schon jetzt lebhaft das Geschrei der derzeitigen Mehrheit vorstellen, wenn ein rechts-bürgerlicher Kulturminister das Gesetz auch auf linke Gemeinden anwendet. Auf die Frage des RPR-Abgeordneten Masson, ob denn Frau Trautmann ihre selbstdefinierten Maßstäbe an alle Gemeindebüchereien anlegen wolle, hatte diese erwartungsgemäß ausweichend geantwortet.

Ein Paradebeispiel dafür, wie sehr die französische Linke mit zweierlei Maß mißt, bot sich im Frühjahr des Jahres, als ein von linksextremen Organisationen und Alt-68ern gesteuertes Schülerkomitee sich daran machte, die Bibliothek einer Oberschule unweit von Paris von angeblich "rechtsextremen" Werken zu "säubern". Neben Autoren, die vermeintlich oder wirklich dem Front National angehören oder nahestehen, sollten auch Bücher von bekannten Politikern der bürgerlichen Rechten, so unter anderem von Alain Madelin und Alain Peyrefitte, dem Autodafé zum Opfer fallen. Nur einige wenige sozialistische Politiker bedauerten diesen durch "jugendlichen Übereifer" bewirkten Skandal – "natürlich" nur im Hinblick auf die bürgerlichen Autoren.

Seit die Linke wieder an der Macht ist, hat sie nicht nur den besagten kommunalen Büchereien den Kampf angesagt, sondern auch jenen wenigen national ausgerichteten Buchhandlungen, die es wagen, politisch unkorrekte Lektüre anzubieten. Um, wie es in einer bezeichnenden kriegsmetaphorischen Sprache heißt, die "gefährlichen" Buchhändler, die mit "geistigen Waffen" handeln und potentielle Störenfriede mit "intellektueller Munition" versorgen, in die Schranken zu weisen, setzte man sogar Polizei ein.

Auf Befehl des Innenministeriums, genauer gesagt der dort angesiedelten Dienststelle mit der in diesem Zusammenhang zynischen Bezeichnung "Abteilung für öffentliche Freiheiten", wurde nach der 1991er Neuauflage eines Buches von Léon Degrelle gefahndet. Das inkriminierte Werk war erstmals Ende der 40er Jahre in der Schweiz erschienen und wurde 1950 in Frankreich verboten. Jedoch war die in einem anderen Verlag herausgegebene Neuauflage bislang nicht Gegenstand eines Gerichtsverfahrens, geschweige denn eines öffentlich bekanntgemachten Verbotes. Die Buchhändler konnten somit gar nicht wissen, daß sie sich gesetzeswidrig verhielten. Obendrein weigerten sich die Beamten, Kopien einer offiziellen Liste verbotenener Bücher auszuhändigen. Anscheinend sollen die Buchhändler bewußt im unklaren gelassen werden, was sie verkaufen dürfen und was nicht.

Große Freiräume herrschen bislang – noch – an den französischen Kiosken. Jeder Frankreichreisende kann sich selbst davon überzeugen, daß das verfassungsmäßige Recht auf freie Meinungsäußerung zumindest bei der Verbreitung von Zeitungen und Zeitschriften gewährleistet ist und bis heute auch von gewaltbereiten "Antifaschisten" nicht angetastet wurde.

Noch sind die Kioske Zonen der Meinungsfreiheit

So werden rechte und nationale Publikationen wie die Tageszeitung Présent, die Wochenzeitungen National hebdo, Rivarol, Minute und Action française sowie die national-katholische Zeitschrift Monde et vie oder die neurechte Eléments fast überall offen angeboten. Auch auf der Linken bietet sich dem politisch Interessierten eine erstaunliche Variationsbreite: Von der Wochenzeitung der Anarchisten bis zum Zweimonatsblättchen der neuesten trotzkistischen Abspaltung ist alles vorhanden. Zumindest bei größeren Einzelhändlern kann der Käufer problemlos selbst Publikationen von bisweilen mittelmäßiger Kopierqualität haben, die von kleinen und kleinsten links- und rechtsextremen Splittergruppen herausgegeben werden. Hier regelt allein das Marktgesetz von Angebot und Nachfrage, was dem Lesepublikum angeboten wird.

Nicht anders sollte es in den öffentlichen Büchereien sein. Doch dort stehen massive wirtschaftliche Interessen hinter den vordergründig rein politischen Entscheidungen. Eine links regierte Gemeinde wird nämlich, gerade in Zeiten leerer Kassen, nur sehr ungern eine der vielen linken Printmedien zugunsten einer rechten Publikation abschaffen. Manche Zeitungen, wie beispielsweise die kommunistische Humanité oder die äußerst linke Libération, die mit größeren Anzeigenaufträgen allenfalls von verstaatlichten Unternehmen oder neuerdings von Ministerien rechnen können, überleben nur dank einer Vielzahl mit öffentlichen Geldern finanzierter Förderabonnements. So werden manchmal gleich mehrere Exemplare pro Gemeinde geordert.

Mit Büchern ist es ebenso. Anders als rechte Autoren, bei denen die Verkaufszahlen ihrer Publikationen das wirkliche Publikumsinteresse widerspiegeln, wird eine Unzahl linker Hofpoeten mit offenen und verdeckten Subventionen über Wasser gehalten. – Dafür, daß all dies so bleibt, soll nun das neue Trautmann-Gesetz sorgen.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen