© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/97  03. Oktober 1997

 
 
Pankraz,
E Behler und der lachende Hund, der beißen lernte

Die Nachricht vom unzeitigen Tod des deutsch-amerikanischen Schlegel- und Nietzsche-Forschers Ernst Behler hat Pankraz betrübt, aber es kam auch eine hübsche Erinnerung hoch, er hat Behler einst in dessen Institut in Seattle besucht und ihn damit aufgezogen, daß er den Amerikanern ausgerechnet Friedrich Nietzsche und Friedrich Schlegel im Doppelpack nahebringen wolle, wo er doch wisse, wie gering Nietzsche von Schlegel gedacht habe.

Nietzsche nannte Schlegel einen bissigen Köter, und zwar der "romantischen Ironie" wegen, die dieser so routiniert einzusetzen wußte. "Der hatte sich so an seine Ironie gewöhnt", sagte Nietzsche, "daß er sich damit den Charakter verdarb. Diese ewige schadenfrohe Überlegenheit! Da glich er denn einem bissigen Hund, der noch das Lachen gelernt hat außer dem Beißen."

Behler stutzte, überlegte einen Augenblick und kam dann mit Schopenhauer, den berühmten Definitionen von Scherz und Ernst, Humor und Ironie aus "Die Welt als Wille und Vorstellung". Humor sei der Ernst, der sich hinter dem Scherz versteckt, Ironie der Scherz, der sich hinter dem Ernst versteckt. Schlegel seinerseits, fügte Behler hinzu, meinte es immer ernst, schon in seiner vorkatholischen Zeit, er versteckte nie etwas, er war ernst, indem er scherzte, er glich eher einem lächelnden Hundewelpen, der wohl oder übel das Beißen lernen muß.

Und der Mann aus Seattle ereiferte sich und führte weiter aus: Die Ironie, wie sie Schlegel übte, hatte überhaupt nichts zu tun mit jenem Affekt, den Aristoteles so tadelnd beschreibt, jener prahlerischen Spottlust und selbstgefälligen Halbverstellung, es war eine Art Scherz-Ernst, wie ihn später gerade Kierkegaard und Nietzsche aufnahmen: die Kunde von der Wahrheit als Lüge im außermoralischen Sinne, vom wahrheitssuchenden Menschen, der sich im Angesicht der tödlichen Sphinx abstrampelt, um ihr Rätsel zu lösen, und der darüber ins Lachen kommt, weil er ehrlicherweise die Vergeblichkeit der Prozedur zugeben muß und doch nicht von ihr lassen kann und deshalb eine komische Figur macht.

Nur so", schloß Behler, "läßt sich überhaupt über eine Sache seriös nachdenken, im Stile des Scherz-Ernsts. Der Nachdenker muß seinen Zuhörern und Lesern und Mitdenkern fühlbar machen, daß es zwar um eine todernste Sache geht, die da verhandelt wird, aber andererseits auch wieder um eine wahnsinnig komische, lachhafte Sache. Das Nachdenken, das Philosophieren, das Dichten und Kunstmachen ist immer ein Todlachen im buchstäblichen Sinne, und das gilt es in den Texten und Kompositionen und Installationen überzubringen. Mag sein, Nietzsche konnte es besser als Schlegel, aber der konnte es auch gut. Beide gehören zusammen."

Er griff hinter sich ins Bücherbord in die von ihm selbst so glorios edierte historisch-kritische Schlegelausgabe und suchte ein Zitat aus den Studien zur griechischen Philosophie. Dann las er vor: "Sowie der Mensch ins Dasein tritt, wird er mit dem Schicksal gleichsam handgemein, und sein ganzes Leben ist ein steter Kampf auf Leben und Tod mit der furchtbaren Macht, deren Armen er nie entfliehen kann. Man könnte die Geschichte der Menschheit, welche die ursprüngliche Genesis und die notwendigen Fortschritte der menschlichen Bildung charakterisieren soll, mit militärischen Jahrbüchern vergleichen. Sie ist der treue Bericht von dem Kriege der Menschheit und des Schicksals."

"Nun gut", wandte Pankraz, etwas eingeschüchtert, ein, "das ist der Ernst, wo bleibt der Scherz?" Behler blätterte weiter, in die kritischen Fragmente, ins "Lyceum", zitierte: "Es gibt einen Ehrgeiz, welcher lieber der Erste unter den Letzten sein will als der Zweite unter den Ersten. Das ist der alte. Es gibt einen anderen Ehrgeiz, der lieber der Zweite unter den Ersten, als der Erste unter den Zweiten sein will. Das ist der moderne."

Was sagen Sie dazu?" fragte er und blinzelte über die Brille. "Wenn das kein Scherz-Ernst ist! Und paßt vorzüglich zur Klärung des Verhältnisses Schlegel-Nietzsche." Pankraz nahm den Band und blätterte selber darin: "Jeder ungebildete Mensch ist die Karikatur von sich selbst… Das Druckenlassen verhält sich zum Denken wie die Wochenstube zum ersten Kuß… Die vollkommene Republik muß nicht nur demokratisch, sondern zugleich auch aristokratisch und monarchisch sein; innerhalb der Gesetzgebung der Freiheit und Gleichheit müßte das Gebildete das Ungebildete überwiegen und leiten und alles sich zu einem absoluten Ganzen ergänzen…"

Dagegen ließ sich nichts sagen, und es war eigentlich auch klüger, weltweiser als das, was Nietzsche über die Demokratie gesagt hat, wenn auch weniger ernst. Aber war es Ironie im klassischen Verständnis? Nietzsche neigte dazu, diese Ironie in die Nähe des Sarkasmus zu rücken, ja, des Zynismus, des Nihilismus, des Scherzens ohne Hoffnung. Traf er damit wirklich den Stil Schlegels?

Ernst Behler griff noch einmal ins Bord, holte die beiden letzten Philosophischen Vorlesungen von 1828 heraus: "Der Mensch ist vor allen anderen Geschöpfen ein auf Hoffnung gestelltes Wesen; man könnte sagen, er ist ein unsterblicher Geist im Zustande der Hoffnung…" "Sie sehen", resümierte er, "der gute Schlegel kann’s nicht lassen. Er meint es ernst, aber das Bild mit dem Zustand der Hoffnung erinnert doch auch wieder zum Lächeln direkt ans Wochenbett, das vom ersten Kuß so weit entfernt ist. Sie können es romantische Ironie nennen. Ich nenne es Scherz-Ernst."

So also lief das Gespräch im Institut für vergleichende Literaturwissenschaft im fernen Seattle, es war ein erquickendes Gespräch und bleibt erquickend über den Tod hinaus. Vielleicht hat es Behler irgendwie als Fragment aufgezeichnet, und es findet einmal einen Nachlaßherausgeber, wie Behler einer für Friedrich Schlegel gewesen ist.


 
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