© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/97  03. Oktober 1997

 
 
Theater: Theresia Walsers "Restpaar" in Stuttgart
Überbordendes Spektakel

von Timo Fehrensen

Im Quintett lassen sich offenbar heiterer als im Solo alle Hoffnungen begraben. Zwar ist’s für die zwei angestrengt heiteren Schauspielerinnen, obgleich eben erst engagiert, für den im Normalfall arbeitslosen Monumental-Bühnenbildner, für den qua Amtes größenwahnsinnigen Intendanten und ein wenig auch für den die schlimme Nachricht überbringenden Kulturdezernenten vorerst Schluß mit dem falschen Schein. Das Theater macht zu, das Entertainment – als Musical – soll rein!

Jetzt ergötzt sich keiner mehr am eigenen Ideal. Die beiden Schauspielerinnen gehen weiter mit Gretchen-Monolog oder einer unsinnigen Gitarre auf vergebliche Engagementssuche, der Intendant kann sein Bühnenprojekt vom abendfüllenden Auftritt dreier Penner, der Bühnenbildner seinen Traum vom Großklassiker vor seinem Himmelsprojekt begraben. Und der Dezernent hat sich mit sachfremdem Pathos so hinreißend auf seine Botenrolle vorbereitet, daß er den Schauspieler, den er gerade in sich gewittert hat, auch gleich wieder begraben kann.

Theresia Walser läßt in ihrem neuen Stück die traurige Wirklichkeit so tragikomisch aufs Parkett, daß man den Untergang der fünf Existenzen mit Mitleid und Happy-end-halber gewachsener Zuversicht folgen kann. "Das Restpaar" kümmert sich ums Ganze, Frau Walsers Bühnenerstling "Kleine Zweifel", im April an Münchens Kammerspielen uraufgeführt, hielt sich noch an lampenfieberbedingts Räsonnieren. Die Wendla dieses Monologs wurde durch die Unzumutbarkeit der eigenen, auf einem Vorsingwettbewerb demnächst auch sichtbar gescheiterten Person zum Reden, Plappern, Weinen, Gröhlen angeregt, das aber mit sanfter Ironie. Deshalb durfte auch bei den "Kleinen Zweifeln" gelacht werden, "Das Restpaar" rettet sich freilich von anfänglich nach aufreizenden Monologisieren in die echte Farce, wie man sie auf heimischen Bühnen, zumal aus heimischer Feder kaum mehr gewohnt ist.

Ans Lachen gewöhnt die Walser ihre Zuschauer gründlicher als ihre gesamte Verwandtschaft. Papa Martin kommt zwar auch mit Humor, aber selten mit einer kompletten Komödie daher. Und die Töchter, in korrekter Reihenfolge: Franziska, die große Schauspielerin in München, ist doch mehr Heroine als Komödiantin, Johanna und Alissa bleiben in ihren Alltagsbeobachtungen von lebenserfahrener Gaglosigkeit. Theresia befreit das Gedenken ans wahre, da unverfälschte Leben als Spiel nachempfindendes Theater im Gelächter. Sie vereint der Schwestern Begabungen in sich. Einige Jahre hat die demnächst 30jährige auf der Bühne gestanden, zuletzt in der Berner "Othello"-Inszenierung des nach der Wende auch im Westen groß gehandelten Martin Meltke.

Trotzdem reichts’s ihr erst einmal mit dem allabendlichen eigenen Erleben dessen, was ihre Bühnenfiguren auch schon mal erleiden müssen. Geschrieben hat sie schon sei der Schauspiel- und Gesangsausbildung. Im vergangenen Jahr wurde das äußerst folgenreich publik. Hans Gerd Krogmanns naturalistischer Hörspielinsznierung der "Kleinen Zweifel" folgte die wohlwollend aufgenomene Uraufführung in München. Seitdem wird das eifrig nachgespielt. Kurze Zeit später nun "Das Restpaar" im Stuttgarter Theater Rampe, ein Erzählband soll nun im Frühjahr folgen.

Und das "Restpaar" enthält schon prompt die notwendigen Versatzstücke des geistreichen Boulevard – Konkurrenten allüberall, Schadenfreude mit sich vergeblich abmühenden Bühnenpersonal, ein finales Redechaos nach Feydeau-Manier. Die Illusionen bekommen den Realitätshieb. Die Walser jongliert mit Worten; gibt unserem verbiesterten Theater fröhlich Ratschläge für gewitztes Bühnenleben, läßt ihre Charaktere vielleicht miteinander keifen, das aber auf charmante Art. Und in ihren schönsten Momenten erinnert sie an den geistreichen Desillusionierer Alfred Polgar.

Mit Daniel Call als Regisseur in Stuttgart ging’s ihrem Stück glänzend. Der momentan sarkastischste Vertreter des scharzen Theaterhumors inszeniert mit hervorragenden Schauspielern ein überbordendes Spektakel, die Groteske-Philosophie kommt lachsalvenerregend über die Rampe. In Marcus Lachmanns schickem Bühnendekor wird Theresia Walsers tragikomisches Panoptikum zum Hort der sicheren Pointen.


 
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