© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/97  03. Oktober 1997

 
 
Die neue "taz": von der Spielwiese in die Gute Stube
Die bürgerliche Alternative

von Elvira Seidel

Es ist paradox, aber das nur scheinbar: Gerade hat die Berliner Zeitung, die zur Zeit immer noch überwiegend ein lahmes Filzpantoffelpublikum bedient, aber nach Höherem strebt, ihr Layout aufgelockert, um ihren metropolitanen Anspruch sichtbar zu machen. Die Tageszeitung (taz) hingegen signalisiert mit ihrer Layout-Reform den Weg zur staatstragenden Seriosität: Die rechte Seitenspalte des Titelblatts enthält – schön übersichtlich – das Inhaltsverzeichnis; die restlichen vier Spalten sind in der Horizontale dreigeteilt: Ein Titelthema mit Bild, darunter folgt ein zweiter politischer Artikel, und im Keller steht ein aktueller Kommentar. Biederkeit statt alternative Spielwiese ist angesagt!

Das trifft auch auf den Inhalt zu. Am 27. September, dem ersten Tag im neuen Gewande, macht man mit der Steuerreform auf: Alle, außer Wolfgang Schäuble, erhalten miserable Noten, auch die Bündnisgrünen. Im Kommentar äußert sich die Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John, die offiziell der CDU angehört, von der Spötter aber behaupten, sie sei die wirkungsvollste Politikerin, die die Bündnisgrünen je auf einem solchen Posten hatten, zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, das Vietnamesen, die einen Ausweisungsbeschluß in der Tasche haben, ein "Bleiberecht" zubilligt. Jetzt, da schon genug Porzellan zerschlagen ist, scheint ihr das – auch von ihr selber – angerichtete und das voraussehbare künftige Chaos, nämlich ein Massenbleiberecht, allmählich zu dämmern. Wer hätte das gedacht: Barbara John und die taz, in Sorge um das Staatswohl vereint!

Man leistet sich eine Wochenendbeilage, die der Tatsache Rechnung trägt, daß auch taz-Leser nur am Wochenende Zeit für ausgiebige Presselektüre haben. Nun will man der FDP auch noch die Leistungsträger abspenstig machen! Zu peinlich nur, daß der Theaterkritiker Rimbaud und Baudelaire nicht auseinanderhalten kann, und die inzwischen auch schon achtzigjährige Margarete Mitscherlich sich jugendfrisch über die Penisneid-Theorie ausbreitet, bei der es um Macht statt um Schönheit gehe: "Ich meine, sind Penisse so etwas Schönes? Man hat ja im Verlaufe seines Lebens einige gesehen."

Die taz bedient, wie gesagt, ein neues, längst schon verbürgerlichtes Establishment. Als sein Sprachrohr hat es dessen Verbürgerlichung lautlos mitvollzogen. Nur ist man mit einer Auflage von 62.000 finanziell noch schmalbrüstig. Die jetzige Layoutreform ist auch ein definitives Signal an früher verpönte, zahlungskräftige Schichten: Kommt, lest, werbt, zahlt! Wir sind (und waren) gar nicht so!


 
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