© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/97  03. Oktober 1997

 
 
Zeitgeschichte: Kontroverse um US-Internierungslager Glasenbach findet nicht Statt
Zensur gegenüber Zeitzeugen

von Jürgen Hatzenbichler

In der von Erika Weinzierl herausgegebenen Zeitschrift Zeitgeschichte scheinen Diskussionen nicht erwünscht zu sein. Die als "große alte Dame der österreichischen Zeitgeschichtsschreibung" bezeichnete Dame verweigert in ihrer Zeitschrift die Auseinandersetzung mit einem Beitrag des in der Dokumentationsabteilung des Wiener Stadtarchivs angestellten Wilhelm Svoboda. Dieser hatte in Heft 1/2 von 1995 unter dem Titel "… vorbehaltslos meine Pflicht erfüllt" sich darin versucht, eine Geschichte des "Internierungslager(s) Glasenbach (Camp ‘Marcus W. Orr’)" zu schreiben. Eine kritische Stellungnahme des Zeitzeugen Kurt Sexlinger dazu wurde, wie die studentische Fachzeitschrift Historicum anzumerken weiß, "von der Zeitgeschichte-Redaktion zum Druck angenommen, wird jedoch aufgrund eines Beschlusses der Herausgeberin nicht erscheinen".

Das Lager Glasenbach in Salzburg gehört zur österreichischen Nachkriegsgeschichte. Von 1945 bis August 1947 waren im Camp "Marcus W. Orr" bis zu 12.000 Personen interniert. Der größte Teil davon waren NS-Funktionäre, Beamte und Angehörige der Waffen–SS, die unter den von den Alliierten befohlenen "automatical arrest" fielen, dazu kamen Personen aus Staaten, die mit dem Dritten Reich verbündet waren, und mutmaßliche Kriegsverbrecher. Zeitgeschichte-Autor Svoboda sucht in seinem Beitrag aber nicht nur die Geschichte des Lager zu fassen, sondern auch die politische Rolle, die später von Ex-Internierten gebildete "Wohlfahrtsvereinigung der Glasenbacher" für die Zweite Republik spielt.

Neben sehr interessanten Fakten passierten Svoboda dabei aber einige Fehler, die wohl darauf beruhen, daß er einerseits eindeutige Tendenzen in seinen Artikel hineinlegt, andererseits Zeitzeugen als Quellen nicht zu schätzen scheint. Der Salzburger Kurt Sexlinger, emeritierter Rechtsanwalt und selbst ehemaliger Häftling in Glasenbach, – als Fähnrich der Waffen-SS wurde er "automatisch interniert" –, wandte sich mit einer kritischen Stellungnahme an die Redaktion von Zeitgeschichte.

In dieser weist Sexlinger, inzwischen nicht nur Salzburger Landesobmann der Kameradschaft IV sondern auch Seniorenstudent der Geschichte an der Universität Salzburg, auf zahlreiche gravierende Mängel und Fehler hin. Die fundierte Kritik bezieht sich eben nicht nur auf persönlich Erlebtes, sondern vor allem auf den Umgang Svobodas mit den Quellen. So zum Beispiel, daß der Wiener kommunistische Zeitung als Quellen benutzt, ohne damit jedoch in irgendeiner Art und Weise kritisch umzugehen. Auch Zitate wurden verfälscht. Allein das Titelzitat "… vorbehaltslos meine Pflicht erfüllt" deutet auf eine besonders starre politische Haltung hin. Es stammt allerdings von dem Ex-Obmann der Freiheitlichen, Friedrich Peter, und kommt aus einem eindeutig distanzierenden Zusammenhang.

Auch ein Zitat von Wehrmachtsgenerals Lothar Rendulic wurde durch Verkürzung ins gerade Gegenteil verkehrt. Daneben leistet sich Svoboda Animositäten, die annehmen lassen, er wüßte besser als die Amerikaner, wie man ein Internierungslager betreiben sollte. Andere Darstellung Svobodas lassen vermuten, daß die Internierten besser gelebt hätten, als die freie Zivilbevölkerung im besetzten Österreich. Die kritische Stellungnahme Sexlingers, die fair und fundiert gehalten war, wurde nie abgedruckt.

In einer Zeitgeschichte-Redaktionskonferenz am 3. Oktober 1996 wurde zuerst beschlossen, daß die Stellungnahme erscheinen solle. In einem Telefonat mit Kurt Sexlinger bestätigte Erika Weinzierl das. Sie wollte Sexlingers Stellungnahme jedoch gekürzt haben, was dieser umgehend tat. Die Kritik erschien trotzdem nicht. Laut einem Schreiben Weinzierls von Mitte November 1996 habe Svoboda "den bereits zugesagten Kommentar verweigert" – und zwar wegen der Länge von Sexlingers Manuskript! Der Kontakt der kontrahierenden Seiten brach daraufhin ab, offensichtlich auch, weil man bei Zeitgeschichte sauer war, daß Sexlinger im Historicum als Zeitzeuge interviewt und auf die nicht stattfindende Glasenbach-Kontroverse angesprochen worden war.

Der Verfasser des kritisierten Beitrags, Wilhelm Svoboda, hielt überhaupt still. Wie man jedoch hören konnte, fand dieses Vorgehen nicht ungeteilte Zustimmung: Innerhalb der Redaktionskonferenz soll es zu deftigen Auseinandersetzungen über die Wissenschaftlichkeit von Zeitgeschichte gekommen sein. Trotz einzelner Rückzüge und massiver Kritik hat es nichts gefruchtet: Keine wissenschaftliche Diskussion in Weinzierls Zeitgeschichte.


 
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