© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/97  03. Oktober 1997

 
 
Parteien:CDU-Oppositionsführer Bergner über den Kurs der SPD und den Umgang mit der PDS
"Das ist eine reaktionäre Partei"

von Gerhard Quast

Herr Dr. Bergner, der Innenminister von Thüringen, Richard Dewes (SPD), hat vergangene Woche die "Erfurter Erklärung" unterschrieben. Sie sehen darin einen Beleg für den Linkskurs der SPD?

Bergner: Es sind zwei Dinge, die die "Erfurter Erklärung" zu einem so politisch unerträglichen Papier machen. Das eine ist der Umstand, daß man so tut, als sei die Einheit Deutschlands, der Prozeß der Deutschen Einheit und die Entwicklung seit 1990 gewissermaßen ein Akt der Kolonisation des Westens und einer ausbeuterischen Zwecksetzung der Bundesregierung gewesen. Das ist angesichts der vielen Milliarden Transferleistungen, angesichts der vielen auch persönlichen Leistungen, die der eine oder andere erbracht hat, eine geradezu unverfrorene Darstellung. Daß es Sozialdemokraten gibt, die sich einer solchen Darstellung anschließen, halte ich für eine Schande, wenn ich an die Tradition der deutschen Sozialdemokratie denke. Zweitens ist der Umstand von Bedeutung, daß die "Erfurter Erklärung" zu einem Bündnis von SPD, PDS und Grünen auffordert. Dieses Bündnis soll die jetzige Bundesregierung ablösen. Es ist immer legitim, daß die Opposition versucht, den Regierenden abzulösen. Daß dabei auch ein Bündnis mit der PDS eingegangen wird, von dem ja noch immer andere Sozialdemokraten zu Recht behaupten, daß sie nicht bündnisfähig ist, das macht natürlich deutlich, daß führende Sozialdemokraten an dieser Stelle die Tradition von Willy Brandt und Kurt Schumacher verraten.

Im letzten Bundestagswahlkampf führte die CDU gegen die PDS eine Rote-Socken-Kampagne. Ist eine solche Kampagne wieder denkbar oder wird die CDU davon ganz absehen, wie es der Bundeskanzler angekündigt hat?

Bergner: Wir haben einen Richtungswahlkampf zu führen. Und die Unterschrift von Herrn Dewes unter die "Erfurter Erklärung" zeigt uns, wie nötig es ist, daß wir einen Richtungswahlkampf führen. Entweder man wählt die politische Mitte, dann muß man die CDU – oder wenn es um die Bundestagswahl geht – die jetzige Regierungskoalition stärken. Oder man wählt SPD oder Grüne, dann wählt man immer auch ein Stück PDS mit. Das muß man wissen. In diesem Sinne muß schon die Auseinandersetzung geführt werden.

Also doch eine Rote-Socken-Kampagne?

Bergner: Das Problem der Rote-Socken-Kampagne liegt darin, daß das Symbol der Roten Socke falsch ist. Mit diesem Symbol werden Leute apostrophiert, die früher einmal SED-Mitglied waren. Die kann man weiß Gott nicht alle in einen Topf werfen, sondern man muß um jeden Wähler ringen, auch um ehemalige SED-Mitglieder.

In Sachsen-Anhalt regiert eine PDS-tolerierte rot-grüne Koalition. Wollen Sie sich in dem bevorstehenden Wahlkampf nur inhaltlich mit der PDS auseinandersetzen oder werden Sie die fehlende Aufarbeitung der Vergangenheit ebenfalls thematisieren?

Bergner: Die PDS bewegt sich, was immer sie an Einzelmitgliedern, an intellektueller Kapazität aufbietet, immer noch im Banne einer reaktionären Ideologie. Wer auf die Zukunftsherausforderungen – die beträchtlich sind – noch immer mit Strickmustern, die auf dem Boden des Marxismus wachsen, reagieren und die Probleme lösen will, der macht das Land zukunftsunfähig. Das ist der eigentliche Punkt: Die Auseinandersetzung mit der PDS wird sich darauf konzentrieren müssen, daß wir sagen, die PDS ist letztlich eine reaktionäre Partei. Wir brauchen in Sachsen-Anhalt und Deutschland wirklichen Fortschritt und wirkliche Zukunftsfähigkeit. Von dem, der sich mit der PDS verbündet, ist kein Fortschritt zu erwarten.

Die PDS versteht es, die Anliegen der Menschen in den neuen Ländern zu vertreten. Müßten die fünf östlichen CDU-Landesverbände nicht einen ganz eigenen Wahlkampf führen, um die Menschen ansprechen zu können?

Bergner: Die CDU ist die Partei der Deutschen Einheit und sie würde sich dieses wichtigen Attributes berauben, wenn sie einen Ost-West-Wahlkampf – womöglich sogar mit der Artikulation von Gegensätzen – führen würde. Wir treten als gesamtdeutsche Partei in gesamtdeutschem Sinne auf und wollen die innere Einheit auch im Wahlkampf zum Ausdruck bringen. Die CDU ist auch eine föderale Partei, und es gibt natürlich auch die Sonderinteressen und -befindlichkeiten und -probleme jedes Landesverbandes. Da kann ich mir vorstellen, daß wir beispielsweise hier im mitteldeutschen Raum – in den Ländern Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt – eigene Akzente setzen gegenüber beispielsweise Mecklenburg-Vorpommern oder auch Nordrhein-Westfalen. Das ist glaube ich der Ansatzpunkt.

Wie erklären Sie sich, daß auch sieben Jahre nach der Einheit gerade bei Jugendlichen, die die DDR nicht mehr bewußt erlebt haben, ein Ostbewußtsein im Wachsen begriffen ist?

Bergner: Also ich kann das nicht feststellen. Es gibt natürlich in der Jugend immer wieder das Bedürfnis, sich der in der Erwachsenenwelt verpönten Symbolik zu bedienen. Das können dann natürlich auch DDR-Embleme oder ähnliches sein. Aber für die Mehrzahl der Jugendlichen ist die Einheit, die Freizügigkeit und die Möglichkeit in den Westen zu fahren, zu einer großen Selbstverständlichkeit geworden. Wenn wir also nicht gerade die PDS-Arbeitsgruppe "Jungen GenossInnen" vor Augen haben oder irgendwelche Ostberliner Subkulturen, sondern wirklich die Gesamtheit der Jugend betrachten, dann sind die Mentalitätsunterschiede zwischen Ost und West schon weitgehend verschwunden.

Am kommenden Freitag feiern wir den Tag der Deutschen Einheit. Die Euphorie der Wiedervereinigung ist einer großen Ernüchterung gewichen. Gerade in den neuen Bundesländern trifft man bei vielen Menschen angesichts der ungelösten und neuen Probleme auf Hoffnungslosigkeit. Gibt es Hoffnung auf die 1990 versprochenen "blühenden Landschaften"?

Bergner: Es ist ja nicht so, daß die Landschaften gar nicht blühen. Denken Sie beispielsweise an die Chemie-Regionen, in denen Sie bis 1989 kaum Luft holen konnten, weil hier völlig veraltete Technologien in Betrieb waren. Wenn Sie die Innenstädte anschauen und die Sanierungsleistungen betrachen, auch im Rahmen des Denkmalschutzes, dann blüht es schon an vielen Stellen. Richtig ist, das Ganze dauert länger und ist auch schwieriger, weil Deutschland insgesamt dem Druck der Veränderungen durch die Globalisierung ausgesetzt ist. Auch der Westen muß sich bewegen, weil wir es derzeit mit einer Internationalisierung der Wirtschaft, des Arbeitsmarktes, des Kapitalmarktes zu tun haben und weil damit die Bedingungen ganz anders werden, als sie bisher gewesen sind. Das Problem ist, daß wir in einem doppelten Transformationsprozeß stehen. Wir bemühen uns, aus einer ehemaligen sozialistischen Staatswirtschaft ein marktwirtschaftliches System zu machen und in die gesamte internationale Wirtschaft zu integrieren. Das ist die eine Ebene der Bemühungen. Aber zum anderen müssen wir – Ost wie West – unsere Wirtschaft einem völlig veränderten Wettbewerb anpassen. Diesem Wettbewerb müssen wir uns stellen.

Aber angesichts einer Arbeitslosigkeit in Sachsen-Anhalt von über 20 Prozent klingt das sehr optimistisch. Sie sind in Magdeburg zwar in der Opposition, in Bonn regiert jedoch die CDU.

Bergner: Dafür, daß sich die Ansiedlungsbedingungen und die Schaffung von Arbeitsplätzen erschwert haben, dafür würde ich jetzt erst einmal nicht die Politik verantwortlich machen, das ist eine weltweite Entwicklungstendenz, die sich da niederschlägt. Die Frage, die man allerdings erörtern muß, ist die Frage, wie geht Politik mit dieser Herausforderung um, und da kann ich natürlich sagen, hat die Bundesregierung mit ihrem Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung, mit dem Versuch einer Steuerreform, mit dem umstrittenen und schmerzhaften Reformvorhaben im Bereich der sozialen Sicherungssysteme, sehr viel getan. Die rot-grüne Landesregierung in Sachsen-Anhalt wärmt hingegen alte Klamotten aus den sechziger Jahren Westdeutschlands auf, sei es in der Bildungspolitik, sei es in gesellschaftspolitischen Fragen, sei es auch in Fragen der Gesetzgebung.

Müßte man nicht angesichts der besonderen Lage in Deutschland, besonders im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation in den neuen Ländern, die Einführung des Euro aussetzen?

Bergner: Zugegebenermaßen wird der Euro einen weiteren Modernisierungsdruck bringen, das ist klar. Aber er ermöglicht eine Arbeitsteilung in Europa und stärkt Europa nach außen hin im globalen Wettbewerb. Mit der Einführung des Euro wird ein Stück Zukunft gewonnen. Bedingung ist natürlich, daß dieser Option nicht die Stabilität geopfert wird. Dafür gibt es aber auch Vorkehrungen. Und Sachsen-Anhalt kann nur Wertschöpfung und Arbeitsplätze garantieren, wenn es in den internationalen Warenaustausch und Wirtschaftsbeziehungen verflochten ist. Das wird gefördert durch den Euro.

Haben die Wahlen in Sachsen-Anhalt im nächsten Jahr tatsächlich "strategische Bedeutung", wie Helmut Kohl äußerte?

Bergner: SPD und PDS wollen das "Magdeburger Modell" – deshalb ja der Begriff "Modell" – auf andere Bundesländer und Bonn übertragen und dieses Modell empfehlen. Und deshalb möchten sie gestärkt aus diesem vierjährigen Modellversuch hervorgehen. Deshalb betreibt die Landesregierung im Moment eine geradezu fatale Propaganda. Sie vertuschen echte bestehende Probleme. Das heißt, die SPD, PDS und Grünen, dieses Magdeburger Dreierbündnis, versucht aus der Landtagswahl gestärkt hervorzugehen, damit es eine Referenz für andere Länder wird. Wir müssen hingegen den Leuten – und der SPD – deutlich machen, daß ein solches Paktieren sich nicht lohnt. Das macht die strategische Bedeutung aus.


 
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