© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/97  10. Oktober 1997

 
 
Der Geist mieft
von Hans Helmut Knütter

Seit Jahrzehnten streicht die Linke den Gegensatz von Geist und Macht heraus. Die Macht gilt als brutal und geistlos, der Geist als kritisch und fortschrittlich, also links. Aber die Zeiten wandeln sich und wir in ihnen. Was gestern noch wahr und richtig erschien, erweist sich heute als hohle Phrase. Und erstaunt stellen wir fest, wie die eben noch Progresssiven bei der Verteidigung von Posten und Interessen plötzlich alt und verlebt aussehen.

Es gibt heute auf der Rechten – neben viel Borniertheit und ideologischen Stuß – eine erfrischend offene, auch selbtskritische Diskussion der eigenen Grundlagen und Möglichkeiten. Deren Offenheit unterscheidet sich von der totalen geistigen Erstarrung des Establishments, das nur mit Tabus, Ausgrenzung und Denunziation reagiert, wenn es spürt, daß ihm die Felle davonschwimmen. Das bösartig-verzweifelte Geschrei über die "Intellektualisierung" einer "Neuen Rechten" findet hier seine Erklärung Das Establishment merkt, daß ihm Gefahr droht. Die Angst ist umso größer, als man die eigene Unbeweglichkeit ahnt. "Verweile doch, Du warst so schön", tönt das Establishment in Erinnerung an bessere Zeiten, als man sich noch auf der Höhe der Situation fühlte. Übrigens sind die ehemals Progressiven – die SPD, Gewerkschaften, aber auch der linke Flügel der Grünen – die unbeweglichsten Zeitgenossen, die sich phantasielos an den "Errungenschaften" von gestern festklammern und am liebsten nichts ändern möchten. Wenn sie reagieren, dann nur mit taktischen Tricks, aber ohne Visison und strategisches Konzept. Selbst Teile der PDS – schrecklich für manche rechte Ohren – zeigen ebenfalls einen Hauch von Selbstkritik der eigenen Vergangenheit gegenüber. Die Leküre des Neuen Deutschland verschafft hier manches Aha-Erlebnis. Aber mit zunehmenden Wahlerfolgen und größerer Aussicht auf Machtbeteiligung wächst auch bei der PDS die Neigung, Politik durch Taktik, Einsicht und Selbstkritik durch Propagandaformeln zu verdrängen. Bei den bornierten Linksextremisten war selbstverständlich nie ein Funken von Einsicht und Verstand.

Die Rechte aber ist auf dem richtigen Wege trotz ihrer momentan noch unbefriedigenden Lage. Offenheit und die Bereitschaft, Neues aufzunehmen in dem Bewußtsein, daß wir in wendereichen Zeiten leben und die nächste Wende bestimmt kommt – das ist eine gute Basis. Nur wer beweglich ist, erweist sich als zukunftsfähig. Der Geist steht links? Ja. Da steht er und mieft. Aber rechts bewegt er sich.


 
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