© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/97  10. Oktober 1997

 
 
Stoische Gelassenheit
Von Thorsten Thaler

Dumm gelaufen, Klaus Escher. Gerade eben ist der mutige Vorsitzende der christdemokratischen Nachwuchsorganisation Junge Union (JU) mit seiner Schelte am überlebensgroßen Parteivorsitzenden-Denkmal Helmut Kohl noch in aller Munde: Das Selbstverständnis der CDU dürfe sich nicht darin erschöpfen, naseweiste Escher, "der Kreis der Freunde und Förderer von Helmut Kohl zu sein." Es reiche nicht aus, wenn man "die Unersetzlichkeit einzelner Personen schon als Garantie für die Zusammengehörigkeit der CDU betrachtet". Die Partei brauche einen Generationswechsel. Deshalb solle Kohl nach der Bundestagswahl 1998 vom Parteivorsitz zurücktreten.

Schade nur, daß die mediale Aufgeregtheit in keinem Verhältnis zu der stoischen Gelassenheit des Gescholtenen stand. Stillschweigend ließ Kohl die verbale Attacke ins Leere laufen, nur sein Lautsprecher Hintze zeigte sich rechtschaffen empört. Im Präsidium der Partei soll über die Rücktrittsforderung des JU-Vorsitzenden kein einziges Wort gefallen sein. Worüber sollte sich der in der Spähre der Unangreifbarkeit schwebende Parteipatriarch auch echauffieren? Kohl hält seine Truppe so fest im Würgegriff, daß die Delegierten des Bundesparteitages, der am kommenden Wochenende in Leipzig stattfindet, nicht einmal formal über seine erneute Nominierung als Kanzlerkandidat der Union abstimmen dürfen sollen. Den Entschluß hatte er schließlich höchstselbst im Frühjahr per Fernsehinterview verkündet – ein Verfahren, das nach über zwei Jahrzehnten, in denen der Vorsitzende Kohl jetzt schon die Vorherrschaft in seiner Partei ausübt, genügen muß.

Ohnehin weiß Helmut Kohl das gelegentlich aufmüpfige Treiben seiner politischen Enkel richtig einzuschätzen. Als Ende der achtziger Jahre der damalige JU-Landesvorsitzende in Baden-Württemberg, Günther Oettinger, den Rücktritt Kohls vom Parteivorsitz forderte und wenig später der nur halbherzig betriebene Aufstand der Frondeure um Ministerpräsident Lothar Späth und den seinerzeitigen CDU-Generalsekretär Heiner Geißler in sich zusammenbrach, hatte Kohl nur sprichwörtlichen Hohn für seine innerparteilichen Kritiker übrig: Die Hunde bellen, doch die Karawane zieht weiter. Während die einen geschaßt und kaltgestellt wurden (Geißler), durfte der widerspenstige JU-Landesvorsitzende seine Karriere reibungslos fortsetzen. Heute ist Günther Oettinger CDU-Fraktionsvorsitzender im Stuttgarter Landtag und zählt inzwischen zu den nicht mehr ganz so Jungen, nicht mehr ganz so Wilden in der Union. Da darf auch ein Klaus Escher hoffen.


 
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