© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/97  17. Oktober 1997

 
 
CDU-Parteitag: Wie Politiker ihre Arbeitsplätze in Bonn verteidigen
Macht um jeden Preis
von Michael Oelmann

Nur Illusionisten können geglaubt haben, Helmut Kohl würde sich nach 24-jähriger Partei- und 15-jähriger Kanzlerregentschaft von irgend jemand anderem als von sich selbst den Zeitpunkt seines Abganges diktieren lassen. Folgerichtig kam es auf dem Leipziger Parteitag zum formellen Abklatsch-Ritual des Kanzlerwahlkampf-Auftaktes. Kohl ist die CDU, und damit Kohl auch Deutschland bleibt, wird er auf die traditionelle Disziplin seiner Partei auch in Wahlkampfzeiten bauen können.

Wofür Kohl steht, dazu hätte es keines Parteitages bedurft. "Der Euro-Kanzler", leitartikelt das Handelsblatt treffend. Etwas anderes als die Erfüllung des europäischen Erlösungsgedankens scheint Helmut Kohl nicht mehr anzutreiben. Was der Parteichef zu den brennenden Fragen der Nation beizutragen hat, erschöpft sich in seiner – auch von Delegierten als kraft- und saftlos empfundenen – Rede in Profilierung am politischen Gegner der SPD. Das ist die beste Entschuldigung für politische Erstarrung, seit es die Regierung Kohl gibt. Daneben hört man viel von der "Wagniskultur", vom "Innovationsmotor", vom "Mut zu Veränderungen". Absurd: Per Selbstbezichtigung annektiert man gerade jene Begriffe, die man als allerletzte verdient hätte.

Für die anderen Töne innerhalb der CDU mußte man in Leipzig feine Ohren haben. Kurt Biedenkopf und seine konzeptionellen Ideen sind wie eh und je zu klug, um politisch griffig zu sein und den Moment dynamischer Parteitagsstimmungen zu treffen. Immerhin gibt es damit noch Ansätze innerhalb der CDU, die über eine Legislaturperiode hinausreichen. Und für die "wertkonservative Zielgruppe" ist man noch schnell auf den Zug der "inneren Sicherheit" aufgesprungen. Ansonsten kann man von der Existenz einer programmatischen und personellen Kritik nur behaupten, daß man weiß, daß es jemand gibt, der beinahe etwas gesagt hätte.

Entscheidungen programmatischer oder gar personeller Art werden in der CDU taktisch getroffen und nicht dem "demokratischen Zufall" überlassen. So ist es auch zu bewerten, daß es die Sache Wolfgang Schäubles war, die programmatische Richtung der CDU zu definieren und sich – in Richtung einer möglichen Großen Koalition nach Wahlausgang – als Nummer 2 in der CDU zu etablieren. Die CDU nach Leipzig versucht sich den konservativen Wählern wieder als das "kleinere Übel" zu empfehlen. Die Frage ist, ob sie nicht das größere ist.


 
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