© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/97  17. Oktober 1997

 
 
Ulrich Schacht/Heimo Schwilk: Für eine Berliner Republik
Nationaler Meilenstein
Thorsten Thaler

"Leute, es wird ernst!" warnte der SPD-Intellektuelle Peter Glotz im Frühjahr 1993 nach dem Spiegel-Essay "Anschwellender Bocksgesang" von Botho Strauß. Wie ernst es wurde, zeigte eineinhalb Jahre später, im Herbst 1994, das gleichermaßen vielstimmige wie aufgeregte Medienecho auf den von Heimo Schwilk und Ulrich Schacht herausgegebenen Sammelband "Die selbstbewußte Nation". Jetzt haben die beiden rechtsintellektuellen Publizisten eine Kohle nachgelegt – und Linksliberale wie Peter Glotz, die frühzeitig das Gras wachsen gehört haben, werden sich endgültig warm anziehen müssen.

"Für eine Berliner Republik" ist ein weiterer Meilenstein auf den verschlungenen Pfaden zu einer neuen deutschen Nationalbewegung, deren freiheitliche Traditionen vom Hambacher Fest 1832 bis zu den Leipziger Montagsdemonstrationen von 1989 reichen. Die meisten der insgesamt 25 Beiträge sind zwar schon früher in Zeitungen und Zeitschriften erschienen, doch handelt es sich mitnichten um einen "zweiten Aufguß". Im Gegenteil. Erst die jetzt vorgelegte Bündelung zu einer Gesamtschau vermittelt dem Leser ein Gefühl für die geistige Energie, mit der Schwilk und Schacht der Überwindung des altbundesrepublikanischen Status quo und einer Neubestimmung deutscher Politik das Wort reden.

Als Dreh- und Angelpunkt einer Kehrtwende gilt ihnen die neue alte Hauptstadt Berlin, in der sich gleichermaßen "Idealismus und Überhebung, Größe und Tragik, Gelingen und Scheitern deutscher Geschichte" spiegeln. In Deutschlands größter Metropole werde allein die räumliche Nähe zu den Problemen "ungeschminkte Einblicke in die von Bonn aus komfortabel verdrängte Realität" eröffnen. Berlin sei der Ort, schreibt Schwilk, "an dem die Gegenwart mächtig wirkt und die Perspektive auf die Politik existentiell verändert". Im Gegensatz zur Bonner Ära werde die Berliner Republik Probleme "entschiedener anpacken, Lösungen im Jetzt und Hier versuchen oder sich am Ende auf eine verträgliche Weise mit ihnen arrangieren müssen".

Freilich: Nicht auf allen Wegen vermag der Rezensent den beiden Buchautoren bei ihren Überlegungen zu folgen. Wo Schwilk und Schacht dafür plädieren, Deutschland müsse Israel "auch militärisch zur Seite stehen", schießen sie übers Ziel hinaus. Einerseits die Stigmatisierung der Deutschen durch Auschwitz zu beklagen, auf der anderen Seite deutsche Soldaten unter Hinweis auf den Mord an den europäischen Juden verpflichten zu wollen, die Grenzen Israels "mit Leib und Leben zu verteidigen", ist eben gerade kein Akt einer "sakramentalen Wiedergutmachung", wie Schwilk/Schacht behaupten, sondern genau jener Mißbrauch der Opfer als "Manövriermasse für die tagespolitische Auseinandersetzung", über den sie sich zu Recht empören. Wer den "Rückruf in die Geschichte" (Karlheinz Weißmann) im Hinblick auf die außenpolitische Rolle Deutschlands mißdeutet, erschwert sich zudem seine Anstrengungen, den Deutschen ein nationales Selbstwertgefühl zu vermitteln.

Was jenseits dieser gewichtigen Randnotiz bleibt, ist ein sprachmächtiger Zukunftsentwurf für eine "Berliner Republik", die aus dem Keller der Weltenbrüche wieder selbstbewußt emporsteigen will.

 

Ulrich Schacht/Heimo Schwilk: Für eine Berliner Republik. Streitschriften, Reden und Essays nach 1989, Langen Müller Verlag, München 1997, 256 Seiten, geb., 38 Mark


 
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