© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/97  24. Oktober 1997

 
 
Buchmesse: Streiflichter der JF-Korrespondenten
Zwischen Che und Lady Di
von Ellen Kositza/ Claus M. Wolfschlag

Zwei scheinbar immerwährende Feststellungen waren es, die sich als zutreffend erwiesen: einmal der vielzitierte Gemeinplatz, daß der interessierte Besucher bei nahezu 80.000 Neuerscheinungen mit einer "Bücherschwemme" konfrontiert werde und zum anderen die Tatsache, daß es die kleineren und Kleinstverlage sind, die der Messe ihren Charme geben.

Bereits vor dem Passieren des Eingangs wurde dem Besucher beispielsweise auf kopierten Flugzetteln Georg J. Schilling-Werras neues Buch "Patient Deutschland" als "der absolute Renner" angepriesen. Und auch andere Privatverlage für Einsteigerautoren (zum Beispiel der Arnim Otto-Verlag), können mit Autoren, die bisher kein Glück bei kommerziellen Verlegern hatten, zeigen, daß ihr Sortiment durchaus Fundstücke aufweisen kann.

Als Themenschwerpunkt 1997 wurde zwar Portugal angesetzt, dessen Bürger durchschnittlich anderthalb Bücher pro Jahr lesen, es erwies sich aber, daß das Land beim Gang durch die Messehallen in seiner Präsentation sehr ins Hintertreffen geraten ist. Eine ins Auge fallende Vielzahl diesjähriger Veröffentlichungen zeigte sich gebunden an zwei Personen erwiesenermaßen nichtportugiesischen Ursprungs: Kein Gang in den Hallen für "Fachbuch und Belletristik", in denen nicht Lady "Botschafterin des Herzens" Diana und der schon 30 Jahre länger abgelebte Ernesto "Che" Guevara von den Bücherregalen herabschaute. Dem potentiellen Leser angeboten wird von nicht durchweg dezidiert linken Verlagen in einfallsreicher Vielgestaltigkeit Neues und Intimes über den revolutionären Freiheitskämpfer: Ches Hände (Elefanten Press, deren anderweitig Ausgestelltes wie üblich strotzte von grimmig-linker Erbauungsliteratur über alte und neue Nazis), Ches Träume (Pahl-Rugenstein; auferstanden aus Ruinen pflegt dieser Verlag vornehmlich die historische Glorifizierung der Polit-Dinosaurier des VVN), und Ches Geliebte (Aufbau-Verlag).

Unter den zahlreichen Hochglanzalben zu Leben-Werk-Wirkung der großmütigen Prinzessin dagegen herrscht in der Buchpräsentation nicht der einhellige Konsens, den die Guevara-Lebensschilderungen vermitteln; zwei Verlage brechen dreist das Tabu um die quasi-heilige Britin; Robert Menasse und Gerhard Haderer zeichnen bei Suhrkamp ein satirisches Bild der "blonden und blauäugigen Kindergärtnerin", während die Spötter von Titanic – am Messestand kurioserweise vertreten von knorrigen Altjüngferlichen des Typs "hessische Gesamtschullehrerin" – gar mittels Diana-Pappwand mit fehlendem Antlitz zu einem öffentlichen Wettbewerb aufriefen: "Wer wird die neue Diana?".

Auffällig wirkt der Trend zu alternativ-esoterischen Themen auch außerhalb der einschlägigen Außenseiterverlage: Ayurveda, Aromaöle und Akupunktur in Form ausführlichster Nachschlagewerke scheinen mittlerweile für die meisten größeren Verlage unverzichtbar. Immer wieder gern genommen wird auch Historisches, Feministisches und gewollt Ketzerisches zur "Hexenfrage", ein schier unerschöpfliches Thema der weiblichen Schreiberzunft. Und weil die Entwicklung zum Drittbuch auch als Frauenbesitz nun kein Geheimnis mehr ist, wuchert die Literatur geschlechtsspezifischer Selbstverständnisse; eine Diskussion, die gemäß Titelrückseiten vor allem darum kreist, ob arbeitende Mütter ein Recht auf Glorifizierung ihrer "Doppel- und Dreifachbelastung", "Nur-Hausmütter" die Pflicht zur Rechtfertigung oder zur Offensive haben oder ob die kinderlose Frau nicht doch die selbstbestimmteste sei.

Von den linksradikalen Verlagen gab es wenig Neues zu berichten. Es war nur eine Frage der Zeit, bis auch der Unrast-Verlag einen Autor aufgetrieben hat, der nun selbst im Ausbau der EU Vorteile für das allgewaltige Netzwerk der "Euro-Rechten" zu erkennen vermeint. Und "Anton Maegerle" mag immer noch nicht zur Kenntnis nehmen, daß er des Pseudonyms nicht mehr bedarf, unter dem er im Schmetterling-Verlag mit Friedrich Paul Heller seinen neuesten Erguß über das ewigwährende Thema der "Neuen Rechten" und deren Okkultismus zum besten gibt.

So war auch bei dieser Buchmesse die alljährliche Steigerung der antinationalen Neurosen in radikal-linken Kreisen zu beobachten. Da sich offensichtlich für die RAF und RZ-Apologien des ID-Verlages, die dreisten Geschichtsinterpretationen der PDS-gesponserten "edition ost" oder die Glorifizierung der "Autonomen" bei den Verlagen Unrast und Konkret nicht genug Bürger zu interessieren schienen, muß wohl etwas nicht stimmen mit diesen Deutschen. Hermann Gremliza argumentiert hierbei noch subtil, wenn er in seinem Essay "Wir kneten ein KZ" fragt, weshalb die "Vergangenheitsbewältigung" zu einem derartigen Boom geworden ist: "Warum jetzt? Warum nicht 1960, 1970 oder 1980?" Da dies nichts mit einer Linksverschiebung der politischen Kultur zu tun haben kann (schließlich stehen wir ja kurz vor der Machtergreifung der "Neuen Rechten") muß sich eine perfide Strategie der Deutschen dahinter verbergen, die sich "Rendite" für den "Standort Deutschland" erhoffen.

Jedoch, man muß sich nicht bei Grenzdebilitäten aufhalten. Zu vielgestaltig waren die vielen kleinen Köstlichkeiten: Günter Maschkes neue Aufsatzanthologie bei Karolinger, die fetzigen Paperbacks der VAWS, matriarchale Thesen über die "elfenvolkliche" Herkunft des Begriffes Deutsch bei Gisela Meussling und erfrischende Erklärungen des Ahriman-Verlages, der sich als "gehaßt von Wojtyla bis Gremliza" zu verstehen gibt…


 
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