© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/97  24. Oktober 1997

 
 
Rüstungsindustrie als Wirtschaftsfaktor: Im internationalen Vergleich spielt Wehrtechnik in Deutschland eine immer geringere Rolle
Die heiße Schlacht an kalten Büffet: Exportschlager Kriegswaffen
von Hans-Ulrich Pieper

Der weltweite Waffenhandel boomt wieder. Nach der jüngsten Erhebung des renommierten Londoner Instituts für strategische Studien (IISS) waren die bedeutendsten Waffenimporteure 1996 die Scheichs Saudi-Arabiens, die mit 9 Milliarden Dollar fast zweimal soviel Rüstungsgüter aus dem Ausland bezogen wie Ägypten, das Land mit den zweitgrößten wehrtechnischen Einfuhren. Auf den nächsten Plätzen, mit Käufen von mindestens einer Milliarde Dollar, rangieren Japan, Großbritannien, China, Taiwan, Südkorea und Kuwait. Es folgen Israel und die Türkei, Indonesien, Thailand, Singapur, Malaysia und Algerien. Die höchste Zuwachsrate an Rüstungseinfuhren verbucht zwischen 1995 und 1996 Indonesien von 200 auf 700 Millionen Dollar.

Der führende Waffenexporteur sind seit dem Zweiten Weltkrieg die USA, heute mit einem Marktanteil von 43 Prozent und einem Exportvolumen von 17 Milliarden Dollar. Darauf folgen Großbritannien (mit gut 22 Prozent, das sind 8,8 Mrd. Dollar) und Frankreich (mit 14,1 Prozent, das sind 5,6 Milliarden Dollar). Deutschland exportierte laut IISS vergangenes Jahr Waffen im Wert von nur 657 Millionen Dollar, das war ein Marktanteil von 1,6 Prozent. Allein gegenüber dem Vorjahr (3,8 Prozent) war das mehr als eine Halbierung. Während die Verteidigungsminister aller reichen Länder für unsere Nato-Partner begehrte Kunden sind, übt sich Bonn in seltsamer Zurückhaltung. Und stranguliert die deutsche Wehrwirtschaft, die seit der Wende mehr als 50 Prozent ihrer Kapazitiäten und über 100.000 in der Regel hochqualifizierter Arbeitsplätze abbauen mußte. Und das, obwohl die deutsche Rüstungsindustrie hochentwickelte und weltweit begehrte Technologie zu bieten hat. Doch im Gegensatz zu unseren Nato-Partnern, die nationale Budgeteinschränkungen des Verteidigungshaushaltes mit verstärkten Exporten auszugleichen suchen, hält Bonn den deutschen Rüstungsexport auf Sparflamme, verhindert Milliarden-Aufträge an die deutsche Wirtschaft durch Nicht-Genehmigung und läßt so eine ganze Branche verkommen, die für die technologischen Voraussetzungen unserer Verteidigungsfähigkeit verantwortlich ist.

Geburtsstunde des neudeutschen Rüstungsexports

Das war nicht immer so: In den frühen Morgenstunden des 29. Oktober 1965 legt im Hafen von Nordenham an der Wesermündung das Frachtschiff "Billetal" ab. Über die Ladung wird an Bord nicht gesprochen. Raketen, Kanonen, MGs, Minen und andere Waffen. Der Handelswert: 12,58 Millionen Mark.

Der Eigentümer des Frachters ist Gerhard Mertins, Firmenchef der bei Bonn ansässigen "Merex"-Firmengruppe und Vertrauensmann des bundesdeutschen Geheimdienstes BND. Der 29. Oktober ist der Stichtag, an dem der Startschuß zu einem der nachweisbar ersten größeren deutschen Waffen-Export-Geschäfte in der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte fällt.

Das offizielle Reiseziel der "Billetal" ist der Iran. Das Land, in dem noch der Schah regiert, hat auch die Endverbleibs-Klausel garantiert. Mit dieser Klausel im Liefervertrag verpflichtet sich das Kaiserreich, keine Weitergabe der deutschen Waffen zuzulassen. Der Liefervertrag wurde für den Iran von General Hassan Alavikja am 27. Juli 1965 unterschrieben. Der General ist Gesandter bei der Botschaft seines Landes in Köln.

Überdies aber gibt es für die heiße Fracht noch einen zweiten Vertrag. Er ist geheim und wurde am 28. Juli 1965 von Mustafa Idris im Auftrag "Seiner Königlichen Hoheit Prinz Sultan" für den Ölstaat Saudi-Arabien geschlossen. Der Prinz ist Verteidigungsminister. Und sein Königreich befindet sich im "Heiligen Krieg" mit Israel – das nach den Bonner Richtlinien für Rüstungs-exporte als Spannungsgebiet gilt. In Spannungsgebiete aber durften deutsche Waffen damals offiziell nicht exportiert werden!

So schippert die "Billetal" vier Wochen im Persischen Golf, legt 11.000 Seemeilen zurück und landet schließlich am 29. November im Hafen von Darmman, in Saudi-Arabien. Hier wird die heiße Fracht gelöscht. Die für den Schah bestimmten Waffen bekommen die Saudis. Erst Anfang Januar 1966 reist der "Merex"-Frachter weiter nach Iran – und legt im Hafen von Shapour/Persien an. Hier aber, wo nach den offiziellen Exportpapieren die Entladung vorgesehen war, kommen nur durstige Seeleute an Land – so berichtet später "Merex"-Chef Gerhard Mertins. Und dennoch erhält die deutsche Firma von der persischen Armee ein Import-Zertifikat, nach dem das gesamte Rüstungsmaterial am 30. November 1965 in Shapour in Empfang genommen worden sei.

Das Waffen-Geschäft der deutschen Firma "Merex" ist gut vorbereitet und erst der Anfang für zahlreiche geheime Missionen der "Billetal". So werden Anfang 1966 neunzig Kampfflugzeuge vom Typ F 86 Sabre VI mit einem Gesamtwert von über 10 Millionen Dollar nach Persien überführt. Doch auch die Sabres bleiben – trotz vorliegendem Endverbleibs-Zertifikat – nicht in dem Schah-Reich. Sie gehen weiter nach Pakistan, das gerade einen heftig entbrannten Krieg gegen Indien führt – und dringend das deutsche Rüstungsgut benötigt.

Es werden zunächst 20.000 Granaten via Persien nach Pakistan geliefert, Später folgen auf demselben Weg 1,3 Millionen Schuß Gewehrmunition und am 24. Februar 1967 Waffen im Wert von rund 400.000 US-Dollar: Panzerfäuste, Zündschnur-Anzünder und eine Million Schuß Munition. Die Verschiffung erfolgt diesmal mit dem Frachter "Elster" der Argo-Reederei in Bremen.

Mit Pakistans Kriegsgegner Indien kommt es aber ebenfalls zu einem größeren Waffen-Deal der Deutschen: Am 13. August 1965 wird mit der indischen Regierung ein Vertrag geschlossen, der die Lieferung von 215 SeaHawks, Tiefangriffs-Flugeugen, vorsieht. Der Handelswert: 3,5 Millionen Mark. Für die Inder unterschreibt den Vetrag Botschafter Shishir Kumar, Missionschef in Bonn. Diesmal läuft die Reiseroute über das Nato-Land Italien. Offiziell ist also nur eine Ausfuhrgemehmigung für das Nato-Land erforderlich. Und die gibt es ohne Probleme. Eine legale Ausfuhr des Kriegsgerätes nach Indien allerdings verbietet das deutsche Kriegs-Waffen-Kontrollrecht, denn Indien ist Kriegsgebiet!

Die Geheimaktionen stehen im krassen Gegensatz zur deutschen Gesetzgebung und dennoch: sie werden von ganz oben, dem Bundeskanzleramt in Bonn, eingefädelt. Sie laufen über den Bundesnachrichtendienst in Pullach und werden ausgeführt von dem Merex-Chef Mertins, der beim deutschen Geheimdienst unter dem Decknamen "Uranus" geführt wird. Die Waffen und Munition stammen aus Bundeswehr-Depots. Der Verkaufserlös fließt über Sonderkonten der Deutschen Bank in die Finanzkasse des Bundesamtes für Wehrtechnik und Beschaffung (BWB). In den Buchungen des BWB über den heimlichen Bonner Waffen-Deal heißt es dann beispielsweise: "DM 5 Millionen an Finanzkasse des BWB. Ihrem Auftrag vom 30.10.1967 gemäß haben wir die Überweisung mit Vermerk ‘Gegenw. der von der Iran. Reg. und an Fa. Merex AG’ ausgelieferten Bestände ausgeführt."

Unter Brandt wechselten die Empfänger der Waffen

Ausgeführt wurden in den folgenden Jahren in der Tat beachtliche Bestände aus Bundeswehr-Überschuß-Depots. Bonns beste Kunden sind Staaten der Dritten Welt, die nur über sehr begrenzte Mittel in ihren Verteidigungs-Etats verfügen: Deutsche Waffen aus Bundeswehr-Beständen gehen nach Bangladesch, Peru, Kolumbien, Ecuador, Ägypten, Tunesien und in den Jemen.

Die Bundeswehr und ihre Waffenexporteure machen mit dem internationalen Waffenhandel gute Geschäfte. Doch dies ist nicht der einzige Grund für den geheimen Handel. Immer öfter hören Anfang der 60er Jahre deutsche Diplomaten die Frage aus ihren Missionsländern: "Ist Ihr Land auch bereit, uns bei der Verteidigung unseres Volkes zu helfen?" Die Frage kommt aus immer mehr Ländern, vorwiegend der Dritten Welt. Der Druck auf Bonn wächst zunehmend. Eine Bonner Antwort steht aus. Im Kanzleramt wird deshalb in kleinem Kreis eines Tages die Frage erörtert, ob nicht heimliche Rüstungshilfe, in Abstimmung mit den verbündeten Amerikanern, auf Umwegen geliefert, die deutsche Außenpolitik wirksam unterstützen könne. Die Regierungspolitiker sehen dabei nicht nur auf die Nato-Partner England, Frankreich und Italien, die bisher nach den USA den westlichen Waffentransfer in die Entwicklungsländer kontrollieren. Die Bonner haben vor allem auch Moskaus imperiale Intentionen im Auge. Immer mehr Staaten der Dritten Welt brauchen Waffen, um sich gegen mit sowjetischem Gerät ausgerüstete Guerilla-Bewegungen wehren zu können. So kommt das Kanzleramt schließlich zu einer positiven Antwort: Ja, deutsche Waffen können exportiert werden, wenn es im westlichen und deutschen Interesse geschieht. Der BND, damals unter der Führung des legendären Generals Gehlen, bekommt den entsprechenden Auftrag. Und Gehlen wählt sich den ehemaligen Ritterkreuzträger und international versierten Geschäftsmann Mertins, um den heimlichen Waffenschmuggel im Staatsauftrag durchzuführen. Von den geheimen "Merex"-Frachten profitieren später zunehmend deutsche Rüstungsunternehmen. So kommt die schwäbische Firma Heckler und Koch groß ins Geschäft. Sie darf zur Herstellung von G1-Gewehren bauen. Die Düsseldorfer Rheinmetall erhält die Erlaubnis, ebenfalls in Pakistan eine Fließband-Fabrik für das MG 3 zu errichten. Und zahlreiche deutsche Zulieferunternehmen beteiligen sich an dem Geschäft. MTU überholt Triebwerke für Jagdflugzeuge, die zum Export bestimmt sind. Mit der Instandsetzung einstrahliger Antriebsdüsen beschäftigen sich die Techniker von MAN. Die Generalüberholung von beim Bund ausgedienten Kampfpanzern M48 übernehmen die Firmen Thyssen und Wegmann in Kassel. In der Bundesrepublik arbeiten rund 45.000 Menschen für den Rüstungsexport. Anfang der 70er Jahre wird der Waffen-Exporteur Gerhard Mertins mit drei seiner Geschäftsführer vor Gericht gestellt. Der Vorwurf: illegaler Export von Rüstungsgütern, Verstoß gegen das Kriegswaffen-Kontrollgesetz. Die neue SPD-geführte Regierung unter Willy Brandt will Zeichen setzen. Doch Mertins und seine Mitarbeiter werden freigesprochen. Begründung des Richters: Waffenhandel im Staatsauftrag ist straffrei. Ein subjektives Unrechtsbewußtsein kann nicht nachgewiesen werden.

Der Prozeß gegen die "Merex"-Manager veranlaßt in der Öffentlichkeit viele zu glauben, unter der neuen sozialliberalen Bundesregierung Brandt/Scheel werde der deutsche Waffenschmuggel im Staatsauftrag nunmehr eingestellt. Doch auch die neue Regierung, an die sich viele Hoffnungen knüpfen, unterliegt den Gesetzen internationaler Normalität.

Einer der ersten Kunden in der nun beginnenden Brandt-Ära ist der Sozialist Salvador Allende in Chile. Als Chef einer revolutionären Volksfront-Bewegung aus Sozialisten, Kommunisten und mehreren linksgerichteten kleinen Splittergruppen hat Allende im März 1969, sieben Monate vor Willy Brandts Wahl zum Bundeskanzler, die Macht errungen. Zur Absicherung seiner Macht benötigt er Waffen. Brandt liefert sie ihm: in einer ersten Lieferung 840 Schnellfeuer-Gewehre, 500 Maschinengewehre und 17 Maschinenpistolen. Offizielle Begründung: man halte "die Exporte nach Abwägung aller relevanten außen- und verteidigungspolitischen Aspekte für gerechtfertigt". Nach einer Studie des sozialdemokratischen Friedensforschers Ehrenberg wurden unter den SPD-Kanzlern Brandt und Schmidt mehr deutsche Waffen in alle Welt verkauft als je vorher oder nachher.

Für die "Frachtverbringung", wie es im Amtsdeutsch heißt, ist seit dem Prozeß gegen Gerhard Mertins nicht mehr die "Merex" zuständig. Auf Anregung des BND wird eine neue Firma gegründet, die"Werkzeug-Außenhandels-GmbH WAH" mit Sitz in Hamburg, Die Vorbereitungen dieser neuen Waffenhandels-Organisation laufen eineinhalb Jahre nach Bildung der Großen Koalition aus CDU und SPD an. In der Leitung des Unternehmens wird ein vom Dienst freigestellter BND-Mitarbeiter plaziert, Gesehäftsführer wird General a.D. Engel. – Der Mann mit dem himmlischen Namen war 1945 Adjutant Adolf Hitlers. Mit amtlicher Rückendeckung aus Bonn liefert die WAH in zahlreiche Spannungsgebiete der Welt – obwohl die Ausfuhr deutschen Wehrgerätes in diese Regionen nach dem Kriegs-Waffen-Kontroll-Gesetz (KWKG) strikt untersagt ist:

l Flugzeuge des Typs F-84 und F-86 nach Indonesien.

l Waffen und Geräte nach Nigeria. Der geschätzte Gewinn beträgt etwa 10 Millionen DM.

l Waffen und Komponenten nach Südafrika,

l eine Uranprobe im Wert von 1.750 DM, dazu ein Angebot über die Lieferung von weiteren 20 Tonnen an die VR China. – Waffen und Geräte werden überdies nach Griechenland und Jordanien verbracht.

Im Frühjahr 1971 läßt die sozialliberale Regierung ein bemerkenswertes Umweg-Geschäft zu. Mit deutschen Bauplänen dürfen in England vier Unterseeboote des HDW-Typs 209 gebaut worden. Das Abnehmerland ist Israel. Der Deal mußte besonders gründlich vorbereitet werden, denn in den 80er Jahren hatte die Bundesrepublik gegenüber arabischen Regierungen zugesagt, Waffen-Exporte nach Israel nicht mehr zuzulassen – und deshalb den Begriff des "Spannungsgebietes" als Ablehnungskriterium in das deutsche Kriegswaffen-Kontrollrecht eingeführt.

Doch was Spannungsgebiete sind, bestimmt die Regierung. Im Mai 1973 wird die Lizenz-Lieferung für 105-Millimeter-Panzerkanonen nach Iran genehmigt. Im November 1978 erfolgt die Genehmigung für das Minenräum-System "Troika", das Saudi-Arabien geordert hat. Und schließlich erhalten die verfeindeten Nachbarländer Chile und Argentinien deutsche Kriegsschiffe, Chile Fregatten, Argentinien U-Boote. Da wundert es kaum noch, wenn auf der letzten Sitzung des Bundessicherheitsrates unter Kanzler Helmut Schmidt und Außenminister Genscher der Export des gesamten Know-Hows für das Tornado-Triebwerk beschlossen wurde. Lieferland: das kommunistische Jugoslawien.

Die in der Rüstungsindustrie beschäftigten Arbeiter, Meister, Ingenieure und Manager produzieren zumeist Spitzentechnik "made in Germany". Eine High-tech-Industrie, deren Produkte zwar weltweit begehrt sind, aber aus politischen Gründen kaum noch der weltweiten Nachfrage entsprechen darf. So ging bereits in den 80er Jahren ein Milliarden-Geschäft mit Saudi-Arabien verloren, das den deutschen Kampfpanzer Leopard 2 erwerben wollte. Den Deal machten dann die Amerikaner. Einen Großauftrag zum Bau von U-Booten wollte das reiche Taiwan an die norddeutschen Werften vergeben. Aus Angst vor Peking wurde das Geschäft in Bonn verhindert, Frankreich und Holland zogen das Milliarden-Geschäft an Land und kümmerten sich um Pekings Proteste wenig.

Das internationale Ausland verhält sich gegenüber der deutschen Konkurrenz bei weitem nicht so zurückhaltend: So stiegen allein in den 80er Jahren die Rüstungsexporte von England um 111 Prozent, Frankreich (114 Prozent), Schweiz (172 Prozent), Italien (329 Prozent), Israel (1.684 Prozent) und Brasilien um sogar 11.660 Prozent. Hierbei handelt sich um reale Durchschnittswerte über einen 10-Jahres-Zeitraum, insofern können kurzfristige Großsystem-Lieferungen auch keine "einmaligen Sündenfälle" darstellen.

Tony Blair als Botschafter der Rüstungsindustrie

Der internationale Handel mit konventionellen Waffen und wehrtechnischem Gerät ist heute zu einem Begleitphänomen der internationalen Politik geworden: Wenn heute der englische Premierminister Tony Blair nach Peking reist, dann steht ganz oben auf der Tagungsordnung seiner Gespräche mit den rotchinesischen Staats- und Wirtschaftsführern der Verkauf des englischen Kampfflugzeuges Harrier. Der Hintergrund: Bei der britischen Wehrindustrie handelt es sich in der Regel um Staatsunternehmen und folglich ist der Staat auch für ihre Auslastung zuständig.

Wenn der französische Staatspräsident Jospin nach Irak fliegt, dann können wir sicher sein, daß dort auch und insbesondere über den Verkauf der Mirage gesprochen wird. Der Hintergrund: Je mehr Produkte die französische Rüstungsindustrie ausliefern kann, um so höher ist die Auslastung in den französischen Betrieben, um so ergiebiger ist der Devisenzufluß nach Frankreich und um so niedriger sind natürlich die Stückkosten für den Eigenbedarf der französischen Streitkräfte. Denn höhere Stückzahlen reduzieren in der Regel die relativen Stückkosten. Insofern entlastet der nationale Waffen-Export auch den nationalen Verteidigungshaushalt.

Militärische Innovationen werden relativ schnell auf ihre Verwendung für die Konsum- und Investitionsgüterindustrie überprüft: Lasertechnik, Ultrakurzfotografie oder die Vakuum-Schweißtechnik, aber auch das Radar, die Kernkraftenergie oder die Mikroelektronik sind Ergebnisse dieses Prozesses. Ob Walkman, Audiovisions-Spiel oder zusätzliche Sicherheit im Auto, der "spin-off-Effekt" ist mit Händen zu greifen. Man trägt ihn am linken Handgelenk. Er fliegt uns in etwas mehr als einer Stunde von Hamburg nach München. Nierensteine können mit Schockwellen behandelt werden. Alle diese Errungenschaften hatten ihren Ursprung in der wehrtechnischen Forschung.

Wehrtechnik ist Spitzentechnik. In all ihren Facetten, zu Land, zu Wasser und in der Luft, kann sie sich das eigentlich nur noch das Militär leisten. Firmen reißen sich deshalb besonders um militärische Aufträge, weil hier nach garantiertem Kosten-Erstattungsprinzip sichere Gewinne zu machen sind, die Ingenieure in Grenzbereiche der Technik vorstoßen können und "spin-off-Effekte" die konventionelle Forschung und Fertigung stimulieren.

In der Wehrtechnik sind es die extrem hohen Anforderungen an Werkstoffe und Material, die für die Spitzenstellung der Rüstungstechnik sorgen. Eine Leopard-Frontpanzerung kann heute jede bekannte Anti-Panzer-Hohlladungs-Rakete aushalten. Das zwingt die Forscher über neue Geschoß-Materialien nachzudenken. Und sie werden sie morgen haben, um den Leo schnell knacken zu können.

Die enorme Panzermacht des Osten hatte dazu geführt, daß der Westen neue Artillerie-Munition entwickelte. Die Techniker nennen sie intelligent. Sie kann zielgenau Panzer von oben bekämpfen, sich selbständig in das Ziel lenken – und überdies Freundpanzer von Feindpanzer, exakt unterscheiden. Das Prinzip heißt: Fire und forget.

Heute noch geheime Forschungs- und Entwicklungs-Erkenntnisse stehen dahinter: in der Lasertechnik, Sensorik und Signalverarbeitung. Es wäre sicher kurzsichtig anzunehmen, die Daimler-Strategen würden den staatlich finanzierten Spin-off nicht nutzen wollen. Die Schwaben waren stets solide Planer:

So wird die für wehrtechnische Zwecke entwickelte Kurzzeitfotografie heute zur Aufzeichnung von Crash-Tests mit Automobilen benutzt, aus deren Ergebnissen sich Rückschlüsse auf die Wirksamkeit von Gurtsystemen und Knautschzonen ziehen lassen. Die zunächst in der Wehrtechnik aus Kostengründen zur Ausbildung von Flugzeugführern entwickelten Simulatoren haben inzwischen ebenfalls in großem Rahmen Einzug in die zivile Technik gefunden. Neben Simulatoren für ganze Kraftwerksanlagen zur Aus- und Weiterbildung des dort beschäftigten Wartungspersonals werden Simulatoren auch im Bereich der Schiffahrt und der Automobilindustrie eingesetzt. Und selbst die zunächst zur Aufklärung über gegenerischem Territorium entwickelten Satelliten ermöglichen uns heute, mit speziellen Sensoren und Auswertungseinrichtungen nicht nur frühzeitige Aussagen über zu erwartende Ernten, sondern auch über bereits eingetretene Umweltschäden.

Vor diesem Hintergrund wird auch die Forderung aus der Friedens- und Gewerkschaftsbewegung nach Rüstungskonversion (gemeint ist die Umwandlung der Rüstungsproduktion in Zivilproduktion) zu einem Irrweg. Allein die politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen wären katastrophal: Für die nationalen Streitkräfte müßte nach einem heimischen Herstellungsverzicht alle Wehrtechnik importiert worden. Ein vollständiger Rüstungsimport würde in der deutschen Wehr-Wirtschaft auch die verbliebenen etwa 100.000 meist hochqualifizierten Arbeitsplätze vernichten. Wo sollen diese Arbeitnehmer hin? Für sie gibt es keine Alternative. Dies gilt für Frankreich mit 295.000 Facharbeitern, für Italien mit 100.000 Arbeitnehmern, für die USA mit 1,2 Millionen Mitarbeitern, für Brasilien mit 120.000 Beschäftigten, für Israel mit 85.000 Menschen, für Großbritannien mit 590.000 Beschäftigten in der Wehr-Branche – um nur einige zu nennen.

Wer heute nach bekannten deutschen Rüstüngsmanagern sucht, stößt auf eine Mauer des Schweigens oder die Bitte, es doch bei einem Hintergrundgespräch zu belassen. In den USA ist das anders. Dort bekennt sich ein Rüstungsmanager, selbstbewußt, selbstsicher – wie jeder andere Manager, wenn er Erfolg hat. Die Reserve der deutschen Industrie ist erklärlich, denn die führenden Wirtschaftsverbände BDI und BDA nehmen sich der wehrtechnischen Interessen nicht an. Auch die Rüstungsindustrie ist bis heute nicht in der Lage gewesen, einen Bundesverband zu konstituieren, der die Anliegen der etwa 20.000 betroffenen Firmen vertritt. Lobbyvertretuzngen der Branche in Bonn sind allenfalls von angelsächsischen Unternehmen wie "Bell Helicopter GmbH" oder "Hughes Aircraft Company" bekannt.

Die deutschen Manager haben die Schnauze voll

Die eigentliche Ursache jener industriellen Zurückhaltung ist politisch motiviert: Weit über 80 Prozent aller Aufträge erhält die Verteidigungsindustrie vom Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung, das heißt von der öffentlichen Hand. Für Exportaufträge gilt der uneingeschränkte Primat der Politik. Das bedeutet: Für nahezu die gesamte deutsche Rüstungsproduktion ist die Genehmigung politischer Entscheidungsträger erforderlich. Bonn aber hat der Industrie wiederholt klar gemacht, daß deutsche Rüstungsproduktion und deutscher Rüstungsexport "einer historischen Belastung" (Staatssekretär Gruner auf einem sicherheitspolitischen Kongreß der FDP) unterliegen – und insofern "dieses Thema in der Öffentlichkeit unerwünscht" sei. Mit anderen Worten: Will die Wirtschaft ihre Wehrerzeugnisse überhaupt noch absetzen, und im Wettbewerb unter dem staatlichen (Auftrags- und Entscheidungs-) Monopol bestehen, hat sie Auftrag und Aufgabe im stillen Hintergrund zu vollziehen. Denn hier gilt der Primat der historischen deutschen Schuld.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen