© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/97  31. Oktober 1997

 
 
Wartburgfest: Aufbruchstimmung statt nur geflüsterte Überzeugungen
Abschied von den Hinterzimmern
von Richard Stolz

Träumerische Romantik und zudem ein wenig lächerlich sei es, so das Urteil eines Kommentators, wenn man sich angesichts aktueller Herausforderungen 1997 der Symbolik des studentischen Wartburgfestes von 1817 bediene. Doch das Wartburgfest der "Deutschland-Bewegung" am vergangenen Wochenende hat mit seinen rund 400 Teilnehmern bewiesen, daß es eben nicht der realen Zeitgenossenschaft Metternichs bedarf, um sich selbstbewußt, patriotischen Geistes und unter Berufung auf die nationale Interessenlage zusammenfinden.

Die Stammtische mögen leben, sagte Mit-Organisator Götz Kubitschek in seiner anekdotenreiche Rede im Eisenacher Bürgerhaus, doch müsse man "heraus aus den Hinterzimmern, Abschied nehmen von denen, die sich in exklusiven Kreisen der Eingeweihten seit jahrzehnten gegenseitig die Notwendigkeit ihrer geflüsterten Überzeugungen versichern". Damit gab der Student zugleich den Tenor der dreitägigen Veranstaltung vor: Abschiednehmen von Hinterstüblern, denen der Weg von der Kritik hinter vorgehaltener Hand hin zur Tat wohl ewig verwehrt bleibt und die über ihren vorgestrigen Ressentiments ergrauten.

Ein wenig revolutionäres Pathos schwang wohl mit, als die sechs "jungen Deutschen" – unter ihnen mit Recht der 85jährige geistige Mentor der Ökologiebewegung, Baldur Springmann – über ihr Land, über ihr Heimatbild referierten. Emphatisch doch ohne Beanspruchung irgendwelcher Gemeinplätze, wehte so gleichsam ein frischer Wind über die Zuhörer. Alfred Mechtersheimer, Ex-Bundestagsabgeordneter der Grünen, Friedensforscher und Initiator der Deutschland-Bewegung, hatte es allen Unkenrufen zum Trotz fertiggebracht, ein Spektrum politischer Bekenntnisse und kultureller Zugehörigkeiten an einen Tisch zu bringen, das den bloßen Austausch neurechter Selbstverständlichkeiten von Grund auf ausschloß: Christlich-konservatives Bürgertum fand sich ein neben den Kinderscharen der Heidenfamilien in wallenden Gewändern, großstädtische Jugend, gepierct und in schwarzer Kluft war ebenso präsent wie der stets gegenwärtige Gesang der Bündischen, alte Sozis nahmen Platz neben Liberalen. Gemeinsam applaudierte man dem Historiker Karlheinz Weißmann und seiner Analyse der "Fünf Enttäuschungen über die Nation", diskutierte über Rolf Stolz’ Sicht der Bedrohung des Abendlandes durch den Islam. Mißlungen war nur ganz sicher die mayonnaiseartige Pampe, die den Festbesuchern als kollektives Mittagsessen ausgegeben wurde.

Als Erfolg zu werten war neben den Vorträgen und den Seminarangeboten – ein "Medienlehrgang" des ehemaligen ZDF-Mitarbeiters Helmut Kamphausen sowie Koordinierungstreffen zu Aktionen gegen die Wehrmachtsausstellung und den Euro – das kulturelle Rahmenprogramm. Den Höhepunkt dieses Programms stellte gewiß der von Liedermacher Friedrich Baunack organiserte "Sängerkrieg" am Samstagabend dar. Acht Interpreten, Solisten wie Gruppen, stellten sich dem Urteil des Publikums. Freiheit und Kampf, Vergangenheit und Zukunft, Vaterland und Mutterfreuden wurden besungen; daß es schlußendlich keine "Verlierer" gab, blieb hierbei nicht nur Floskel, auch wenn allein Liedermacherin Swantje Swanhwit 1.817 DM Preisgeld nach Hause tragen durfte.

Geselligkeit, Austausch, Kritik wie Selbstkritik – alles hatte seinen rechten Platz an diesem Wochenende. Freilich alles längst kein "mutiger Akt", kein Wagnis wie 1817 – aber ein Anfang.


 
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