© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/97  07. November 1997

 
 
Pankraz, G. Maschke und Wärme im Winter des Dionysos

An dem an sich interessanten und schön illusionslosen Interview, das die JF vor sieben Tagen mit Günter Maschke führte, hat Pankraz gleichwohl einiges auszusetzen, z.B. an dieser Äußerung Maschkes: "Das deutsche Volk ist seelisch und intellektuell völlig verkrüppelt und heruntergekommen; es ist um keinen Deut in einem besseren Zustand als die politische Klasse". Wenn Intellektuelle, ob rechte oder linke, das eigene Volk beschimpfen, wirkt das immer komisch, man fragt dann automatisch mit Brecht: "Warum wählen sie sich kein anderes?" Wenn jemand mit Rezepten und Kurpackungen herumzappelt und den Patienten gleichzeitig behöhnt und verteufelt, darf er sich nicht darüber wundern, daß man ihm lachend die Kehrseite zeigt.

Prinzipiell gilt: Ein "Volk" in dem Sinne, in dem Maschke den Begriff verwendet, also die Masse der Wähler, Politikbeobachter und biederen Fernsehkonsumenten, – ein solches Volk ist stets genau so gut oder schlecht wie seine "Elite", d.h. es überläßt der Klasse der Stichwortgeber, Großunterhalter und Absahner ohne Murren den Part der nationalen Imagebildung, begnügt sich seinerseits mit Zuschauen und Nachahmen. Es ist elastisch und formbar. Man kann, wenn man mit gutem Beispiel vorangeht, viel von ihm verlangen.

Wenn man freilich oben immer nur abschnallt und das auch noch als Tugend preist, wenn man immer nur die Schlipse lockert und zur "Befreiung" von allem und jedem aufruft, dann darf man sich nicht wundern, wenn einem ein adäquates-allzu adäquates Echo entgegenschallt. Wenn man oben den Marquis de Sade zum Gott erklärt, dann setzt es unten eben "Liebesgrüße aus der Lederhose". Wenn man oben "antiautoritäre Erziehung" propagiert und die kulturellen Erbschaften als bloße Altlasten und Vermüllungsobjekte behandelt, dann antwortet es von unten eben mit "Hurra, die Schule brennt!" Wie der Herr, so’s Gescherr.

 

Deutschland hat wahrhaftig kein Volksproblem, es hat aber – mehr als alle anderen westlichen Länder – ein eminentes Eliteproblem. Das, was bei uns jetzt zwischen vierzig und sechzig Jahre alt ist und in den Führungsetagen sitzt, also die Generation der sogenannten 68er, ist keine Elite, sondern eine Gegenelite, durch die Ungunst der Geschichte nach oben geschwemmt, eine Bank von fast dämonischem Zerstörungswillen. Eine derartige "Elite" hat es in der deutschen Geschichte noch nie gegeben, auch in den dunkelsten Zeiten nicht, um 1650 nicht und nicht um 1920.

Sie schnallen nicht nur ab und bespucken nicht nur die eigene Tradition, sie sind nicht nur außengeleitet und fremdenhörig, sondern sie verstehen es nicht einmal, von den Fremden deren Bestes und Bedenkenwertes zu übernehmen, sie übernehmen mit geradezu tödlicher Sicherheit stets nur deren Schlechtestes und Albernstes. Von den Sowjets übenahmen sie ausgerechnet die byzantinisch-asiatische Ikonengläubigkeit, das Transparente-Schwenken, den irren Dogmatismus, von den Amerikanern ausgerechnet die Geldgier, den Infantilismus, die Apologie der Mickymaus. Und sind auch noch stolz darauf.

Macht man sich das hinreichend klar, so erkennt man, daß – Maschke zum Trotz – nicht der geringste Grund besteht, das Volk zu beschimpfen, das solchen Blödsinns-Duschen ausgesetzt ist, im Gegenteil, man wird einsehen müssen, daß sich das Volk relativ gut gehalten hat. Wenn es in Deutschland noch irgendwelche Bestände gibt, mit denen man positiv rechnen kann, so liegen sie im Volk, in seiner immer noch beträchtlichen Selbstdisziplin, Properheit und Gutmütigkeit, in seinem technischen und organisatorischen Ingenium, in seiner Fähigkeit, der herrschenden Geistesdiktatur mit Stammtisch-Renitenz zu begegnen.

Deshalb ja auch die bohrenden und unermüdlichen Versuche der "Elite", alles dies, die Disziplin, die Properheit, die Stammtisch-Mentalität, madig zu machen und als "typisch deutsch" zu denunzieren. "Typisch deutsch" – das ist die Verächtlichkeitsformel unserer Elite schlechthin, Synonym für das, was man hassen muß und was man vernichten muß. Vor dem Mord am Volk selbst steht der Mord an seiner Seele. Will sich Günter Maschke denn an diesem Geschäft beteiligen?

 

Er fiele dann vollständig aus für ein anderes Geschäft, das es zu leisten gilt und für das die Aussichten, mag er es nun glauben oder nicht, gar nicht so ungünstig stehen: die Formierung einer neuen, wirklichen Elite in Deutschland, die sich nicht als Geißel des Volkes, dem sie entstammt, versteht, sondern als dessen Sublimierungs-Institut, als die "volonté générale" gewissermaßen zur "volonté de tous", welche das Volk ist und welche immer in der Zerstreuung lebt, wenn seine Antriebe und Interessen nicht versprachlicht und gebündelt werden.

Mit einem "linken Rousseauismus", wie Maschke argwöhnt, hat eine solche Bemühung nichts zu tun. Wirkliche Eliten haben nie etwas anderes getan, als virulente Volkskräfte zu bündeln, zu versprachlichen und zu sublimieren, d.h. sie in einen globalen, gesamtkulturellen Kontext zu stellen, sie gleichsam kompatibel zu machen und trotzdem in ihrer Eigenwürdigkeit und raumspeziellen Farbigkeit zu erhalten und ihnen Geltung zu verschaffen. Nur so ist Kultur ja überhaupt möglich, eine Kultur, die sich nicht in Globalisierungsphrasen und mickymaushafte Banalität auflöst.

Aber um es noch einmal zu unterstreichen: Eliten bündeln nicht nur, sie sublimieren, d.h. sie setzen das Maß und das Vorbild und sind verantwortlich für das, was aus einem Volk gemacht wird. Sie sind Apollo, das Volk ist Dionysos, nämlich Energiespender, Lava, die apollinischer Formung ausgesetzt wird. In den alten Sagen darf Dionysos bei Apollo im delphischen Heiligtum unterkriechen, wenn es ihm kalt ist, darf bei ihm "überwintern". Auch bei deutschen Eliten müßte man wieder einmal überwintern können.


 
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