© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/97  07. November 1997

 
 
Jean-Claude Jacquard, Präsident des GRECE, über die intellektuelle Debatte in Frankreich
"Wir wollen Einfluß auf die Kultur"
von Dieter Stein /Hans B. von Sothen

Der GRECE wurde 1968 vor allem von Studenten gegründet. War das ein Gegenprojekt zu der damaligen linken Studentenbewegung?

JACQUARD: Es war vor allem eine Analyse der Situation, die unter Beweis stellte, daß man die damaligen Probleme nicht allein mit politischen Mitteln angreifen konnte, sondern sie metapolisch lösen mußte: man mußte die Frage des kulturellen Vorfelds der Politik mit einbeziehen.

Wie kam es, daß diese Gründung jenseits der traditionellen Rechten stattfand?

JACQUARD: Die alte Rechte hatte keine Antworten auf die Fragen der Zeit. Der GRECE glaubte und glaubt noch immer, daß der kulturelle Kampf, der Kampf der Ideen das Wichtigste ist. Auf einem rein politischen Weg kann man die anstehenden Probleme nicht lösen.

Was ist das Hauptziel Ihrer Organisation?

JACQUARD: Die direkte politische Aktion liegt etwas außerhalb unseres Betätigungsfeldes. Was wir hauptsächlich wollen, ist, Einfluß zu gewinnen auf die bestehende Kultur; wir wollen die Ideen in eine bestimmte Richtung lenken, ohne selbst politisch aktiv zu werden, und zwar auf der Grundlage dessen, was wir veröffentlichen und was wir sagen. Für solche kulturellen Umwälzungen im politischen Vorfeld gibt es historische Beispiele. Die französische Revolution etwa läßt sich nicht denken ohne die vorhergehende ideologische Arbeit, die ihr den Weg bereitet hat. Die Aufklärung hatte in diesem Falle die ideologische Vorarbeit geleistet und die Revolution ist nach ihr gekommen.

Anfang der 80er Jahre sprach man von einem bedeutenden Einfluß der "Nouvelle Droite" auf die intellektuelle Debatte in Frankreich. Was ist davon heute geblieben?

JACQUARD: Dieser Einfluß hat bis jetzt fortbestanden, aber er hat sich heute etwas geändert, was das Niveau und die Themen angeht. Früher hat es vor allem im französischen Figaro-Magazine, einer wöchentlichen Magazinbeilage der Tageszeitung Le Figaro, einen großen Einfluß der Nouvelle Droite gegeben. Inzwischen aber hat sich dieses Magazin in eine stark neoliberale Richtung entwickelt und nun ist der Einfluß dort gleich Null. Heute erstreckt sich der Einfluß auf eine ganze Anzahl von Zeitschriften wie Nouvelle École; es gibt die Élements, die auch öffentlich am Kiosk erhältlich ist, es gibt Krisis, die Zeitschrift von Alain de Benoist, es gibt eine Reihe kleinerer Zeitschriften wie Cartouches.

Wie stark treten die Ideen in Kontakt mit anderen intellektuellen Strömungen in Frankreich und wie stark finden auch Debatten über die Lager hinweg statt?

JACQUARD: Es gibt eine permanente Debatte. Sie wird betrieben von unseren Zeitschriften aber auch sehr oft in der Presse, wo es Debatten gibt in Le Monde und in zahlreichen Zeitungen und Zeitschriften; ich könnte nennen Le Monde Diplomatique, bisweilen auch Le Figaro. Die Ausgrenzung ist nicht so stark wie in Deutschland. Auf dort erschienene Artikel kann man als Neuer Rechter noch antworten und die Antworten werden dort auch publiziert und diskutiert. Manchmal sind es Autoren oder Schriftsteller, die selbst nicht zur Neuen Rechten gehören, die aber auf Attacken gegen die Nouvelle Droite antworten, etwa in dem Tenor: Die Ideen der Neuen Rechten sind interessant; man sollte sie weiterverfolgen und darf das Recht auf freie Meinungsäußerung nicht unterdrücken. Auf diese Weise steht man ihr doch von außerhalb bei.

Der italienische Kommunist Antonio Gramsci spielt für die Theorie der kulturellen Hegemonie der Nouvelle Droite eine große Rolle. Der Hegemoniebegriff sollte bei Gramsci ja den Begriff der Diktatur des Proletariats Leninscher Prägung ersetzen. Heute wirft man den Verfechtern des Hegemoniegedankens vor, im Grunde undemokratisch zu sein. Zu Recht?

JACQUARD: Wir sind ganz entschieden gegen jede Diktatur! Was wir bei Gramsci für interessant halten, ist, daß er die Rolle der Intellektuellen bei der Entwicklung des Zeitgeists unterstreicht und die Wichtigkeit der Ideengeschichte. Von diesem Blickwinkel aus könnte man sich ebenso gut auf den Einfluß von Herder, Hegel, Nietzsche oder der Frankfurter Schule beziehen. Es handelt sich nicht darum, eine "Hegemonie" anzustreben, sondern allein um die Absicht, unsere Ideen bekannt zu machen und unseren Einfluß zu vergrößern. Wenn Sie beispielsweise Ihre Abokampagne machen, tun Sie im Grunde nichts anderes. Das ist alles völlig normal. In einer Demokratie ist es legitim, nicht die Hegemonie, sondern die Mehrheit zu erlangen. Demokratie schließt Pluralismus ein, das Recht der Minderheiten und des freien Austausches der Meinungen. Eine Gesellschaft, in der jeder das selbe dächte, wäre nicht mehr lebenswert. In diesem Sinne ist es eher die Hegemonie der politisch Korrekten, die heute als fundamental antidemokratisch erscheint.

Sie beschäftigen sich mit Carl Schmitt, Ernst Jünger, Othmar Spann, um nur einige Namen zu nennen, alles Autoren der Zwischenkriegszeit bzw. der Konservativen Revolution. Interessieren Sie sich etwa nur für ein Deutschland, das es nicht mehr gibt?

JACQUARD: Was den Wert eines Werkes ausmacht, so besteht dieser ja nicht so sehr darin, wie dieses seine Epoche bezeugt, sondern in der Weise, wie es zu allen Epochen sprechen kann. Man kann sich für Schmitt, Jünger – er lebt! –, Spann oder Heidegger interessieren, ohne ein Nostalgiker der Weimarer Zeit zu sein, die schließlich auch die Zeit von Bert Brecht, Ernst Bloch und Theodor W. Adorno gewesen ist. Würde etwa jemand einen Intellektuellen der Nostalgie zeihen, wenn er heute seinen Nutzen aus der Lektüre von Adam Smith, Hobbes, Althusius, Descartes, Kant, Tocqueville oder Karl Marx zöge, mit dem Hinweis, diese gehörten schließlich alle einer vergangenen Epoche an? Und natürlich gibt es auch in Frankreich Interesse für neue deutsche Autoren wie Botho Strauß und andere. Man kann also keineswegs sagen, daß nur Interesse für ein Deutschland besteht, das es nicht mehr gibt.

Für viele in Deutschland ist schwer nachvollziehbar, warum bei der französischen Neuen Rechten viele eher für das Experiment der Europäischen Währungsunion sind. Wollen Sie etwa doch einen europäischen Zentralismus?

JACQUARD: Der Euro ist für uns nicht als Geld oder Währung wichtig, sondern wegen der Machtstellung Europas im Verhältnis zur Vorherrschaft des Dollar und des zentralistischen Nationalstaates. Wir wollen ein politisch starkes Europa, bei gleichzeitiger Beibehaltung nationaler und regionaler Verschiedenheiten.

Sie meinen nicht, daß man sich damit zum Steigbügelhalter von Banken und Großkonzernen macht?

JACQUARD: Das ist sicher ein Risiko. Die großen multinationalen Konzerne haben sowieso schon jetzt mehr Macht als die einzelnen Staaten. Wenn wir auch noch verschiedene Währungen haben, bedeutet das eher einen Machtzuwachs für die Konzerne. Es ist zur Eindämmung dieser Macht besser, wenn wir die europäische Macht vergrößern.

Einige sollen sich sogar durch die Einführung des Euro die Zerstörung der französischen Nation wünschen?

JACQUARD: Dieses Risiko besteht. Aber es besteht mit Euro und ohne Euro. Allerdings will die Nouvelle Droite nicht die Zerstörung des Nationalstaates, sondern wir wollen die zentralstaatliche Tradition des Jakobinismus zerstören.

Sie wehren sich dagegen, als intellektuelle Hilfstruppe Le Pens bezeichnet zu werden. Welche Rolle hat die Nouvelle Droite für den Aufstieg des FN gespielt?

JACQUARD: Die Entwicklung des Front National ist das Ergebnis der Entwicklungen in der derzeitigen Gesellschaft, der Steigerung der Arbeitslosigkeit, der inneren Unsicherheit, der Probleme der Einwanderung, der Ohnmacht der politischen Klasse, der Abdankung der Eliten. Die Nouvelle Droite (ND) hat dazu weder beigetragen noch je beabsichtigt, das zu tun. Einige führende Mitglieder sind aus der ND gekommen, aber diese sind eine Minderheit. Personell ist der FN ein Ergebnis der Krise aber er hat keine wirkliche Lösung. Die ND verurteilt die Fremdenfeindlichkeit wie die Sündenbock-Politik, die in den Einwanderern die Ursache aller unserer Probleme sieht. In der Tat stünden wir auch ohne Einwanderer vor exakt den selben Problemen. Die ND ist ebenso ein Gegner des wirtschaftlichen Neoliberalismus des FN, seines jakobinischen, antieuropäischen wie seines antiregionalistischen Nationalismus. Die Erlangung der Macht des FN würde keinerlei wirkliche Änderung der Gesellschaft bedeuten. Die ND siedelt sich an einem postmodernen Standpunkt an, der den Akzent auf die Krise der Arbeitnehmerschaft setzt, auf die notwendige Überwindung von ökonomischen und geschäftsmäßigen Werten, auf die Ökologie und den Bioregionalismus, auf das Prinzip der Subsidiarität, die Basisdemokratie, die Beteiligung des Bürgers innerhalb von rechtlich verfaßten Gemeinschaften.Wir würden uns auf diesem Gebiet eher auf französische Soziologen wie Louis Dumont, Jean Baudrillard, Serge Latouche oder auf Kommunitaristen wie Charles Taylor, Michael Sandel, Alasdair McIntyre, Edward Goldsmith und andere beziehen.


 
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