© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/97  14. November 1997

 
 
Der Euro-Sprengstoff für Europa
von Friedrich Romig

Wer sich der undankbaren Mühe unterzieht, die seriöse Literatur über den Euro durchzublättern und sie auf ihre Substanz zurückzuführen, wird sich kaum den folgenden Thesen verschließen können.

1. These: Wer ja zum Euro sagt, muß auch ja zu einem europäischen Zentralstaat sagen und sich vom Nationalstaat verabschieden. Die Einführung des Euro ist die bedeutendste Währungsreform, die die Geschichte je gesehen hat, der gewaltigste Eingriff in die Währungs- und Kreditverfassung der Staaten. Die Währungsunion bedeutet Übertragung der Währungshoheit von den Mitgliedstaaten auf die EU und ihr Organ, die Europäische Zentralbank (EZB). Das bedingt in der Folge auch Übertragung der Budgethoheit, Steuerhoheit, Fiskalpolitik, Sozialpolitik, ja der gesamten Wirtschaftspolitik auf die EU. Nur ein Zentralstaat oder Bundesstaat mit einheitlicher Legislative und Exekutive, einer Regierung, einem Volk und einer Armee kann die notwendige Ordnung herstellen, die der Garant für eine stabile Währung ist. Kanzler Helmut Kohl hat vor dem Bundestag am 6. November 1991, noch vor dem Maastricht-Gipfel, das ganz klar gemacht: "Man kann dies nicht oft genug sagen: Die politische Union ist das unerläßliche Gegenstück zur Wirtschafts- und Währungsunion. Die jüngste Geschichte, und zwar nicht nur die Deutschlands, belehrt uns, daß die Vorstellung, man könne eine Wirtschafts- und Währungsunion ohne politische Union auf Dauer erhalten, abwegig ist."

Die These: Ohne Zentralstaat kein Euro, steht also in Übereinstimmung mit den 60 deutschen Nationalökonomen, die bereits 1992 das "Manifest" gegen den Euro unterschrieben haben, darunter so prominente wie der ehemalige Wirtschaftsminister Karl Schiller oder H. Giersch von den "Fünf Weisen" des Rats der deutschen Bundesregierung zur Wirtschaftspolitik.

2. These: Der Euro wird eine weiche Währung sein. – Es fehlt unter den EU-Mitgliedern der von Bundeskanzler Kohl als Bedingung für den Euro geforderte einheitliche Staatswille. Das zeigte sich bereits bei den Verhandlungen zum Maastricht-Vertrag. Die Briten duldeten nicht einmal das Wort "Europäischer Bundesstaat" im Vertrag und scherten aus der Währungs- und Sozialunion auch gleich aus. Jetzt sieht es so aus, als würde ein Drittel der Staaten bei der Währungsunion von vorneherein nicht mitmachen: Großbritannien, Schweden, Dänemark und wahrscheinlich auch Finnland nicht. Griechenland ist sowieso draußen. Die teilnehmenden Staaten zerfallen in zwei Gruppen, die mit der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) ganz unterschiedliche Vorstellungen verbinden: Die germanisch geprägten Länder (Deutschland, Österreich, die Niederlande, Irland und Luxemburg) wollen Stabilität, ausgeglichene Haushalte, geringe Inflationsraten, Marktwirtschaft, Privatisierung, mehr Eigenvorsorge, Subsidiarität, Dezentralisation, Flexibilität auf dem Lohn- und Arbeitsmarkt; die Club-Med-Staaten (Frankreich, Spanien, Portugal, Italien, Belgien) sind politisch instabiler, glauben an Sanierung der Haushalte durch weniger Arbeit, erwarten, daß der Staat für Beschäftigung sorgt und wünschen deshalb die Verwirklichung von Megaprojekten wie die transkontinentalen Netze, sie ziehen Schuldenmachen und Inflation der Sparsamkeit und Stabilität vor. Ohne kohärente, einheitliche Budget- und Fiskalpolitik "aus einem Guß" und für alle teilnehmenden Länder, gibt es nur faule Kompromisse und damit auch nur eine faule oder eben "weiche" Währung. Das zeigte sich bereits im nationalen Rahmen: Schwache Regierungen brachten stets nur schwache Währungen hervor.

Die Diskussion über die Konvergenzkriterien und ihre bereits erfolgte Aufweichung und Schönfärbung durch "kreative Buchführung", läßt keinen Zweifel zu, als daß der Euro vom Start an zu den weichen Währungen gehören wird. Schon im Vorfeld des Euro haben D-Mark und Österreichischer Schilling gegenüber dem Dollar rund 25 Prozent ihres Außenwertes verloren.

Mit dem von Frankreich geforderten und wohl schon durchgesetzten "Wirtschaftsdirektorium" wurde die Unabhängigkeit der EZB noch vor ihrer Tätigkeitsaufnahme untergraben. Auch das verstärkt die Zweifel an einem harten Euro. Es gibt heute keinen Nationalökonomen oder internationalen Bankfachmann von Rang, der dieser zweiten These vom weichen Euro nicht zustimmen würde: Der Euro wird weich wie Butter in der Sonne, so jedenfalls die allgemeine Meinung der Fachleute.

3. These: Der Euro erhöht die Arbeitslosigkeit.

Fällt die Anpassung durch Wechselkurse weg, müssen niedrigere Produktivität oder politische Instabilität durch Senkung der Löhne ausgeglichen werden. Das erscheint angesichts der relativ starken Gewerkschaften und dem starken Einfluß der Linken unmöglich. Jede Regierung, die eine Senkung der Löhne fordert, verschwindet sofort in der Versenkung. Also produziert der Wegfall der Wechselkurse bei relativ starren Löhnen Arbeitslosigkeit. Die Verpflichtung der EZB auf Preisstabilität (ihr wird sie nur unzureichend nachkommen können), der heterogene Währungsraum, die Unmöglichkeit zu landesangepaßter, differenzierter Währungs-, Zins-, Budget-, Steuer und Lohnpolitik, die starken Gewerkschaften und ihr Einfluß auf die Politik sowie die geringe Mobilität der Arbeitskräfte werden nach Meinung praktisch aller Fachleute die Arbeitslosigkeit kräftig erhöhen.

4. These: Der Euro wirkt als Sprengsatz auf den europäischen Integrationsprozeß.

Bereits die Einführung des Euro bietet einen Vorgeschmack auf die sozialen Spannungen, die mit der WWU entstehen. Die Befürchtung, daß sich die Spannungen nach der Einführung des Euros rasch aufschaukeln könnten, ist nicht von der Hand zu weisen. Dann wird auch der Verteilungskrieg zwischen den Mitgliedsstaaten erst recht beginnen: Wer bekommt was? Wenn es ums Zahlen geht, gehen auch die engsten Verwandten schnell auseinander. Die EU könnte sich dann alsbald als so unregierbar erweisen, wie es einzelne ihrer Mitglieder jetzt schon sind. Ist das der Fall, wird schnell der Wunsch entstehen, die Dinge wieder selbst in die Hand zu nehmen.Die Erwägungen zur Renationalisierung der Agrarpolitik deuten in diese Richtung. Tragen die Regierungen dem Wunsch nach Renationalisierung nicht Rechnung, könnten sie schnell abgelöst werden.

Versucht man die Spannungen durch das Aufdrehen des Geldhahns zu überbrücken, wird die daraus resultierende Inflation erst recht den Euro sprengen, weil alles in die Dollarzone flüchtet. Manche tun das heute schon. Wird echte Stabilitätspolitik betrieben, dann werden die Spannungen sowieso nicht unter dem Deckel zu halten sein. Brüssel, dem ohnehin alles Übel zugeschrieben wird, würde dann möglicherweise hinweggefegt wie einst das DDR-Regime.

Die These, daß der Euro als Sprengkraft für den europäischen Integrationsprozeß wirkt, hat Milton Friedman, der wohl berühmteste Geldtheoretiker, äußerst nachdrücklich vertreten. Er erwartet vor allem scharfe Auseinandersetzungen und Entfremdungen zwischen Frankreich und Deutschland wegen ihrer völlig unterschiedlichen Auffassungen über die richtige Wirtschaftspolitik und die Rolle des Staates. Zwischen Stabilitätspolitik und Inflationspolitik oder Interventions- und Marktwirtschaft gibt es keine Kompromisse. Seine Aussagen zur "Sprengkraft Euro" unterstützen so prominente Bankfachleute wie Wilhelm Hankel, der ehemalige Präsident der Hessischen Landeszentralbank (er spricht von Dynamit") oder Wilhelm Nölling, der frühere Präsident der Hamburgischen Landeszentralbank oder der geschasste Leiter der EU-Währungsabteilung, B. Connolly und unzählige andere.

5. These: Falls der Euro überhaupt kommt – woran wenig Zweifel bestehen –, wird das Euro-Wirtschaftssystem in kürzester Zeit zusammenbrechen.

Der Euro ist seinem Wesen nach eine Neuauflage des Europäischen Währungssystems (EWS) ohne Bandbreite. Das EWS ist 1992 wie eine Seifenblase zerplatzt, weil die Devisenkurse nicht mehr den Kaufkraftparitäten und Wirtschaftsverhältnissen entsprachen. Zahlreiche Länder, allen voran Italien und Großbritannien hatten über ihre Verhältnisse gelebt, die Kredite viel zu sehr ausgeweitet und damit unproduktive Löcher und Mäuler gestopft. Sobald der Euro einmal da ist, wird sich das wiederholen. In diese Richtung deuten die "Tricks", die zur Erreichung der Konvergenzkriterien angewandt wurden und nichts anderes als Wechsel darstellen, die die Staatsbudgets kommender Jahre kräftig belasten werden. Die Regierungen scheinen sich einen Sport daraus zu machen, die Konvergenzkriterien der Lächerlichkeit preiszugeben. Damit wird das Vertrauen in den Euro gleich von vornherein untergraben. Laufen dann auch noch durch die vorgezogenen Einnahmen die späteren Budgets aus dem Ruder, kann das nur mit einem Desaster enden.

Die nach dem Ende dieses Experiments erfolgende Rückkehr zu nationalen Währungen wird das ganze Ausmaß dieses Desasters erkennen lassen. Die Staaten, das ist ganz sicher, werden sich auf Kosten der Sparer entschulden. Das wird dann die eigentliche Währungsreform sein, durch die der Sparer wieder einmal enteignet wird. Der ehemalige Währungsexperte der EU, Connolly, hat wohl recht: "Europas Bürger werden über den wahren Charakter der Währungsunion getäuscht. Dieses Projekt erhöht die politische Zwietracht und führt zu schweren ökonomischen Schäden, zu Instabilität und Inflation". Die Währungsunion, so Ralph Dahrendorf im Merkur, führt in eine Sackgasse: "Die Sackgasse ist tief, eng und dunkel, und noch sind Zeichen der Umkehr nicht zu erkennen. Vielmehr treibt jeder Europäische Rat die Union tiefer in die Sackgasse, so daß schon jetzt der Blick auf Alternativen verstellt ist." Die Alternative heißt "Europa der Vaterländer". Für dieses Europa macht die Währungsunion keinen Sinn – weder ökonomisch noch politisch.


 
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