© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/97  14. November 1997

 
 
Wilfried Mausbach: Zwischen Morgenthau und Marshall
Industrielle Entwaffnung
von Michael Wiesberg

Weder die harten territorialen, wirtschaftlichen, finanziellen und militärischen Bedingungen des Friedensvertrages von Versailles", so stellt Winfried Mausbach in seiner hier anzuzeigenden Doktorarbeit "Zwischen Morgenthau und Marshall" fest, "noch die Organisation einer kollektiven Friedenssicherung im Völkerbund hatten die Entfesselung des Zweiten Weltkrieges durch Hitlerdeutschland verhindern können". Deshalb war es das zentrale Anliegen der US-amerikanischen Deutschlandpolitik "Sicherheit vor einer erneuten deutschen Aggression zu gewinnen".

Die oft vielschichtigen Entscheidungsprozesse, die die US-amerikanische Deutschland-Politik zwischen 1944 und 1947 bestimmten, macht Mausbach unter umfangreicher Heranziehung US-amerikanischen Quellenmaterials transparent. Dabei fördert er z.T. hochinteressantes Material zutage, das neben den deutschlandspezifischen Interessen auch die geopolitischen Ambitionen der USA verdeutlicht. Leider versäumt es Mausbach des öfteren, die Linien bis zur Gegenwart auszuziehen. Daran – und an der einseitig "korrektizistischen" Deutung der komplexen Ereignisse – leidet letztlich seine Arbeit, wie bereits an der oben angeführten Passage über den Friedensvertrag von Versailles deutlich wird, dessen unerträgliche Bedingungen für Deutschland Mausbach mit keiner Silbe reflektiert. Dieses Beispiel ließe sich durch viele weitere vermehren.

Die Sicherheit "vor einer erneuten deutschen Aggression", die die Deutschlandpolitik der USA bestimmte, sollte durch ein umfangreiches Programm der psychologischen ("Reeducation") und materiellen Entwaffnung ("Deindustrialisierung") realisiert werden. "Umerziehung" der Deutschen meint vor diesem Hintergrund denn auch weniger die Absicht, die Deutschen "demokratiefähig" zu machen, als vielmehr eine "psychologische Abrüstungsmaßnahme", die angeblichen deutschen Aggressionsgelüsten ein für alle mal vorbeugen sollte. Aus US-amerikanischer Sicht war der Nationalsozialismus nämlich keinesfalls nur eine "Entartung der deutschen Gesellschaft". So war z.B. das State Department der Auffassung, daß das wirkliche Kriegspotential im Charakter der Deutschen liege. Also mußte dieser "Volkscharakter" umerzogen werden, um künftige militärische Konflikte vermeiden zu können.

Daß dem wirtschaftlichen Sektor im Rahmen der geplanten "Entwaffnungs-Maßnahmen" eine zentrale Rolle zukam, verwundert nicht weiter. "Industrielle Entwaffnung", so stellt Mausbach fest, hieß aus Sicht der US-Amerikaner eben nicht nur die bloße Einschränkung der Produktion oder Abbau der industriellen Anlagen, sondern "Umwandlung des auf Autarkie angelegten nationalsozialistischen Wirtschaftssystems und Rückkehr Deutschlands in die Abhängigkeit von ausländischen Märkten". Darüber hinaus sollte ein hoher deutscher Produktionsausstoß zugleich den europäischen Wiederaufbau fördern. Dieser Ansatz, also die Integration Deutschlands in ein multilaterales Handelssystem, stand laut Mausbach "im Zentrum der amerikanischen Überlegungen".

Leider bleibt Mausbach eine schlüssige Antwort darauf schuldig, warum die US-Amerikaner gerade hier einen Schwerpunkt ihrer deutschlandpolitischen Vorstellungen sahen. Mausbach gibt sich nicht nur hier mit der offiziellen Lesart der US-Regierung zufrieden, die diese Maßnahmen propagandistisch als "Friedenssicherung" verkauften. Durch die internationale Verflechtung (neudeutsch: Globalisierung) sollten, so stellte es die US-Propaganda dar, auch die internationalen Konflikte minimiert und damit "Friedenssicherung" garantiert werden. Welche politischen Ziele die USA und auch England wirklich verfolgten, gab z.B. der britische General John Frederick Fuller (in: "The Decisive Battles of the Western World", Vol.III, London 1956) zu Protokoll, der sinngemäß ausführte: Weil die internationale Finanz auf der Vergabe von Darlehen an in Not geratene Staaten basiert, versuchte Hitler, die deutsche Wirtschaft von den Fesseln des internationalen Kreditwesens zu befreien, was dessen Ruin gleichgekommen wäre. Wäre er erfolgreich gewesen, wären andere Staaten seinem Beispiel gefolgt, mit dem Ergebnis, daß die Kreditgeber ihre Geschäfte hätten einstellen müssen.

Diese Motivation spricht Mausbach selbstverständlich nicht an. Auch sonst wagt er es nicht, weitergehende Gedanken anzustellen. Dafür ein weiteres Beispiel: Mausbach spricht davon, daß Washington Macht als "Kontrolle über Ressourcen" definierte und sich dementsprechend durch ihren Ausschluß von der NS-Großraumwirtschaft im hohen Maße provoziert sahen. So verwundert es nicht, daß der umtriebige Finanzier Bernhard Baruch, der neben dem US-Präsidenten das gesamte Washingtoner Establishment beriet, jene Krankheitsmetapher, die Roosevelt gegenüber Deutschland und Japan bei seiner berühmten "Quarantäne-Rede" (1937) gebrauchte, gegen Ende des Zweiten Weltkrieges auf den ökonomischen Sektor ausweitete: Das japanische und deutsche "Krebsgeschwür", so Baruch sinngemäß, muß aus den Exportmärkten herausgeschnitten werden. Wenn dieses geschehe, werden die USA eine lange Zeit des Wohlstandes vor sich haben.

Man sieht: Das ganze Gerede von der internationalen "Friedenssicherung" und dem "Schutz vor einer erneuten deutschen Aggression" fußt(e) auf sehr handfesten wirtschaftlichen Interessen, die sich im Grunde genommen bis
heute nicht wesentlich verändert
haben.

Im Begleittext zum Buch wird darauf hingewiesen, daß Mausbach in seinem Buch die Agrarisierungsidee Morgenthaus, mit der der "Morgenthau-Plan" in der Regel identifiziert wird, in das Reich der Legenden verwiesen habe. Mausbach verwendet in der Tat viel Mühe darauf aufzuzeigen, daß die Bedeutung des Morgenthau-Planes darin gelegen habe, daß er die US-amerikanische Reparationspolitik zu einem Instrument der wirtschaftlichen Umstrukturierung Deutschlands machen wollte. Um es deutlich zu sagen: Der Nachweis, daß Morgenthaus Vorstellungen letztlich nicht auf eine Agrarisierung Deutschlands hinausliefen, will Mausbach nicht so recht gelingen. Er muß eingestehen, daß die Konzeption des US-amerikanischen Finanzministeriums auf "eine drastische Umorientierung der deutschen Wirtschaft weg von einem schwerindustriellen und hin zu einem landwirtschaftlichen und leichtindustriellen Charakter" hinauslief.

Schlußendlich muß auch der vor kurzem wieder in hiesigen Breiten gewürdigte Marshall-Plan, um den anderen Pol der Mausbach-Arbeit noch kurz anzusprechen, vor dem oben skizzierten US-amerikanischen Interessenhintergrund gesehen werden. Mausbachs Ausführungen ist hier nichts hinzuzufügen: Der Marshall-Plan sollte Westeuropa zu einer geopolitischen Einheit zusammenfassen und mittels transnationaler und internationaler Kooperation und Koordination auf liberaldemokratischer Grundlage stabilisieren. Deutschland war in diesem Zusammenhang die Rolle einer "potentiellen Werkstatt Europas" zugedacht. Eine Rolle, die Deutschland bis heute nur zu willig ausfüllt...

Wenn Mausbach abschließend feststellt, daß die "Auswirkungen psychologischer Abrüstungsmaßnahmen in Deutschland und Japan weitaus tiefgreifender als die Konsequenzen aller anderen propagierten Modelle" waren, ist dies eine sehr vornehme Umschreibung dafür, daß Deutschland von weitreichenden Entindustrialisierungsmaßnahmen aufgrund des schnell einsetzenden "Kalten Krieges" zwar verschont blieb, die Umerziehungs-Maßnahmen der US-Amerikaner (und Engländer) in Deutschland aber ein umso durchschlagenderer Erfolg waren.

Wilfried Mausbach: Zwischen Morgen-thau und Marshall. Das wirtschaftspolitische Deutschlandkonzept der USA 1944-1947, Droste-Verlag, Düsseldorf 1996, 375 Seiten, geb., 74 Mark


 
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