© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/97  14. November 1997

 
 
EKD: Mit Manfred Kock wird ein weithin Unbekannter neuer Ratsvorsitzender
Zur Kandidatur erst überredet
von Klaus Motschmann

 

Wahlen in den maßgebend Gremien der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) wecken seit langem ein aufmerksames Interesse der politischen und gesellschaftlichen Öffentlichkeit. Dieses Interesse steht in einem exakt umgekehrten Verhältnis zur Beachtung ihrer eigentlichen kirchlichen und theologischen Arbeit. So war es auch im Blick auf die in der ersten Novemberwoche in Wetzlar tagende Synode der EKD. siehatte den 15köpfigen Rat der EKD sowie den Vorsitzenden dieses Rates zu wählen. Sowohl die politische als auch die kirchliche Öffentlichkeit waren gespannt, ob durch die Personalentscheidungen Zeichen einer längst fälligen Kursänderung oder aber seiner Fortsetzung gesetzt würden. Das Ergebnis dieser Wahlen hat für Irritationen und damit zu teilweise grotesken Fehldeutungen geführt. Anlaß dazu war die Überraschung, daß nicht der bekannte, hochfavorisierte Berlin-Brandenburgische Bischof Wolfgang Huber, sondern der weithin unbekannte, bislang wenig profilierte Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Manfred Kock, zum Ratsvorsitzenden gewählt worden ist. Während Huber, ein eindeutiger Repräsentant der kirchlichen und politischen Linken, seit Monaten zielbewußt die Kandidatur um dieses höchste Amt der EKD anstrebte und insofern als Hoffnungsträger der Linken innerhalb und außerhalb der Kirche beachtliche publizistische Unterstützung fand, ließ sich Kock erst am Tage vor der Wahl zu seiner Kandidatur überreden. Er war bis dahin wenig bekannt, zumal er auch sein Amt des höchsten Geistlichen der rheinischen Kirche erst im Januar dieses Jahres übernommen hatte. Er selbst hatte es noch im Juli in einem Interview als "Unfug" bezeichnet, als er auf eine mögliche Kandidatur für den Ratsvorsitz angesprochen wurde. Es war nicht allein persönliche Bescheidenheit, sondern auch die zutreffende Feststellung, daß ein Ratsvorsitzender der EKD "tief in seiner eigenen Landeskirche verwurzelt sein" müsse, was ja auf ihn nicht zutreffen konnte.

 

Fortsetzung des bisherigen Weges versprochen

Bei den Bemühungen, sich in der eigenen Landeskirche zu verwurzeln, hat Kock bislang eine wenig aktiv-gestalterische Rolle gespielt, wie auch schon während seiner Amtszeit als Stadtsuperintendent von Köln. Anders als Huber kann er weniger charakterisiert werden durch das, was er sagte und tat, als vielmehr durch das, was er nicht sagte und nicht tat. So hat er sich beispielsweise als "Mann des Ausgleichs" außerordentlich moderat verhalten, als in Köln 1994 unter starker Beachtung der Medien eine Homosexuellen-"Trauung" in einer Kölner Kirche vollzogen wurde. Auch bei entsprechenden anderen Gelegenheiten hat er bemerkenswerte Zeichen einer Amtsführung nach dem liberalen Laissez-faire-Prinzip gesetzt, indem er eben keine Zeichen setzte, die er von Amts wegen hätte setzen sollen.

Gerade damit aber empfahl sich Kock, sicher mehr unbewußt als bewußt, einer Mehrheit von Synodalen, denen zunächst einmal mehr an einer Konsolidierung des bisher Erreichten gelegen ist, und damit an einer gewissen Beruhigung, als an einer nahtlosen Fortsetzung des bisherigen Weges. Tatsächlich ist dieser Eindruck auch in der Öffentlichkeit erzeugt worden, wobei im einzelnen noch untersucht werden muß, welche Motive dafür ausschlaggebend sind: politische Naivität, bewährte Methoden der Strategie und Taktik sozialistischer Systemveränderung oder echte Bereitschaft zu einer Umkehr.

So ist Manfred Kock der Öffentlichkeit als ein "Mann der Mitte" vorgestellt worden, was er im Vergleich zu Wolfgang Huber und anderen Repräsentanten der EKD sicher auch ist. Sogar von einem "Ruck nach rechts" war in verschiedenen Kommentaren die Rede; auch dies ist in einem relativen Sinne richtig und dennoch irreführend. Denn was ist in dem nach links verschobenen Koordinatensystem unserer veröffentlichten Meinung in Kirche, Gesellschaft und Politik die "Mitte"? Was ist "rechts"? Rechts von wem? Man wird daran erinnern müssen, daß Heinrich Albertz – einer der führenden Repräsentanten des deutschen Protestantismus und der politischen Linken – im Rückblick auf die "Langen Märsche" der 68er durch die Institutionen der evangelischen Kirche davon gesprochen hat, daß aus ihr eine Institution geworden sei, "an der gemessen die SPD eine rechtsreaktionäre Partei" sei.

Vor diesem Hintergrund sollte sich die Frage stellen, ob ein "Mann des Ausgleichs" wie Manfred Kock wohl in der Lage sein kann, einen tatsächlichen Wandel in der EKD einzuleiten – oder ob er nicht ein Garant dafür ist, diesen Zustand zu konsolidieren. Selbst wenn er persönlich zu einer Abkehr von den jetzigen Positionen der EKD bereit sein sollte, so müßte er nicht nur den Rat der EKD davon überzeugen, sondern auch die Landeskirchen, die kirchlichen Werke, die kirchlichen Werke, die kirchliche Publizistik usw. Nach menschlichem Ermessen kann davon in absehbarer Zeit selbstverständlich überhaupt keine Rede sein.

 

Kock setzte sich für
Islam-Unterricht ein

Aber auch die ersten Äußerungen Kocks nach seiner Wahl bieten überhaupt keinen Anhaltspunkt für eine Bereitschaft zu einer grundsätzlichen Neuorientierung. So stimmte er in die allgemeine Klage über die hohe Zahl von Arbeitslosen ein (die er bei dieser Gelegenheit gleich von 4,2 auf 5 Millionen aufrundete), setzte sich für islamischen Religionsunterricht an unseren Schulen ein, um die moslemischen Kinder dem Einfluß des Fundamentalismus zu entziehen –, wobei er die Bemerkung nicht unterdrücken konnte, "daß es Fundamentalismus auch unter Christen" gebe – und daß die Kirche "ihre Verpflichtungen im Blick auf das Nord-Süd und Ost-Westgefälle" sowie auf ihre Medienarbeit "ohne Abstriche" erfüllen werde. Auf diese Worte wird man den neuen Ratsvorsitzenden in seiner Amtsführung zu verpflichten wissen und er wird sehr schnell merken, wie eng der Handlungsrahmen in dem gewachsenen 68er-Geflecht der Institutionen der EKD und der Landeskirchen ist.

Der jetzt so vielzitierte "Geist von Wetzlar" wird sehr schnell verfliegen und – ganz fundamentalistisch – zu einer Erkenntnis führen, die Karl Steinbuch im Schlußsatz seines programmatischen Buches "Ja zur Wirklichkeit" auf den Punkt gebracht hat: "Wo es um die Grundlagen der menschlichen Existenz geht, um ethische Orientierungen, da sollte man sich – in kritischer und aufgeklärter Autonomie – zu dem entschließen, wozu sich auch der verlorene Sohn nach schweren Erfahrungen entschloß: ‘Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen’." – Noch ist dieser Entschluß nicht erkennbar geworden. Aber er kommt.


 
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