© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/97  14. November 1997

 
 
FDP-Parteitag: Berliner Liberale lehnen Verschiebung des Euro ab
Wein in Jauche kippen
von Thorsten Thaler

 Die Nationalliberalen in der Berliner FDP um den ehemaligen Generalbundesanwalt Alexander von Stahl sind mit dem Versuch gescheitert, den Euro-Zug zu stoppen. Ihr Antrag auf einem Sonderparteitag der Liberalen am vergangenen Sonntag im Maritim Hotel in Berlin-Mitte, die Einführung der Europäischen Einheitswährung um fünf Jahre zu verschieben, erhielt nur 124 von 331 Stimmen. Für den Gegenantrag des Landesvorstandes und der FDP-Nachwuchsorganisation Junge Liberale, der sich für einen Maastricht-konformen Start der Währungsunion zum 1. Januar 1999 ausspricht, votierten 191 Delegierte.

Nur denkbar knapp scheiterte ein Antrag für eine bundesweite Mitgliederbefragung zum Euro. Mit einer Stimmengleichheit von 155 zu 155 galt er nach der Satzung als abgelehnt. Trotzdem wertete der nationalliberale Flügel der Partei das Ergebnis als Erfolg. "Der Landesvorstand unter Martin Matz hat zum ersten Mal seine Mehrheit verloren", frohlockte ein Delegierter aus dem Kreis um Alexander von Stahl. Und er ergänzt mit Blick auf die Neuwahl des Landesvorsitzenden Mitte Januar nächsten Jahres. "Jetzt kommt es darauf an, dieses Ergebnis zu konsolidieren und auszubauen." Um das Amt des Berliner Parteichefs wird sich erneut auch Ex-Generalbundesanwalt von Stahl bewerben. Im Januar 1996 unterlag er Martin Matz noch mit 114 zu 170 Stimmen. Mit dem jetzigen Parteitagsergebnis zur Mitgliederbefragung scheinen die Karten für die Wahl in zweieinhalb Monaten jedoch neu gemischt.

Den Abstimmungen vorausgegangen war eine dröge Debatte, in der Befürworter und Gegner des Euro ihre bekannten Positionen lustlos und pflichtschuldigst herunterbeteten. Bundeswirtschaftsminister Günther Rexrodt bezeichnete den Euro als "Sternstunde" und "Grundstein für ein liberales Europa". Seine Rede gipfelte in der Aussage, der Euro sei "die D-Mark des 21. Jahrhunderts". Alexander von Stahl nannte es hingegen "vermessen, mit einem solch staatsübergreifenden Großprojekt zu beginnen in einer Phase, in der das eigene Finanz- und Sozialgebäude wackelt". Die von den Euro-Anhängern ins Feld geführten Vorteile persiflierte er mit der Bemerkung: "Tante Berta reist dann auch nicht billiger nach Mallorca."

Doch selbst mit solchen Aperçus konnte er die Delegierten nicht von ihren Sitzen reißen. Erst die beherzte Rede des Chefdenkers der Nationalliberalen, Alexander Fritsch, brachte etwas Farbe in die bis dahin müde Veranstaltung. Er begründete den Antrag der rechten FDP-Kreisverbände Neukölln, Reinickendorf und Tempelhof auf Verschiebung des Euro. Die größte Hürde für einen stabilen Euro, so Fritsch, sei das wirtschaftliche Gefälle in Europa. Doch es sei ein Irrglaube zu meinen, die stärkste Währung präge den Charakter des Euro. "Ein Liter Wein in einem Faß Jauche gibt ein Faß Jauche. Aber ein Liter Jauche in einem Faß Wein gibt auch ein Faß Jauche", sagte Fritsch unter dem Gelächter und Beifall der Euro-Skeptiker im Saal.

Preise paßten zur "Partei der Besserverdienenden"

Das schlimmste an allem aber sei der "Fanatismus" und die "Selbstherrlichkeit", mit der die Währungsunion verfolgt werde, erklärte Fritsch. Ausrechnet in Sachen Euro testeten die deutschen Politiker ihre Standhaftigkeit. Dabei hätten sie "einen Zweifrontenkrieg begonnen: gegen das wirtschaftlich Vernünftige und gegen das demoskopisch Durchsetzbare". Die Mark sei für innere Gleichgewicht Deutschlands und für seine Stellung nach außen zu kostbar, um "damit zu spielen oder gar um damit persönliche Interessen einzelner zu befriedigen. Europäische Interessen und der Wohlstand von Millionen von Menschen dürften sich nicht nach dem Renteneintrittsalter von Helmut Kohl richten", stichelte Fritsch. "Die Mark ist zu wertvoll, um als Baustoff für das Denkmal eines Bundeskanzlers verschwendet zu werden." Die Annäherung der Interessen in Europa sei eine politische und keine Währungsfrage. "Sie kann durch die Währung auch keinen Zentimeter vorangetrieben werden", betonte er.

Doch auch Fritsch vermochte die Mehrheitsverhältnisse im Saal nicht mehr umzudrehen. So nutzten viele Delegierte die weitere Aussprache, um vor den Türen des Tagungssaals für ihr leibliches Wohl zu sorgen – zu Preisen, die der "Partei der Besserverdienenden" durchaus angemessen waren. Mit 5,50 Mark für ein halbes belegtes Brötchen oder ein Stück Kuchen, 3 Mark für eine Laugenbrezel oder 5 Mark für eine kleine Flasche Selters, Saft oder Pepsi-Cola mußten sie tief in die Tasche greifen.


 
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