© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/97  21. November 1997

 
 
USA: "Schwarz-weiße Kultur- und Bildungskonflikte
Illusion des Schmelztiegels
von Holger von Dobeneck

Der amerikanische Traum scheint ausgeträumt. Es war der Traum des "Schmelztiegels", der aus den Einwanderern aller Weltregionen und Glaubenrichtungen eine kulturell einheitliche Nation formt, die ohne Rassenschranken uneingeschränkt das Prinzip der Gleichheit verwirklicht. Die rauhbeinigen Gründerväter – Gleichheitsflegel nannte sie Heine – standen unter dem kulturellen Primat der "WASP" (white anglo-saxon protestants). Mittlerweile schmilzt das Primat der Anglos wie Schnee in der Sonne, in manchen Staaten kommt es zum Sprachenstreit. Das Oberste Gericht sah sich genötigt, Englisch als offizielle Verkehrssprache juristisch zu verankern. Obwohl der Gedanke der grundsätzlichen Gleichheit aller Rassen tief im amerikanischen Bewußtsein verankert ist, macht sich neuerdings eine Entwicklung bemerkbar, die Anlaß zur Sorge gibt. Die Schwarzen Amerikas besitzen mehr und mehr segregationistische Tendenzen, sie beharren auf einer eigenen "black identity", fordern "black studies" und beginnen einen Kulturkampf, in dem sie allen westlichen Werten den Kampf ansagen. Das Motto lautet: "Ho, ho, ho – western culture’s got to go". In beinahe allen Geisteswissenschaften wird dem überlieferten Wertekanon die Berechtigung abgestritten. In den Seminaren sollen statt Shakespeare die Grundlagen der Voodoo-Religion gelehrt werden, die griechische Philosophie wird ägyptischen Ursprüngen zugeordnet, die Maya-Kultur soll afrikanischen Ursprungs sein. Man befürchtet, daß die Afrozentristen einen ähnlichen Einfluß bekommen wie die Kreationisten, die die Evolutionstheorie aus den Lehrbüchern verbannen wollen. Kurzum, es findet ein Angriff auf die wissenschaftliche Rationalität insgesamt statt.

Dabei geht das "black movement" nicht zimperlich vor, Gewalt an den Universitäten unter dem Zeichen der politischen Korrektheit ist gang und gäbe. Allan Bloom, der bekannte amerikanische Literaturwissenschaftler, hat diese Tendenzen bitter beklagt. Er stellte auch fest, daß trotz aller Maßnahmen der "affirmative action", die die Chancen unterprivilegierter Minderheiten verbessern sollten, der Durchschnitt der schwarzen Studenten bei weitem schlechter ist als der der Weißen. Vielleicht auch deshalb, so vermutet er, beginnen sich die schwarzen Studenten von den weißen abzuschotten.

Doch ist diese Abschottungstendenz keineswegs auf das "black movement" beschränkt. Aus Angst vor der steigenden Kriminalität entstehen in den USA mittelalterliche Stadtkonstruktionen. Die Disney Corporation baut derzeit in Orlando (Florida) eine solche Siedlung für 20.000 Menschen. In Kalifornien gibt es eine Siedlung mit einer Stadtmauer, einem Wassergraben, einer Zugbrücke und einem Poller, das in die Unterseite von Autos, die unerlaubt einfahren, einen meterlangen Metallzylinder schießt. Wenn man zudem noch die Bilder des Millionenmarsches und die kriegsartigen Unruhen in Los Angeles vor Augen hat, den rassistisch motivierten Freispruch von O. J. Simpson, den wachsenden Antisemitismus und die Islamisierungstendenzen in der schwarzen Bevölkerung, kommen Zweifel am Modell der multikulturellen Gesellschaft.


 
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