© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/97  21. November 1997

 
 
Stauffenberg: Eine provinzielle Ehrung in Berlin
Für eine neue Ordnung
von Friedrich M. Delmont

Unter Historikern herrscht Uneinigkeit über den Ausruf, den Claus Schenk Graf von Stauffenberg dem nächtlichen Erschießungspeloton im Bendlerblock entgegenschleuderte: "Es lebe das heilige Deutschland!" oder: "Es lebe das heimliche Deutschland!"? Ein durchaus müßiger Streit - denn im Gleichklang der Attribute verbirgt und enthüllt sich der sakrale Charakter jener im Kreise des Dichterfürsten Stefan George kultivierten Devotion: Im Herzen der Jünger Georges, darunter die Brüder Stauffenberg, verschmolz das Geheimnis des Reiches, die beschwörende Erinnerung des in historischen Tiefen, im Dom zu Palermo wie im Kyffhäuser, in mediterraner Klarheit wie in nordischer Düsternis ruhenden Staufer-Kaisers mit dem Glauben an die deutsche Sendung, an das "heilige Deutschland".

Gemäß der ideologischen Meßlatte der alten Bundesrepublik fällt diese Geisteswelt unter den Begriff des "antidemokratischen Denkens", und so verwundert es keineswegs, daß man in der rheinischen Republik mit der Persönlichkeit des Hitler-Attentäters wenig anzufangen wußte: Ein paar Straßennamen in den gesichtslosen Neubausiedlungen der späten 60er Jahre, eine Kaserne, wohl noch einige Schulen tragen seinen Namen. Kein Denkmal, kein Gedenktag für jenen Mann, der durch seine Tat vor der Welt die Existenz eines anderen Deutschland bewies. Die historisch-ästhetische Stillosigkeit fügte sich ins politische Konzept: An die Tatkraft eines jugendlichen Helden zu erinnern, war in den Jahrzehnten deutscher Teilung und geliehener Souveränitäten nicht opportun. Vor diesem Hintergrund kann die Gedenkfeier, die anläßlich des 90. Geburtstages Claus Stauffenbergs in der St.-Matthäus-Kirche zu Berlin stattfand, als politisches Novum gelten. Eingeladen hatten die "Gedenkstätte Deutscher Widerstand" und die "Stiftung 20. Juli".

Bei der Vorbereitung kam es zu einigen, für die Hauptstadt der "selbstbewußten Nation" nicht untypischen Pannen: Man hatte die Einladungen zu spät verschickt. Dazu der Gedenkstättenleiter Tuchel: "Wir bedauern zutiefst, daß wir nicht früher einladen konnten, doch die Finanzierung der Veranstaltung wurde erst im Oktober sichergestellt." Auch die "Stiftung 20. Juli" hatte versäumt, über die Veranstaltung in Berlin die Stauffenberg-Angehörigen rechtzeitig zu informieren, was den Sohn Stauffenbergs, Franz Ludwig, zu Kritik veranlaßte. Die in Bamberg lebende Witwe Nina Schenk von Stauffenberg nahm an der Einweihung einer vom Verein des Bamberger Reiterregiments 17 zu Ehren Stauffenbergs gestifteten Gedenktafel teil. Den Festvortrag der Berliner Gedenkveranstaltung in der Schinkel-Kirche am sog. "Kulturforum" hielt der Historiker Peter Hoffmann (McGill University Montreal), einer der besten Kenner der Geschichte des Widerstands. Er ist Verfasser des 1969 veröffentlichten Standardwerkes "Widerstand - Staatsstreich - Attentat". Aus seiner Feder erschien 1993 das Buch über "Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seine Brüder". Wer vom Titel der Gedenkrede "Dem Sog der Zeit entgegentreten - Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seine Verantwortung für den Umsturzversuch für den 20. Juli" ein gewisses Pathos erwartet hatte, sah sich enttäuscht.

In ruhigem Duktus, im schwäbischen Tonfall seines Landsmannes Stauffenberg, referierte Hoffmann zunächst etwas professoral, ehe er sich der Persönlichkeit des zu Ehrenden zuwandte. Nach Hoffmann war sich Stauffenberg bereits 1934 über den verwerflichen Charakter des in der "nationalen Erhebung" von 1933 noch begrüßten Regimes im klaren, aus elitärem Selbstverständnis und Offiziersethos brachte er - unbeeinflußt von den Verschwörern um Beck - bereits 1939 eigene Staatsstreich-Vorstellungen zum Ausdruck. 1942 unternahm Stauffenberg, aufgewühlt von den Verbrechen an Juden und anderen, aus eigenem Antrieb Versuche, hohe Offiziere zum Handeln gegen Hitler zu bewegen. Stauffenbergs vergeblicher Versuch im Januar 1943, den Generalfeldmarschall Manstein unter dem Eindruck von Stalingrad zur Einsicht zu bringen, endete mit Drohungen. Diese, so Hoffmann, beförderten Stauffenbergs Entschluß, sich zu jenem Fronteinsatz in Afrika zu melden, der mit seiner schweren Verwundung in Tunis endete. Im September 1943 riß Stauffenberg die von Fehlschlägen und Resignation gekennzeichnete Verschwörung zu neuer Entschlossenheit mit. Bei der Erwähnung jenes aus dem Geist Georges verfaßten "Schwures", in dem die Verschworenen sich im Falle eines Scheiterns oder der Fremdherrschaft zur Rettung des Vaterlands verpflichteten, verriet die Diktion interpretatorische Anstrengung. Wir Nachgeborenen, geprägt von einer "Nach-Auschwitz"-Mentalität und vom Glauben an die Menschenrechte, hätten Mühe mit dem elitären Selbstverständnis der Männer um Stauffenberg: "Wir wollen eine Neue Ordnung, die alle Deutschen zu Trägern des Staates macht und ihnen Recht und Gerechtigkeit verbürgt, verachten aber die Gleichheitslüge und fordern die Anerkennung der naturgegebenen Ränge." Der geschichtlichen Größe Stauffenbergs sind die Worte dieses "Schwures" angemessen. Mit der inneren Verfassung des heutigen Deutschland haben sie in der Tat nichts zu tun. Mit dankbarem Erstaunen ist deshalb zu notieren, daß zum 15. November 1997 Stauffenberg öffentlich geehrt wurde.


 
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