© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/97  21. November 1997

 
 
Die Wahrheit über Talkshows: Mit fiesen Tricks kämpfen Vera, Arabella und Kerner um die Quote
"Wie geht´s Dir?" "Super!"
von Claus –M. Wolfschlag

Sie haben unterschiedliche Namen und unterschiedliche Konzepte, aber eines ist ihnen gemeinsam – sie flimmern alltäglich in unsere Wohnzimmer: Talk-shows. Ob bei "Fliege" mit pastoralem Anstrich, bei Arabella Kiesbauer mit dummgeiler Tendenz oder bei "Vera am Mittag" als wüste Gästebeschimpfung – oberflächliche Talkshows bestimmen immer mehr das Vor- und Nachmittagsfernsehen der unbeschäftigten Hausfrauen und Schüler, die als Hauptkonsumenten auch den moralischen Bewertungsmaßstab der Sendungen beeinflussen.

Im Essener Klartext-Verlag ist nun ein bissiger Essay über solche Talk-shows erschienen, der kein Blatt vor den Mund nimmt:

"In der Geschichte der Umweltverseuchung ist die Menschheit an einem Punkt angelangt, an dem es nicht mehr weiter geht … Das Fernsehen mischt dabei kräftig mit. Denn es produziert pausenlos, jeden Tag, Umweltgifte, die durch Sprechblasen, Rülpser, Wortabwasser, Gedankenmüll, Genöle und Gedöns in unsere Umwelt gelangen. Die schwersten Umweltgifte gelangen durch die Produktion von sogenannten Talkshows in die Umwelt."

Das Problem der Talkshows sei, daß sie als Mittel zur Lösung angeboten würden, aber die Verhältnisse zwischen den Menschen im Grunde nur weiter vergifteten. Der ganze Ablauf des Geschehens wird dabei oft schon hinter den Kulissen sorgsam vorbereitet. In manchen Talkshows werden die Gäste vor der Sendung über Stunden in Legehennenhaltung in winzige Zimmer zusammengepfercht.

Nachdem der Territorialtrieb derart gereizt wird, kocht langsam der gegenseitige Haß auf den Siedepunkt. Nach Stunden dann werden die Streithähne kurzzeitig freigelassen und durch schlauchartige Gänge gehetzt, an deren Rändern Angestellte mit Spruchbändern, wie "Gebt alles!" stehen. Schließlich gelangen sie in die Manege, wo der Dompteur-Moderator und ein johlendes, aufgeheiztes Publikum auf die (Selbst) Zerfleischung des Kandidaten lauert, die mit wüsten gegenseitigen Beschimpfungen eingeleitet wird. Dabei wird eifrig nach dem Gut-Böse-Schema unterteilt – wobei die Rollen der Gäste in ständigem Wechsel begriffen sind. Die Moderatoren halten sich bedeckt, greifen ein, um das Geschehen anzuheizen und versuchen vor allem durch Einsatz von Körpersprache zu posen. Wichtig ist deshalb gar nicht so sehr, was gesagt wird, sondern wie es gesagt wird.

Vera In’t-Veen beispielsweise dreht noch während sie ihren Gästen auf dem Podium eine Frage stellt, diesen ihr ausladendes Hinterteil zu und bewegt sich ins Publikum, was bei den Befragten zur bewußten Verunsicherung führt. Und wer nicht blitzschnell antwortet wird sowieso unterbrochen. "Talkshows haben nichts zu sagen, sagen es aber trotzdem. Und das möglichst laut." Sie leben vor allem von den Macken und Süchten der eingeladenen und bezahlten Talkgäste – und diese stammen vorzugsweise aus der sozialen Hefe der Gesellschaft und erweisen sich den Moderatoren als geistig oft nicht im mindesten gewachsen.

Aber gerade solche Menschen sind stolz, endlich einmal für wichtig genommen zu werden, und erzählen eifrig drauflos… Sie beichten, wie die Frau aus Hamborn, die achtmal von ihrem Freund vergewaltigt wurde, wie die kurzhaarige Frau aus Leverkusen, die ihren Mann mit Blick in die laufende Kamera der Impotenz bezichtigt, wie der Junge aus Berlin, der nach einem Raubüberfall angeblich nun von der Polizei gesucht würde, wie die Mutter, die ihre vier Kinder in ein Heim gegeben hat und sie 26 Jahre später in der Talkshow wiedersieht, wie die Fünfzigjährige, die ein Kind von einem Außerirdischen haben soll, wie der Mann, der, selbst nachdem er Kassetten der Flippers verschenkt hat, keine Frau bekommen hat, oder wie die Postlerin aus Hamburg, die das Studio betritt und sagt: "Mein Mann ist ein Klugscheißer", während dieser schon auf dem Podium zur Aussprache auf sie wartet. Alle von den Moderatoren herausgestellte Betroffenheit über die menschlichen Schicksale, die sich vor ihnen offenbaren, hat etwas Gekünsteltes. Schließlich bringen sie ja gleichzeitig Einschaltquoten und Geld.

Und so wird die Frau, die durch das Schicksal ihre ganze Familie verloren hat, von der Moderatorin mit einem "Herein, Gerlinde!" auf die Bühne gebrüllt und von einem rhythmisch hämmernden und klatschenden, voyeuristischen Publikum begrüßt. Das Ergebnis dieser "Öffentlichkeit" ist nicht die bessere Verständigung zwischen den Menschen des Landes. Vielmehr sehen diese immer mehr nur noch beim Talken zu und schweigen dafür zu Hause verstärkt.

Der Klartext-Verlag hat einige weitere Beispiele in seinem kleinen Buch erwähnen lassen. Dabei kommt allerdings nicht zur Sprache, daß alles immer noch eine Stufe weiter absinken kann. Die Einwürfe der robusten Vera In’t-Veen sind noch nichts gegen die Geistesblitze der "Viva"-Moderatorin Daisy D., die in ihrer "club rotation" zu einzigartig wertvollen Dialogen in gebrochenem Deutsch animiert: "Und wie geht’s Dir?"– "Suppper! Und Dir, Daisy?"– "Ja, mir geht es auch super. Und Du machst hier heute gut Party?"– (in die Kamera grinsend) "Klar, wir sind alle klasse drauf."– "Eh, das ist ja geil. Bombenstimmung. Nun weiter mit dem nächsten Song…"

 

Meiér: Talkshows sind was Wunderbares, Klartext-Verlag, Essen 1997, 89 Seiten, Pb., 16,80 Mark


 
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