© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/97  21. November 1997

 
 
Steuerpolitik der Bundesregierung: Der Präsident des Bunde der Steuerzahler, Karl Heinz Däke, über die Flickschusterei an unserem Steuersystem
"Es müssen Radikalkuren vorgenommen werden"
von Dieter Stein

Herr Däke, die Steuerschätzung von letzter Woche hat Fehlbeträge in Höhe von rund 40 Milliarden für Bund und Länder ergeben. Wann muß Ihrer Meinung nach diese Regierung den Offenbarungseid leisten?

DÄKE: Die Ursachen für die nicht so eingehenden wie erwarteten Steuereinnahmen liegt darin, daß die Steuerbelastung in Deutschland zu groß ist. Die Bekämpfung dieser zurückgehenden Steuereinnahmen kann nur in einer umfassenden Steuerreform liegen. Die Bundesregierung hat einen Vorschlag für eine Steuerreform vorgelegt und auch im Bundestag verabschiedet, aber im Bundesrat nicht durchsetzen können. Insofern liegt die Ursache für den Rückgang der Steuereinnahmen nicht bei der Bundesregierung.

Jedes Management in der freien Wirtschaft wäre längst entlassen worden oder hätte Konkurs anmelden müssen.

DÄKE: Richtig, ein Staat kann keinen Konkurs anmelden. Aber die tieferliegende Ursache für die zurückgehenden Steuereinnahmen liegt natürlich in der großen Zahl von Arbeitslosen. Und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit muß daher das erste Ziel der gesamten Politik sein, um dann auch höhere Steuereinnahmen zu erwirtschaften, denn bei vier Millionen Arbeitslosen ist es klar, daß insbesondere das Lohnsteueraufkommen nicht in dem Maße steigt, wie man sich das vorstellt und wie man das ursprünglich auch geschätzt hat.

In den letzten Tagen und Wochen ist in den Medien auch wieder stark die Praxis der Abschreibemöglichkeiten angegriffen worden. Deshalb seien auch die Einkommensteuereinnahmen bei höheren Einkommen extrem gesunken. Ist dies eine Kritik, die auch Sie teilen?

DÄKE: Ich teile diese Kritik nicht, im Gegenteil: Ich halte die Darstellung, wie sie in der letzten Zeit in der Öffentlichkeit geführt worden ist, für falsch und für unredlich. Man redet von "Steuerschlupflöchern". Das ist ein Unwort, denn in Wirklichkeit handelt es sich um nichts anderes als vom Gesetzgeber geschaffene Möglichkeiten, Steuern zu sparen, in dem privates Kapital dorthin gelenkt wird, wohin es der Gesetzgeber haben wollte, unter anderem auch, um Investitionen in den neuen Bundesländern durch privates Kapital mitzufinanzieren. Diejenigen, die diese legalen Möglichkeiten ausschöpfen, werden als Steuerdiebe diffamiert. Das ist einfach unredlich und falsch. Gottseidank hat es in den letzten Tagen eine Versachlichung dieser Diskussion gegeben, aber trotzdem reden immer noch Politiker, obwohl sie es besser wissen, von "Steuerschlupflöchern". Das ist schlichtweg eine Phantomdiskussion.

Meinen Sie denn, daß diese Steuerung auch funktioniert, daß dadurch tatsächlich Gelder im großen und ganzen auf vernünftige Weise investiert werden?

DÄKE: Zunächst einmal hat es ja funktioniert, daß Gelder in großem Ausmaß dorthin geflossen sind, wo sie von den Politikern hin sollten. Man hat allerdings wohl das Ausmaß dieser Steuersparmöglichkeiten überschätzt und deshalb ist es wohl, wenn man das mal insgesamt betrachtet, zu gewissen Fehllenkungen gekommen, das heißt, es sind mehr Gelder in Investitionen geflossen, als man sich hatte vorstellen können. Deshalb ist es notwendig, genau zu überprüfen, ob man die Abschreibungsmöglichkeiten einschränkt.

Wie soll das aussehen?

DÄKE: Das kann dadurch geschehen, daß man die eine oder andere Sonderabschreibung abschafft oder indem man die Abschreibungssätze beschränkt, statt einer 50prozentigen Abschreibung beispielsweise nur eine 30prozentige Abschreibung zuläßt. Aber damit kuriert man nur am Symptom. Viel wichtiger wäre es, die Steuerreformdiskussion auf der Grundlage der bisherigen Vorschläge fortzusetzen, das heißt, Steuerbefreiungstatbestände, Sonderabschreibungen usw. abzuschaffen, dann aber die Steuersätze zu senken.

Sie fordern seit Jahren schärfere Gesetze, um Politiker daran zu hindern, immer mehr gesellschaftliche Aufgaben durch den Staat lösen zu lassen. Aber es scheint niemand auf Sie zu hören. Die Staatsquote hat längst die Prozentzahl überschritten, die Kohl einst als gleichbedeutend mit Sozialismus bezeichnet hat.

DÄKE: Das ist richtig, die Staatsquote ist noch nicht unter diese berühmte 50 Prozent-Marke gesunken. Es sollten nach dem Ziel der Bundesregierung möglichst 46 Prozent sein. Man darf aber auch nicht vergessen, daß gerade von seiten des Bundes in der letzten Zeit erhebliche Privatisierungen vorgenommen worden sind. Das reicht aber offensichtlich nicht aus. Wir werden in Zukunft nicht umhin kommen, viele staatliche Leistungen, so bitter das sein mag, auch im sozialen Bereich zu kürzen, damit der Staat überhaupt noch in der Lage ist, auf Grund des Steueraufkommens, das was notwendig ist, auch zu finanzieren. Das wird eine harte Diskussion werden, aber wir werden nicht darum herumkommen. Das betrifft auch den Bereich der Subventionen und den Bereich der Leistungsgesetze.

Ist für diese Verzögerung der Steuerreform in Ihren Augen allein der Bundesrat schuld?

DÄKE: Im Zusammenhang mit der Steuerreform ist ja eindeutig, daß der Bundesrat mit der Mehrheit der SPD-regierten Länder dem Steuerreformgesetz seine Zustimmung verweigert hat. Es liegt auch daran, daß bei der SPD andere Vorstellungen für eine Steuerreform vorliegen, aber das vorliegende Steuerreformgesetz war auf dem richtigen Weg und hat auch den richtigen Ansatz gehabt, insofern kann man wirklich von einer Blockade sprechen.

Ist das bereits der Beginn des Bundestagswahlkampfes?

DÄKE: Das ist eindeutig Wahlkampf. Ich kann mir nicht vorstellen, daß im Falle der Steuerpolitik, wenn es nur um die Sache ginge, wenn es nur darum ginge, diesen Staat auf eine neue Basis zu stellen, die Einsicht auch bei den Politikern der Opposition nicht dahin gegangen wäre, die Steuerreform so zu verabschieden, wie sie vorgelegen hat.

Aber selbst wenn diese Steuerreform gelungen wäre, ist das nicht trotzdem alles angesichts unserer Lage relativ kleinkariert? Die Arbeitsgemeinschaft Selbstständiger Unternehmer hat in einer Schrift "Demokratiereform" kürzlich gefordert, die Staatsquote grundgesetzlich auf maximal 30 Prozent festzulegen. Das würde ja einer Selbstkastration der Parteien gleichkommen. Schließlich wollen ja alle immer mehr vom Kuchen verteilen.

DÄKE: Wir brauchen eine Grundsanierung unseres Steuerstaates. Diese Flickschusterei wird uns auf Dauer nicht weiterhelfen. Ob man die Staatsquote von heute auf morgen auf 30 Prozent senken kann, das wage ich zu bezweifeln, es könnte aber ein Fernziel sein. Wir brauchen eine Grundsanierung des Steuerstaates mit folgenden Elementen: Erstens: Die Staatsverschuldung müßte per Grundgesetz untersagt werden; nur in ganz bestimmten Fällen dürfte einer Schuldenaufnahme zugestimmt werden. Zweitens muß die Höhe der Steuer- und Abgabenbelastung in der Verfassung festgeschrieben werden. Drittens brauchen wir eine Verhinderung sogenannter inflationärer heimlicher Steuererhöhungen, das heißt, mit der Geldentwertung muß entsprechend auch die Steuerbelastung gesenkt werden. Viertens müssen wir heran an den Subventionsabbau, entweder durch eine verfassungsmäßige Begrenzung oder durch ein Subventionsbegrenzungsgesetz. Das sind vier Elemente einer Grundsanierung, wie man einen Steuerstaat grundsanieren kann. Dazu gehört aber auch, daß eine Privatisierungspflicht besteht, das heißt, daß viele Aufgaben, die bisher der Staat wahrgenommen hat, in Zukunft von Privaten wahrgenommen werden sollen.

Aber aus Sicht der Parteien wird das doch als Mord und Totschlag empfunden. Das ist so, als ob Sie einen Alkoholiker zum Zwangsentzug bringen wollen.

DÄKE: Es müssen Radikalkuren vorgenommen werden. Und das Bild, das Sie gerade benutzt haben, trifft völlig zu. Um einen Alkoholiker zu heilen, muß man zu radikalen Maßnahmen greifen und so muß es auch sein, um unseren Steuerstaat zu sanieren.

Aber wer soll das machen?

DÄKE: Es geht nicht darum, wer es macht, sondern es geht darum, daß man sich dazu bekennt, daß die Zukunft auch künftiger Generationen diesen Staat und die Ausgaben des Staates in der bisherigen Form nicht mehr finanzieren können. Wer das macht? Dazu ist die Politik, dazu ist der gesamte Bundestag, sind alle Politiker und alle Parteien einfach aufgerufen. Wenn das nicht durchgeführt wird, dann führt der Weg eben nur noch in einen höheren Steuer- und Abgabenstaat und das kann wohl nicht Zweck der Übung sein. Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen der Höhe der Staatsquote, der Staatsverschuldung, der Steuer- und Abgabenbelastung und der Arbeitslosigkeit. Daher führt kein Weg daran vorbei, den Steuerstaat zu sanieren.

Sie haben den Eindruck, daß dazu noch eine stärkere Krise durchschritten werden muß?

DÄKE: Wenn man es ganz hart ausdrücken will, komme ich tatsächlich zu der Auffassung, daß dem Staat von den Bürgern immer noch zu viel Geld zur Verfügung gestellt wird, denn diese sind ja die Finanziers des Staates. Und es ist immer noch nicht die Einsicht eingekehrt, daß harte Maßnahmen durchgeführt werden müssen, um für die Zukunft den Steuerstaat oder überhaupt die Finanzierbarkeit dieses Staates zu gewährleisten.

Aber soweit, daß Sie zu dem Mittel der Steuerverweigerung aufrufen würden, gehen Sie nicht?

DÄKE: Die Steuerverweigerung auf legalem Wege findet ja, wie die gegenwärtige Diskussion zeigt, bereits statt. Es gibt das Wort von dem Volkssport des Steuersparens. Dabei geht es nicht nur um die Wohlhabenden, die Steuer sparen wollen, sondern um alle, die alle legalen Möglichkeiten des Steuerrechtes ausschöpfen und das in einem größeren Maße als es früher der Fall war, was natürlich auch dazu führt, daß das Steueraufkommen insgesamt absinkt, denn die Lohnsteuererstattungen nehmen tatsächlich zu. Sie haben rapide zugenommen. Das liegt auch daran, daß die Arbeitnehmer immer mehr Möglichkeiten wahrnehmen, dem Staat nur so viele Steuern zukommen zu lassen, wie es auf rechtlichem Wege möglich ist. Der Marsch der Steuerzahler auf Bonn hat schon lange begonnen, bloß auf eine viel subtilere Art und Weise als der Gesetzgeber es sich vorgestellt hat. Und das hängt eng mit der stark gestiegenen Steuer- und Abgabenbelastung zusammen.

Gehört in diesen Zusammenhang auch die Diskussion um die 610-Mark-Jobs?

DÄKE: Ich hielte es für außerordentlich gefährlich, hier Einschnitte vorzunehmen. Das hat nach meiner Erkenntnis auch nichts damit zu tun, daß man mehr Arbeitsplätze schaffen will oder auch Diskussionen darum, daß dadurch die Arbeitlosigkeit gefördert würde, ist falsch. Hier will man einfach Kasse machen. Man will diejenigen, die diese Tätigkeiten wahrnehmen, in die Sozialversicherungspflicht einbinden, um die entsprechenden Kassen aufzufüllen.

"Wer wirklich ernsthaft an der EWU teilnehmen will, muß die Kriterien dauerhaft einhalten"

Sie haben im Januar in einem Interview mit uns angekündigt, in diesem Jahr Strafanzeigen zu erstatten gegen Politiker wegen Steuergeldverschwendung…

DÄKE: …nicht nur gegen Politiker, sondern überhaupt gegen diejenigen, die Steuern verschwenden.

Hat sich denn da etwas getan?

DÄKE: Das ist auch geschehen. Wir haben in diesem Jahr bereits bundesweit 18 Strafanzeigen erstattet. Die Ermittlungen laufen und jetzt sind wir einmal gespannt, ob die Staatsanwaltschaften auch Klage erheben werden. In diesem Umfang ist das eine neue Sache. Wir haben zwar früher schon einmal Strafanzeige erstattet, sind aber von vornherein davon ausgegangen, daß die Staatsanwaltschaften dem nicht nachgehen werden. Heute sieht die Situation aber anders aus. Wir haben ein Rechtsgutachten erstellen lassen von einem Strafrechtler, der die Forderung nach einer strikten Auslegung des Haushaltsrechts neu definiert hat und der Meinung ist, daß jeder Verstoß gegen geltendes Haushaltsrecht strafbar sein kann.

Wo sollen denn nun die Milliarden herkommen? Wo könnte man einsparen? Wollen Sie womöglich heilige Kühe wie EU-Zahlungen, Auslandseinsätze der Bundeswehr streichen?

DÄKE: Das sind ja auch nur Teilbereiche. Es müssen in allen Bereichen Einsparungen vorgenommen werden und zwar nicht nur beim Bund, sondern auch bei den Ländern und Gemeinden. Wenn Sie sich das Gesamtvolumen der Steuerausgaben ansehen, dann fällt bloß etwa die Hälfte auf den Bund. Alles andere fällt auf die Länder und Gemeinden. Darum wird die Diskussion auch immer nur auf den Bund konzentriert, in Wirklichkeit sind aber die anderen Gebietskörperschaften genauso zur Sparsamkeit und zur Kürzung ihrer Haushaltsansätze verpflichtet, wie man im Rahmen des Stabilitätspaktes im Zusammenhang mit der Einführung des Euro ja auch sieht. Wie gesagt, die Diskussion muß sich also auf alle Gebietskörperschaften erstrecken, und nicht nur auf den Bund. Daß natürlich der Bund Vorreiter sein müßte, ist klar, das schlägt dann ja auf die anderen Gebietskörperschaften durch, ob es nun die Subventionen sind, ob es auch soziale Leistungen sind, zum Beispiel beim Kindergeld, bei dem Erziehungsgeld oder auch bei der Bundeswehr oder auch bei anderen Haushaltsansätzen. Da muß man quer durch den Haushalt gehen. Aber wie gesagt, nicht nur beim Bund, sondern auch bei den Ländern und Gemeinden.

Bundesbankpräsident Tietmeyer hat letzte Woche noch einmal davor gewarnt, daß die Einführung des Euro Risiken, besonders auch für den deutschen Steuerzahler, haben kann, daß eben auch wegen möglicher Transferleistungen dort Belastungen auf uns zukommen, die momentan nicht verläßlich kalkulierbar sind.

DÄKE: Ich teile diese Aussage von Herrn Tietmeyer. Der Bund der Steurzahler hat auf seinem Steuerzahlerkongreß in Berlin deutlich darauf hingewiesen, daß die Einführung des Euro dann mit Risiken behaftet ist, wenn die Stabilitätskriterien nicht auf Dauer eingehalten werden. Das heißt, es nützt nichts, die Maastrichtkriterien zum 1.1.1998 einzuhalten, sondern sie müssen auf Dauer eingehalten werden. Und deshalb sympathisiere ich auch sehr stark mit Professor Biedenkopf, der eben auf unserem Kongreß vorgeschlagen hat, erst einmal eine sogenannte Verlobungsphase einzuführen. Das heißt, für eine Dauer von fünf Jahren die Länder, die sich am Euro beteiligen, zu prüfen, ob sie über fünf Jahre auch die Kriterien einhalten, um dann erst dahin zu kommen, die Teilnehmerländer festzulegen.

Bei vielen Verlobungen gibt es auch den Fall, daß sich dann die Partner doch noch anders entscheiden.

DÄKE: Das ist richtig! Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich noch was besseres findet.

Das bedeutet?

DÄKE: Wenn es sich zeigt, daß einige Länder auf Dauer die Maastrichtkriterien nicht einhalten können, dann können sie auch nicht an der Europäischen Währungsunion teilnehmen und dann sind die Risiken des Transfers ausgeschaltet. Sie müssen also, wenn sie wirklich ernsthaft Teilnehmer der EWU werden wollen, auf Dauer die Kritierien einhalten. Und das ist härter, als sie nur zum 1. Januar 1998 zu erfüllen.


 
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