© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/97  21. November 1997

 
 
Bundesversammlung der Grünen: Krönungsmesse für Fischer
Wie ein Heiliger verehrt
von Hans-Georg Münster

Das Pressecho nach der Bundesversammlung von Bündnis 90/Die Grünen am vergangenen Wochenende war überwältigend: "Die Grünen haben den Reifetest bestanden" befand die Heilbronner Stimme. Die Hamburger Morgenpost erkannte einen "Durchbruch", und die Saarbrücker Zeitung freute sich, die Partei habe sich "in die Niederungen des Machbaren begeben".

Was aus den Niederungen in der Kasseler Stadthalle tatsächlich herausquoll, war eine gute Rede des Bonner Grünen-Fraktionschefs Joschka Fischer, der dafür von den Delegierten fast wie ein Heiliger verehrt wurde. Man muß Fischer nicht einmal leiden mögen, um zu dem Urteil zu kommen, daß der 49jährige und schon stark angegraute ehemalige hessische Umweltminister alle Register seines rhetorischen Könnens gezogen und die Risse zwischen Realos, Ökos, Fundis und K-Grüpplern mit dem verbalen Schweißbrenner geschlossen hat. Ob die Nähte lange halten, bleibt abzuwarten.

Streit gefährdet Vorteile aus Ämtern und Mandaten

Möglicherweise hat Fischers Operation diesmal eine dauerhaftere Wirkung als frühere Verbrüderungsversuche. Denn das Delegierten-Publikum auf Grünen-Parteitagen und die Funktionärsriege haben sich gewandelt: Noch nie war der Anteil von Ministern, Staatssekretären, Abgeordneten und Regierungsbeschäftigten so groß. Streit kostet Stimmen bei Wahlen. Folglich gefährden Streit die persönliche Existenz und Vorteile aus Ämtern und Mandaten. Also hält man Ruhe bis zur Wahl. Jeder ist bekanntlich sich selbst der nächste, und auch die Grünen werden immer etablierter.

Das gilt besonders für den Ablauf des Parteitages: So hatten die sonst nur in ihre Parteibeschlüsse verliebten Delegierten ihr Herz für Persönlichkeiten entdeckt und eine Krönungsmesse für Fischer gefeiert. Solche Auswüchse des Personenkults kannte man bisher nur von CDU-Parteitagen oder früheren SPD-Veranstaltungen für Willy Brandt. Fischers Erzrivale im Kampf um die Vorherrschaft bei den Grünen, der Parteisprecher Jürgen Trittin, wurde nicht vom Jubeltaumel befallen und blieb trotz minutenlanger "Standing ovations" demonstrativ sitzen. Allein dieses Bild sprach Bände.

Doch eine gute Rede des Öko-Dinosauriers Fischer macht aus den Grünen noch keinen zuverlässigen Koalitionspartner für die SPD in Bonn. Zwar ist klar, daß die überwältigende Mehrheit den Kurs auf ein Bündnis mit den Sozialdemokraten nach der Bundestagswahl am 27. September 1998 mitmachen will. Fischer überzeugte seine Truppe: "Die SPD ist in der Lage, den Machtwechsel herbeizuführen, aber einen echten Politikwechsel gibt es nur mit den Grünen."

Die wirklichen Systemveränderer seien bereits an der Regierung, so der grüne Fraktionschef in seiner mitreißenden Rede, und hätten die Namen Helmut Kohl und Norbert Blüm.

Fischer ("kämpfen, kämpfen, kämpfen") überdeckte die Kasseler Beschlüsse der Grünen, die es in sich haben und zeigen, was mit einem Politikwechsel wirklich gemeint ist. So spielte "Joschka" die Ökosteuer herunter, behauptete, 4,30 Mark pro Liter Sprit seien als Schlußpunkt einer langen Entwicklung gedacht. Doch in allen Industrie- und Arbeitsplatzfragen sind die Grünen nach wie vor eine Gefahr für den Standort: Deutschland hat zu hohe Energiepreise. Wer hier draufsatteln will, bläst zum Großangriff auf Arbeitsplätze.

Soziale Grundsicherung macht arbeiten überflüssig

Besonders interessant war ein Antrag zum Arbeitsmarkt: Die Arbeitskosten in der Bundesrepublik seien gar nicht zu hoch, wurde beschlossen. Sie hätten nur einen Anteil von 20 Prozent an den Produktionskosten. Ursache seien vielmehr überteuerte Entwicklungswege, ineffiziente Organisation und die Überbewertung der D-Mark. Ein Hauptkostenfaktor, die im Vergleich mit dem konkurrierenden Ausland zu hohen Energiepreise, wurde ausgeblendet. Und wieder einmal kann nicht sein, was nicht sein darf. Politische Illusionen werden nicht allein dadurch Realität, daß eine Partei sie beschließt. Die "Grundsicherung", die Sozial- und Arbeitslosenhilfe ersetzen soll, würde so hoch über den niedrigsten Lohngruppen liegen, daß nur noch die ganz Dummen arbeiten gehen würden.

Bündnisgrüne fordern Masseneinwanderung

Zwölf Milliarden Mark durch höhere Erbschaft- und eine neue Vermögenssteuer wollen die Grünen kassieren, um die "Grundsicherung" einzuführen. Diese Leistung soll jeder Bedürftige erhalten – auch Ehefrauen. Wenn der Gatte zu gut verdient, pfändet ihm das Grundsicherungsamt dann den Lohn. "Welches Bild von Ehe haben wir eigentlich", schimpfte lauthals eine Parteitagsdelegierte, die sich als lesbisch outete.

Die Grundsicherung (800 Mark pro Person) wäre für Singles 27 Prozent höher als die Sozialhilfe, bei Vier-Personen-Haushalten sogar 52 Prozent höher. Auch Asylbewerber, derzeit mit Leistungskürzungen bedacht, sollen die volle Grundsicherung erhalten. Die Folge wären Masseneinwanderung und Staatsbankrott. Wenn man diesen Beschluß vor dem Hintergrund der von den Bündnisgrünen geforderten ungehemmten Einwanderung nach Deutschland betrachtet, wird deutlich, daß ein gewisser Wladimir Iljitsch Uljanow im Geiste die Feder geführt hat: "Die Regierung schwankt. Man muß ihr den Rest geben, koste es, was es wolle."

Der Mann ist besser bekannt unter dem Namen Lenin.


 
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